Selbst für Extremsportler gibt es natürliche Grenzen. Eine aktuelle Studie belegt, dass sich der Energieverbrauch bei langen Ausdauerleistungen beim maximal 2,5-Fachen des Grundumsatzes einpendelt. Das entspricht in etwa dem erstaunlich hohen Wert von Schwangeren.
Wenn von den absoluten Grenzen menschlicher Ausdauerleistung die Rede ist, werden die natürlichen limitierenden Faktoren gerne mal außen vor gelassen und von einer „reinen Kopfsache" gesprochen. Dabei dürfte klar sein, dass es für extreme Anstrengungen ganz klare physiologische Grenzen gibt. Nicht einmal der achtfache Olympiasieger Usain Bolt hätte es fertiggebracht, seinen Top-Speed auf der Hundertmeter-Strecke über die angekratzte Zehn-Sekunden-Grenze hinaus auf die Dauer von einer Minute beizubehalten. Das dürfte jedem einleuchten. Doch wie sieht es in Sachen Ausdauergrenzen bei Extremsportlern aus, die ihren durchtrainierten Körpern über Tage, Wochen oder gar Monate hin das Letzte abverlangen?
Grundumsatz verfünffachen
Können sie ihren Energieverbrauch bei langanhaltenden Strapazen wie der dreiwöchigen Tour de France, bei stressigen Trekking-Touren durch die Antarktis oder bei dem knapp 5.000 Kilometer langen Ultramarathon-Event quer durch die USA in ungeahnten Höhen halten? Oder gibt es auch für sie energetische Grenzen, weil nach Aufbrauchen der letzten winzig kleinen Fettdepots nichts mehr zur Verfügung steht, was der Körper zur zusätzlichen Energiezufuhr umsetzen könnte? Oder kann der menschliche Organismus sogar in solchen Extremsituationen zur Energiegewinnung auf andere Ressourcen zurückgreifen, wie das bei einigen Zugvögeln der Fall ist, die zur Bewältigung besonders langer Flugstrecken das eigene Körpergewebe anzapfen können?
Während der normale Ruheenergieumsatz eines Durchschnittsmenschen zwischen 2.000 (Frauen) und 2.500 (Männer) Kilokalorien liegt, können absolute Spitzenathleten ihren Grundumsatz bei extremen Dauerleistungen über mehrere Tage hin in etwa verfünffachen. Wie lange das genau möglich ist, wollten Wissenschaftler um Herman Pontzer, Professor für evolutionäre Anthropologie an der Duke University in Durham/North Carolina, und John Speakman, Professor für Biological Sciences an der University of Aberdeen, herausfinden und haben ihre Ergebnisse in einer Studie vorgestellt. Diese wurde vor Kurzem im Fachmagazin „Science Advances" veröffentlicht. Grundlage ihrer Untersuchungen waren die Leistungen von sechs Extremsportlern, fünf Männer zwischen 34 und 73 Jahren und eine 32-jährige Frau, die im Jahr 2015 den schon angesprochenen Ultramarathon vom Huntington Beach in Kalifornien quer durchs Land bis nach Washington DC in Angriff genommen hatten. Sie benötigten dafür zwischen 14 und 20 Wochen und bewältigten dabei im Schnitt einen Marathon – sprich 42,2 Kilometer – pro Tag, an sechs Tagen einer Woche. Zu Vergleichszwecken zogen die Forscher zusätzlich noch Daten hinzu, die zuvor schon durch andere Wissenschaftler von Athleten bei Ultramarathons, bei der Tour de France, bei wochenlangen Arktisexpeditionen oder Mega-Triathlons erhoben worden waren.
Der Energieverbrauch der sechs Probanden wurde vor Antritt des Rennens im Ruhezustand gemessen. Danach wurden die Werte kontinuierlich unter der Belastung kontrolliert. Das Ergebnis: Der Energieverbrauch war anfangs extrem hoch. Er lag in der ersten Woche bei 6.200 Kilokalorien pro Tag, schwächte sich nach ziemlich genau 20 Tagen ab und pendelte sich bei etwa dem Zweieinhalbfachen des Grundumsatzes ein. „Dies definiert den Bereich dessen, was für den Menschen möglich ist", so Herman Pontzer. Mehr scheint für Menschen unter Dauerbelastung nicht möglich zu sein. Die energetische Grenze kann daher irgendwo zwischen 4.000 und 4.500 Kilokalorien am Tag gezogen werden. Das energetische Limit hängt laut Pontzer offenbar mit der Leistungsfähigkeit unseres Darms zusammen. Dieser kann bei anhaltender körperlicher Extrembelastung nicht über einen bestimmten Zeitraum hinweg so viele Nährstoffe resorbieren, dass eine Erhöhung der Grenze über das Limit hinweg möglich wäre. Über eine kurze Zeitspanne kann das funktionieren, allerdings nicht bei wochen- oder monatelangen Strapazen. Der Körper setzt zum Selbstschutz den Energieverbrauch durch den Verzicht auf andere Aktivitäten so weit herab, dass er unterhalb der energetischen Grenze bleibt. Würde er das nicht tun, müsste tatsächlich das Körpergewebe zur Energiegewinnung herangezogen werden – mit potenziell schädlichen Folgen für die Gesundheit.
Energetische Grenze: 4.500 Kilokalorien
Im zweiten Teil ihrer Studie verglichen die Wissenschaftler den Energieverbrauch der Extremsportler mit dem von Schwangeren. Das verblüffende Ergebnis: Die Werte unterschieden sich nur unwesentlich. Pontzer: „Schwangerschaft und extreme Ausdauerleistungen laufen im Grunde nach den gleichen Stoffwechselregeln ab. Das zeigt zugleich, wie unglaublich anstrengend eine Schwangerschaft für den Körper ist." Er und seine Kollegen vermuten, dass die Kalorienverbrauch-Grenze bei Schwangeren, die nur knapp unterhalb des energetischen Limits von Extremsportlern angesiedelt ist, dafür sorgt, dass das Wachstum des Kindes im Mutterleib begrenzt wird und nur dadurch aus evolutionärer Perspektive eine neunmonatige Schwangerschaft überhaupt verkraftet werden kann.