Unterwegs im Westen von Japan zu Puppenfesten, Schlössern und dem „Schrein der roten Schlange".
Hina Matsuri heißt ein farbenfrohes Mädchen- und Puppenfest, das in Japan offiziell am 3. März gefeiert wird. Auf der Insel Kyushu im Südwesten Japans beginnen die dazugehörigen Ausstellungen zur Freude vieler Familien bereits im Februar, und mit dem Abbauen hat man es mitunter auch nicht eilig. Zu den Hits zählt dort die Puppen-Schau in der Stadt Iizuka in der Präfektur Fukuoka.
Dort, im ehemaligen Herrenhaus des Kohlebarons Ito Den-emon, bestaunen alle ein kunterbuntes Wimmelbild. „Das besteht aus 1.300 Teilen", weiß Guide Akira Sato, der sich kurz Aki nennt. Zu sehen sind Püppchen und Paläste, Händler mit Pferd und Wagen, ein Kunstsee mit Booten und alles ganz fein gearbeitet. In den Nebenräumen fallen Einzelstücke auf. Besonders beliebt sind die nostalgischen Darstellungen des Kaiserpaares mitsamt Hofstaat. Manche wurden von den Müttern und Großmüttern gesammelt oder selbst gefertigt. Puppenhersteller gibt es nach wie vor, doch für ein Püppchen vom Profi müssen die Käufer tief in die Tasche greifen.
Beliebt ist auch Iizukas Marionettentheater Kahogekijyo, das letzte von einst 40, die die Kohlebarone einst errichten ließen. Dort sollten sich ihre tagsüber schuftenden Arbeiter am Abend vergnügen. Da dort seit rund 60 Jahren keine Kohle mehr gefördert wird, hat nur dieses eine Theater überlebt. „Eine eigene Truppe haben wir nicht mehr, bieten aber jährlich 40 Gastspiele", erläutert die Chefin. Ein Plakat mit Terminen für 2019 hängt am Eingang.
Nach all den bunten Puppen und Marionetten auch mal in einen Kimono schlüpfen? Warum nicht? Doch einfach überstreifen lässt sich der nicht. „In früheren Zeiten gingen alle im Kimono, Frauen und Männer, jetzt machen das einige noch zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten. Aber ihn allein anziehen, das können die heutigen Japanerinnen nicht mehr", schmunzelt Aki.
Also hinein in ein Fachgeschäft mit verlockender Auswahl, doch die Prozedur dauert. Mit Klammern und Bändchen wird der Kimono von geübten Frauen im Rücken angepasst und zuletzt der Obi, ein breiter bestickter Gürtel, angelegt. Auf Getas, den japanischen Holzsandalen, klappern wir zum Lunch.
Marionettentheater für Arbeiter
Japaner bestaunen uns im Vorübergehen, scheinen sich aber zu freuen, dass Fremde ihre Traditionen aufgreifen. Wir Frauen wandeln bunt geblümt, die Männer in schwarz, grau oder blau. Typisch Touristen? Nein, das sind immer die anderen.
Und wenn schon Historie, dann richtig. Die lässt sich live im Städtchen Tsuwano erleben. Das trägt zwar den Beinamen Klein-Kyoto, ist jedoch ein wahres Idyll verglichen mit der von Besuchern aus aller Welt überfluteten einstigen Kaiserstadt Kyoto. Westjapan scheint noch ein Geheimtipp zu sein.
Daher zeigt sich Tsuwanos unter Denkmalschutz stehende Tonomachi Street am Vormittag sehr ruhig. An der einen Straßenseite tummeln sich Glückskarpfen in einem schmalen Kanal, auf beiden Seiten verstecken sich stattliche Häuser hinter hohen weißen Mauern. In ihnen wohnten die Samurai während der Tokugawa-Zeit (auch Edo-Zeit genannt), als die Shogune aus dieser Familie von 1603-1868 das gesamte Inselreich beherrschten. Von 1639-1853 schotteten sie Japan komplett gegen das Ausland ab und gingen auch brutal gegen die Christen vor.
Umso mehr verblüfft eine kleine katholische Kirche, deren Turm über die Samurai-Häuser ragt. Die wurde aber erst um 1931 zur Erinnerung an die Christen gebaut, die während der Tokugawa-Zeit aus Nagasaki nach Tsuwano gebracht und hier getötet wurden. Die Tür steht offen. Durch farbige Fenster fällt das Licht ins Kirchenschiff.
Andererseits fällt vor einem kleinen Haus das Straßenschild Unter den Linden auf. Die Verbindungen nach Deutschland und insbesondere nach Berlin haben Tradition, hatte doch der Militärarzt und Literat Mori Ogai (1862-1922) in Leipzig und von 1887/1888 am Robert-Koch-Institut in Berlin studiert und dabei so gut Deutsch gelernt, dass er sogar den „Faust" ins Japanische übersetzte. In seiner Berliner Wohnung in der Luisenstraße 39 hat die Humboldt-Universität eine Gedenkstätte für ihn eingerichtet. Seine Novelle „Das Ballettmädchen" könnte das Porträt einer Berlinerin sein, in die er sich verliebt hatte.
Verlieben können sich nun viele in das Schloss der Stadt Matsue, erbaut 1611. „Japan besaß früher etwa 260 Schlösser, von denen zahlreiche rekonstruiert wurden. Nur zwölf sind noch original, und dazu gehört das restaurierte Matsue Castle", betont Aki.
Der wohlproportionierte Bau mit den geschwungenen Dächern leuchtet in der Abendsonne. Auf alten, blank polierten Holztreppen steigen die Besucher hinauf zum obersten Saal. Aus den Fenstern streift der Blick über Matsue. Zu Füßen des Schlosses saugen die dunklen Dächer der kleinen Häuser die Sonne auf, in der Ferne ragen einige Hochhäuser empor.
Wieder unten erfolgt ein Abstecher zum Fluss, auf dem Holzboote an Reihern vorbei tuckern. Die Häuser auf der einen Flussseite wirken wie eine Kleingartenkolonie. Am anderen Ufer, in der Shiomi Nawate-Straße, sind sie deutlich größer. Nur ein ehemaliges Samurai-Haus gibt sich bescheiden. Das und seine Nebengebäude – alles im traditionell strengen Stil – können besichtigt werden. Ein asketisch wirkender Wohnsitz für einen reichen Samurai.
Auch Gourmets lieben Westjapan
Den modernen Kontrapunkt setzt Matsues Shimane-Kunstmuseum am Meer, ein Bau von 1999, entworfen von Kiyonori Kikutake. Das geschwungene Dach, das wie eine gebogene Hutkrempe über das längliche Gebäude hinausragt, passt zu den heranrollenden Wellen, ein Schwung, der sich drinnen im Gebäude gekonnt fortsetzt.
Einen anderen Eindruck vermittelt das unweit von Matsue gelegene Adachi-Kunstmuseum. Der Gründer, Adachi Zenko, hat hier Architektur, moderne japanische Kunst und Natur in jahrelanger Arbeit vereint und einen neuartigen, fast 4.000 Quadratmeter großen Garten geschaffen. Der zählt nun zu den zehn schönsten Gärten in ganz Japan, kann aber nur durch die großen Museumsfenster oder von kleinen Aussichtsplätzen im Freien bewundert werden. Diese Parklandschaft ist nicht nur für japanische Garten-Fans das Highlight des Museums.
Das eigentliche Highlight Westjapans ist für viele jedoch der Motonosumi-Inari Jinjyia-Schrein in Nagato an Honshus Nordwestecke. Die 123 roten Tori (Tore), die sich dicht an der Japanischen See den Berg bis zum Heiligtum hinauf- und hinabschlängeln, sind ebenso faszinierend wie die damit verbundene Story.
Ein weißer Fuchs, im Shintoismus ein Götterbote, sei 1955 einem Fischer im Traum erschienen und habe zum Bau eines Schreins aufgefordert, was danach auch geschah. Doch erst nach einem CNN-Bericht von 2015, der diese Schrein-Konstruktion in wilder Landschaft unter die 31 schönsten Plätze Japans einreihte, setzte der Run ein.
Im Vorjahr kamen schon mehr als eine Million Menschen. Sie haben diese „rote Tori-Schlange" bestaunt und sind durch die 123 Tore hinauf zum Schrein und wieder hinuntergestiegen. Wir hatten Glück und an einem kühlen Frühlingstag dieses Wunderwerk Westjapans fast für uns. Das bleibt für immer im Gedächtnis.
Unvergesslich bleibt aber auch Westjapans fabelhafte Küche, die überdies deutlich preiswerter ist als Vergleichbares in Tokio oder Kyoto. Schon bei den Frühstücksbüfetts, zum Beispiel in den „Tokyu"-Hotels, haben die Gäste die Qual der Wahl. Mittags und abends gibt es nicht nur Sushi vom Feinsten, sondern leckere Menüs serviert in hübschen Schalen und Schälchen. Das Auge isst mit – das weiß man auch in Westjapan.
Zum Gourmet-Höhepunk wird vor dem Rückflug ab Osaka „Kaiseki Kitchen", ein Spitzenmenü mit rund zehn Gängen von höchster Qualität. Das hat dort seinen Preis, „doch in Kyoto wäre das dreimal so teuer", weiß der erfahrene Aki.
Daher wundert es nicht, dass Gourmets aus aller Welt Japan verstärkt ins Visier nehmen. In Westjapan muss es aber kein Sternerestaurant sein, um Gaumen und Augen zu beglücken.