Für Suchtexperten und viele Mediziner betreibt Deutschland eine völlig hinterwäldlerische Drogenpolitik. Der Staat soll aufhören, die Konsumenten zu kriminalisieren, fordert Dr. Bernd Werse, Leiter des Centre for Drug Research.
Herr Dr. Werse, warum fordern Sie, die Konsumenten von Drogen zu entkriminalisieren?
Drogen wurden zu allen Zeiten schon immer konsumiert, und in Deutschland gibt es zwei Drogen, Alkohol und Zigaretten, die straffrei konsumiert werden können. Doch wir finden, auch bei den anderen Drogen sollte zumindest der Konsum keine Straftat, also der Besitz für den Eigenbedarf straffrei sein. Hier muss umgedacht werden. Drogenpolitik sollte auch immer eine Form von Gesundheitspolitik sein. Ich bitte das richtig zu verstehen: Wir wollen nicht, dass der Staat zum Konsum von harten Drogen aufruft, dass macht er ja bei Zigaretten und Alkohol auch nicht, beziehungsweise nicht mehr. Aber wir wollen die Konsumenten der anderen Drogen aus der Illegalität rausholen. Denn die schädigen im Zweifelsfall sich selber, aber keine Dritten. Also ist der Konsum auch nicht länger als Straftat anzusehen.
Sie sagen ja auch, die illegalen Drogen sind für die Polizei prima, um ihre Aufklärungsstatistik hochzuhalten. Wie das?
Na, das ist doch ganz klar. Wenn die Polizei zum Beispiel einen Konsumenten in einem Club mit einer Portion Koks für den Eigenbedarf antrifft, dann geht das in die Statistik unter Drogendelikt ein. Also steht im Soll eine Straftat. Direkt daneben kann die Polizei dann diese Straftat auch gleich als aufgeklärten Fall auf ihrer Habenseite verbuchen. Denn die Straftat Drogenbesitz ist angezeigt und der Täter wurde obendrein auf frischer Tat ertappt. Jeder Abschnittsleiter, Polizeipräsident oder Innenminister liebt solche Vorgänge in seiner Statistik. Besser kann man so seine Statistik mit aufgeklärten Fällen nicht aufhübschen. Wissen Sie, ich bin seit fast 30 Jahren im Bereich Drogen tätig, und aus glaubwürdigen Erzählungen weiß ich bundesweit aus den Polizeiabschnitten: Sieht gegen Ende des Jahres die Aufklärungsstatistik nicht so doll aus, greift man gern auf diesen Trick zurück.
Wenn Drogen als Eigenbedarf plötzlich legal werden, dann werden doch auch Dealer plötzlich nur noch Konsumenten?
Zugegeben, das ist nicht ganz einfach! Aber auch da haben wir ja schon jetzt eine geltende Rechtslage, die dann nur noch konsequenter angewandt werden müsste. Denn der Eigenkonsum wird zwar geahndet und kommt zur Anzeige, aber wird meist dann als Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt und kommt gar nicht erst zur Verhandlung. Wer allerdings mehrfach mit erheblichen Mengen angetroffen wird, die definitiv nicht für den Eigenbedarf sein können, der wird auch verurteilt. Vor allem, wenn er beim Handel hieb- und stichfest überführt wurde.
Aber ist das nicht schon fast eine Legalisierung des Konsums?
Vielleicht im alltäglichen Umgang, aber nicht strafrechtlich, und das ist das entscheidende. Wenn Sie als Konsument erwischt werden, läuft das volle Programm der Vorermittlungen an. Es kann sein, dass Ihr Arbeitgeber davon erfährt, dass Sie als Wiederholungstäter einen Schulverweis kassieren oder halt auch Ihren Job verlieren. Kommen wir dann in den Bereich der Jugendfürsorge, zum Beispiel im Bereich des betreuten Wohnens, werden Jugendliche, die als Wiederholungstäter „polizeibekannt" sind, in bestimmte Maßnahmen gar nicht mehr aufgenommen, weil ihre Akte nicht sauber ist. Während ein vergleichbarer Jugendlicher, der sich jeden Tag mit Alkohol volllaufen lässt, in solche Maßnahmen aufgenommen wird, obwohl seine Sozialprognose eigentlich die schlechtere ist.
Also bundesweit flächendeckend Coffeeshops, die auch Koks und Heroin anbieten?
Vorsicht, Vorsicht! Der Staat sollte nun nicht in den Handel mit harten Drogen einsteigen! Aber beim Cannabis ist ein zugelassener, legaler Handel wie in den Coffeeshops wirklich zu überlegen. Für die Konsumenten würde dies bedeuten, sie hätten zukünftig eine verlässliche Qualität, ähnlich wie beim Alkohol, und das zu nachvollziehbaren Preisen. Das alles würde natürlich mit einem absoluten Werbeverbot einhergehen und der Jugendschutz würde vorn anstehen. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Vor allem würde man auf einen Schlag den gesamten illegalen Handel und die damit zusammenhängenden kriminellen Strukturen weitestgehend zerschlagen. Da wird ja in Polizeikreisen immer wieder gern das Bonmot erzählt, der Innenminister würde Cannabis sofort legalisieren, aber die örtlichen Drogendealer sind dagegen.
Doch gesundheitlich ist Cannabis ja aufgrund des mittlerweile sehr hohen THC-Wertes nicht gerade eine vergleichbare Droge wie Alkohol.
Das ist zum Teil richtig. Der THC-Wert in den heutigen Cannabisprodukten ist circa dreimal so hoch wie vor 40 Jahren. Das liegt daran, dass die Pflanzen in den Anbauländern illegal hochgezüchtet wurden. Aber das wäre bei einer Legalisierung in den Griff zu bekommen. Denn der THC-Wert ist im Verhältnis zum CPD-Wert so hoch, weil der CPD-Wert in den heutigen Produkten viel zu niedrig ist. Das ist tatsächlich ein Problem, denn ein hoher THC- und ein niedriger CPD-Wert können beim Konsumenten zu erheblichen psychischen Problemen führen. Aber das ist eine Frage des Anbaus und der Pflanze, das wäre in den Griff zu bekommen. Der Staat müsste dann einfach nur einen Mindestgehalt von CPD vorschreiben.
Sie selbst unterhalten seit fünf Jahren bundesweit Drogenkonsumräume, also haben schon mal eine halbe Legalität hergestellt. Wie sind die Erfahrungen damit?
Als wir nur die Idee aufgeworfen hatten, gebt den Junkies einen Raum, wo sie in Ruhe unter Aufsicht ihre Drogen konsumieren können, gab es ja einen Riesenaufschrei. Ich nenne ihnen mal zwei Zahlen, die auch den Erfolg dieser Drogenkonsumräume beschreiben: Allein im vergangenen Jahr hatten wir bundesweit etwas über 1.300 Drogentote. Seitdem wir die Drogenkonsumräume betreiben, gab es dort einen Toten. Dass es bei uns nur einen solch tragischen Fall gab, liegt auch daran, dass es bei uns sofort medizinische Hilfe gibt, sollte was sein. Und in den Räumen gibt es dann auch mal die Ansprache, ob sich ein Konsument nicht doch mal lieber über einen Entzug Gedanken machen sollte. Wir holen die Junkies zumindest für einen Teil ihres Tages aus der Illegalität. Denn als Drogenkonsumenten sind sie nun auch mal Straftäter. Sie bekommen bei uns was zu essen und sie können über sich und, wenn sie wollen, auch über ihre Probleme mit einem ausgebildeten Sozialarbeiter reden.
Ein weiteres Projekt in diesem Bereich ist das Drug-Checking, vor der Party werden die Substanzen geprüft und den Konsumenten wird gesagt, was da wirklich drin ist. Könnte das helfen?
Dieses Projekt ist auf Länderebene schon seit Längerem im Gespräch, mehrere Bundesländer sind da wohl in der konkreten Planung, in Berlin will man das nun offenbar in diesem Sommer auf den Weg bringen. Als Träger sollen verschiedene Anbieter aus der Drogenhilfe und der Prävention fungieren. Das Problem an der ganzen Sache ist, diese sofortige Untersuchung, diese Schnellanalyse von Substanzen bedingt extrem teures Equipment. Diese Untersuchungsgeräte sind hoch kompliziert und können auch nur von gut ausgebildetem Personal bedient werden. Das kostet viel Geld. In der Schweiz gibt es das schon. Aber ich vermute mal, hier in Deutschland wird das mit dem Drug-Checking wohl noch eine Weile dauern.