Der Bau der Mauer kam 1961 ebenso überraschend wie ihre Öffnung am 9. November 1989. Die deutsche Einheit war damit allerdings noch längst keine beschlossene Sache. Skeptiker warnten vor einer zu schnellen Wiedervereinigung und wurden durch die wirtschaftlichen Probleme in den neuen Bundesländern teilweise bestätigt.
Der 13. August 1961 war ein sonniger Tag. Doch das war nicht der Grund, weshalb seit den frühen Morgenstunden Bürger aus beiden Teilen Berlins auf die Straßen und zur Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin strömten. Auch war in ihren Augen keine Vorfreude auf einen weiteren schönen Sommertag zu erkennen, sondern das blanke Entsetzen.
An diesem Tag ließ die DDR-Führung die Grenze nach Westberlin abriegeln. Noch in der Nacht hatten Volkspolizisten, Soldaten der Nationalen Volksarmee, paramilitärische Kampfgruppen sowie Mitarbeiter der Staatssicherheit, insgesamt mehr als 20.000 Mann, mit der Schließung der Sektorengrenze begonnen. Stromleitungen wurden gekappt, die U- und S-Bahn-Verbindungen zwischen Ost- und Westberlin unterbrochen, Fenster in Gebäuden direkt an der Grenze zugemauert. Am Morgen zogen sich Stacheldraht-Barrieren quer durch die Stadt, zwischen Brandenburger Tor und dem Potsdamer Platz stand bereits eine provisorische Mauer. Über die Jahre wurde die Berliner Mauer dann immer weiter ausgebaut. Auch entlang der deutsch-deutschen Grenze wurden die Sicherungsanlagen stetig erweitert.
Dabei hatte SED-Parteichef Walter Ulbricht erst zwei Monate zuvor, am 15. Juni 1961, auf einer Pressekonferenz vor westlichen Journalisten erklärt: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Dabei drohte die DDR im Sommer 1961 regelrecht auszubluten. Immer mehr Menschen verließen damals das Land, die meisten über die noch offene Sektorengrenze nach Westberlin. Vor allem die Wirtschaft litt stark unter der Abwanderung von Arbeitskräften. Waren es 1960 rund 200.000 Menschen, die in den Westen flüchteten, flohen allein im Juli 1961 mehr als 30.000 DDR-Bürger.
Seit Monaten hatte Ulbricht deshalb mit den Sowjets Gespräche geführt, ehe er aus Moskau die Erlaubnis bekam, seine tatsächlich schon länger bestehende Absicht, eine Mauer zu bauen, in die Tat umzusetzen. Die Westalliierten protestierten nur halbherzig gegen die Aktion. Erst zwei Jahre später, am 26. Juni 1963, besuchte US-Präsident John F. Kennedy Berlin, um dort seine berühmte „Ich bin ein Berliner"-Rede zu halten. Dieser hatte im Juli 1961 seine drei unabdingbaren Grundsätze zu Westberlin formuliert: das unantastbare Recht der Westmächte auf Anwesenheit in ihren jeweiligen Sektoren Westberlins; das Zugangsrecht der Westmächte nach Berlin sowie die Wahrung der Sicherheit und der Rechte der Bürger Westberlins durch die westlichen Besatzungsmächte. Keiner dieser Grundsätze wurde durch den Mauerbau beschnitten. Im Gegenteil: Aus Sicht der Amerikaner verringerte dieser sogar die Gefahr eines Krieges in Europa.
DDR implodierte von innen heraus
Für die Deutschen war die Teilung dagegen eine menschliche Katastrophe. „Man muss die Unzahl menschlicher Tragödien im Auge haben, die sich in diesen Tagen abspielen", sagte Willy Brandt bereits am 18. August 1961, damals noch Regierender Bürgermeister in Berlin. „Mitten durch eine Stadt, in der es trotz der administrativen Teilung noch immer täglich vieltausendfache Verbindungen gab, sind die Betonpfähle einer Grenze eingerammt worden, die zu einer Art chinesischer Mauer ausgebaut wird", sagte der spätere Bundeskanzler. Von einem Tag auf den anderen wurden Familien und Freundschaften auseinandergerissen. Beim Versuch, trotzdem noch über die Grenze zu fliehen, starben nach Angaben eines Forschungsprojekts des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam sowie der Stiftung Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989 mindestens 140 Menschen.
Auch entlang der innerdeutschen Grenze starben zwischen 1961 und 1989 je nach Berechnung zwischen 270 und bis zu 1.000 Menschen beim Fluchtversuch. Erich Honecker, Ulbrichts Nachfolger auf dem Posten des Parteichefs, sagte 1974: „Es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen."
Noch im Januar 1989 betonte er, dass die Sicherung der Grenzen das souveräne Recht eines jeden Staates sei: „Die Mauer wird so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind."
Als antifaschistischer Grenzwall wurde die Mauer im offiziellen Sprachgebrauch der DDR bezeichnet, gerichtet also gegen Feinde aus dem Ausland. Doch am Ende implodierte die DDR von innen heraus. Kurz vor dem Mauerfall stand die DDR vor dem wirtschaftlichen Ruin. Die Produktivität der DDR-Industrie erreichte nur etwa ein Drittel des Niveaus in der Bundesrepublik, das Land war hoch verschuldet und die Versorgungslage der Bevölkerung schlecht. Anders als Staatspräsident Michail Gorbatschow in der Sowjetunion lehnte die SED-Führung Reformen allerdings ab. Viele DDR-Bürger waren deshalb unzufrieden und flohen ab den späten 80er-Jahren über andere Ostblockstaaten in den Westen.
Wer nicht flüchtete, versuchte seinem Unmut anderweitig Ausdruck zu verleihen. Ab Mitte August 1989 kam es in zahlreichen Städten zu immer größeren Demonstrationen, bei denen am Ende bis zu einer Million Menschen auf die Straße gingen – die Friedliche Revolution nahm ihren Lauf. Am Ende ging der Zusammenbruch der DDR so schnell vonstatten, dass selbst die Verantwortlichen den Überblick verloren. Bei einer Pressekonferenz am 9. November 1989 antwortete Politbüro-Mitglied Günter Schabowski auf die Nachfrage eines Journalisten, ab wann denn die neuen Reiseregelungen gelten würden: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich" – obwohl dies gar nicht so abgesprochen war. Nachdem daraufhin immer mehr Menschen zu den Grenzübergängen strömten, wurde die Mauer noch am selben Abend geöffnet.
Damit war die deutsche Einheit allerdings noch längst keine beschlossene Sache. Die neue Situation traf alle Beteiligten gänzlich unvorbereitet und wurde vor allem in Frankreich und Großbritannien argwöhnisch beäugt. In Deutschland ging es dagegen bald weniger um das „ob" der deutschen Einheit als um das „wie" und „wann", wie Historiker Manfred Görtemaker in einem Beitrag für die Zeitschriftenreihe „Informationen zur politischen Bildung" schrieb. Die Frage war, ob die DDR dem Grundgesetz beitreten oder die Bevölkerung in Ost und West stattdessen über eine neue Verfassung abstimmen sollte.
Viele sind bis heute nicht angekommen
Die SPD und viele DDR-Bürgerrechtler befürworteten Letzteres; dagegen sprach sich die CDU in beiden Staaten für die Grundgesetz-Variante aus, auch weil sie befürchtete, dass man ansonsten die historische Chance einer Wiedervereinigung noch verspielen könnte. So trat die DDR am 3. Oktober 1990 dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei, nachdem zuvor im Zuge des Zwei-plus-Vier-Vertrages auch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ihre Zustimmung gegeben hatten.
Ein weiteres Argument für eine schnelle Wiedervereinigung war, dass auch nach der Maueröffnung weiterhin Tausende Bürger die DDR verließen und sich die Situation dort damit weiter zuspitzte. Aus diesem Grund wurde bereits vor der politischen Einheit die wirtschaftliche vollzogen. Am 1. Juli 1990 trat die Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft: Alle Löhne und Gehälter sowie Renten, Pensionen, Stipendien und bestimmte Sozialleistungen wurden zum Kurs 1:1 umgestellt; die Renten im Osten an das Niveau der Bundesrepublik angeglichen; Bargeld und Sparkonten konnten bis zu einem bestimmten Betrag ebenfalls 1:1 umgetauscht werden, darüber hinaus zum Kurs 2:1.
Allerdings war die marode DDR-Wirtschaft dem freien Wettbewerb nicht gewachsen. Zahlreiche Unternehmen wurden durch die Treuhand privatisiert oder gleich ganz dicht gemacht – bis Ende 1990 sank das Bruttosozialprodukt um 18,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit stieg rapide. Das Problem laut Historiker Manfred Görtemaker: „So wie die alte Bundesrepublik seit ihrer Entstehung 1949 für die Westdeutschen einen erheblichen Teil ihrer Legitimität aus ihrem materiellen Erfolg bezog, für den damals der Begriff des ,Wirtschaftswunders‘ geprägt wurde, hing auch die Akzeptanz der neuen Bundesrepublik bei den Ostdeutschen maßgeblich von der Fähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung ab, für ihre materielle Zufriedenheit zu sorgen." Weil diese häufig ausblieb, sind bis heute große Teile der ostdeutschen Bevölkerung nach wie vor nicht richtig in der Bundesrepublik angekommen.