Eine Nation, zwei Staaten – das ist lange vorbei. In sieben Jahrzehnten hatte die Bundesrepublik Deutschland so einige Krisen zu meistern. Bis heute ist dies meist erfolgreich gelungen. Ein Grund dafür liegt in ihrer starken Verfassung: dem als Provisorium gedachten Grundgesetz.
Dass es einmal zwei deutsche Staaten auf der heutigen Fläche der Bundesrepublik gegeben hat, wissen junge Erwachsene heute nur noch aus den Geschichtsbüchern. Selbst die Generation 30 plus kann sich daran nur noch vage oder aus den Erzählungen ihrer Eltern erinnern. Wer 40 und älter ist hingegen kann sich noch ganz genau daran erinnern, wo er oder sie war, als sich an jenem 9. November die Mauer öffnete und Tausende DDR-Bürger in den Westteil Berlins strömten. Hat noch genau die Bilder vor Augen, wie sich wildfremde Menschen von beiden Seiten der Mauer mit Freudentränen in den Augen in die Arme fielen.
Jener 9. November 1989 war wohl der emotionalste Tag in der inzwischen 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik. Eine Geschichte, die vier Jahrzehnte lang geprägt war von der Drohkulisse des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhangs, der nirgendwo eindringlicher und anschaulicher Gestalt annahm als mit der Teilung Berlins durch die Mauer. Eine Mauer, die weitaus mehr war als eine Trennlinie zwischen Ost und West. Als die DDR-Führung am 13. August 1961 damit begann, die Verbindung zwischen Ost- und Westberlin mit Stacheldraht-Barrieren zu kappen, wurde nicht nur die Stadt geteilt, sondern auch Familien und Freundschaften von einem Tag auf den anderen auseinandergerissen. Es war der letzte verzweifelte Versuch Ostberlins, das wirtschaftliche und vor allem personelle Ausbluten zu verhindern. Allein 1960 waren 200.000 Bürger in den Westen geflüchtet.
Einheit nur auf dem Papier vollzogen?
Während das eine Deutschland auszubluten drohte, erstarkte das andere innerhalb kürzester Zeit zu erstaunlicher Wirtschaftskraft und Prosperität. Heute hinterfragen viele Historiker das sogenannte Wirtschaftswunder der 50er- und 60er-Jahre, das lange Zeit in einem Atemzug mit dem Namen Ludwig Erhard genannt wurde. Tatsächlich waren die Voraussetzungen für einen Neustart in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik deutlich besser als lange Zeit dargestellt und das Wirtschaftswunder aus heutiger Sicht vielleicht gar nicht so erstaunlich.
Die Annäherung der beiden deutschen Staaten unter der Regierung Willy Brandts Anfang der 70er-Jahre sorgte einerseits wieder für eine Verbesserung der Beziehungen, gleichzeitig zementierten die Ostverträge aber auch den Status quo der zwei deutschen Staaten. Als der Grundlagenvertrag 1972 unterzeichnet wurde, hätten selbst die kühnsten Optimisten nicht zu hoffen gewagt, dass 17 Jahre später die Grundlage für die Wiedervereinigung geschaffen würden.
Der Jubel von damals ist längst verklungen, der Alltag hat die Deutschen eingeholt. Auf dem Papier ist die Einheit Deutschlands längst vollzogen, in den Köpfen vieler ist sie aber auch nach fast drei Jahrzehnten noch immer nicht angekommen. Zu viele sehen sich bis heute als Verlierer der Wende.
Dass die Zusammenführung zweier Staaten mit völlig unterschiedlichen Systemen dennoch im Großen und Ganzen erstaunlich reibungslos vonstattengegangen ist, dürfte auch an der starken Grundordnung liegen, auf der die Bundesrepublik beruht: dem Grundgesetz. Dessen Begründer hatten das Lehrgeld aus der Ära der Weimarer Republik bezahlt und einen Paragrafenkanon entwickelt, der bis heute Gültigkeit hat. Seit sieben Jahrzehnten ist das Grundgesetz der Fels in der Brandung. Als Provisorium gedacht, hat es sich bis heute in jeder Krise bewährt und ist längst die Verfassung aller Deutschen.