Juden und Muslime können nicht miteinander leben – und schon gar nicht miteinander Spaß haben? Dass das sehr wohl geht, beweist das Berliner „„Shalom Rollberg Projekt"" für Kinder und Jugendliche. Dort heißt es: „Wir glauben vor allem an eines: an ein friedliches Miteinander!"
Berlin-Neukölln, Rollbergsiedlung. Hier präsentiert sich Berlin von seiner eher unschönen Seite. Den Kiez findet man in keinem Reiseführer, Touristen sucht man deshalb vergeblich. Das Viertel ist geprägt von in die Jahre gekommenen Wohnblöcken aus den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Auf den ersten Blick erinnert die Gegend an eine Art gigantische Kaserne – allerdings mit einer bunt zusammengewürfelten Bewohnerschaft aus mehr als 30 Nationen. Ein Viertel der 5.800 Bewohner ist noch nicht volljährig; die größte Gruppe unter ihnen bilden türkischstämmige Kinder und Jugendliche, dicht gefolgt von Altersgenossen aus arabischen Ländern. Etwa die Hälfte der Einwohner ist auf staatliche Unterstützung angewiesen, sehr viele sind Hartz-IV-Empfänger. „Und die Probleme gehen weiter", erzählt Yonatan Weizmann vom „Shalom Rollberg Projekt". „Ein Großteil der Bewohner lebt hier unterhalb der Armutsgrenze, Kinderarmut ist an der Tagesordnung." Auch der Bildungsstand sei oft gering. Wenn die Rollbergsiedlung mal in der Presse auftaucht, dann meist nicht im positiven Sinn. Die sozialen Probleme im Kiez sorgen für Gewalt, Drogenmissbrauch und ein teils aggressives Klima.
Mitten im sozialen Brennpunkt Rollbergsiedlung liegt die Werbellinstraße 21, ein grauer Wohncontainer. Vor der verrosteten, ehemals blauen Eingangstür streiten sich zwei arabische Frauen in Kopftüchern – die beiden haben offensichtlich ihre Discounter-Tüten vertauscht. Wer vorbei will, wird angeschrien: „Verpiss Dich!" Doch um zur Nebentür zu kommen, muss man die beiden Streitenden passieren. Dort angekommen weist eine Türklingel mit der simplen Aufschrift „Klingel" den Weg. Yonatan Weizmann öffnet, gut gelaunt und freundlich. „Ja, wir sitzen hier mitten drin in der Welt und den Problemen der Rollbergsiedlung."
In der Synagoge zu Gast: ganz normal
Weizmann ist Projektleiter des „Shalom Rollberg Projekt"s – und zwar eines, das man hier nicht vermuten würde. „Wir sind ein jüdischer Verein und wir kümmern uns hier darum, Antisemitismus zu bekämpfen." Wie das praktisch aussieht? Weizmann: „Ganz einfach: Wir fördern die Begegnung im Alltag und versuchen Vorurteile und gegenseitige Berührungsängste abzubauen." In rund 20 Räumen geht es um ganz verschiedene Dinge, erklärt er: „Unsere Angebote sind vielfältig und reichen von der Schülerhilfe über Gruppenarbeiten bis hin zu Veranstaltungen." Viele der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen acht und 18 Jahren haben Probleme in der Schule und nutzen vor allem die Nachhilfeangebote. „Sehr gefragt ist aber auch der Sport", ergänzt Weizmann. „Es gibt eine Kung-Fu-Gruppe. Da lernen dann die muslimischen Kinder vom jüdischen Trainer Kampfsport."
Rund 300 muslimische Kinder werden pro Jahr vom „Shalom Rollberg Projekt" betreut. „Das sind Kinder, die Hilfe brauchen", stellt Weizmann fest. Gerade wer aus bildungsschwachen Familien komme, sei oft dringend darauf angewiesen. Ganz einfach sei die erste Begegnung zwischen den Kindern und der jüdischen Einrichtung aber in aller Regel nicht. „Viele kommen mit starken Vorurteilen gegenüber dem Judentum zu uns. Das haben die Kinder und Jugendlichen oft zu Hause oder, im Fall mancher Flüchtlinge, in den Schulen der Herkunftsländer gelernt." Judentum gleich schlecht, so heiße es dort oft schon ab der ersten Klasse. „In solchen Fällen hilft nur eines: Man muss sich kennenlernen, um Vorurteile abzubauen." Im persönlichen Umgang bauten sich Vorbehalte ganz schnell ab. Weizmann: „Häufig bin ich dann ganz schnell nicht mehr der böse Jude, sondern einfach der blöde Lehrer – so soll es sein."
Weizmann weiß, wovon er redet. Der Projektleiter wuchs in Israel auf und studierte dort Literaturwissenschaften. „Auch ich habe in der Schule häufig Vorurteile gegenüber Muslimen zu hören bekommen. Vom Kopf her war mir klar, dass es so nicht sein kann – aber mein Bauch war beeinflusst." Er habe regelrecht Angst vor allem Muslimischen gehabt. Damit war aber spätestens 2009 Schluss: Da zog Weizmann nach Berlin, zunächst der Liebe wegen. Dann sah er die Stellenanzeige des Shalom Projekts – Weizmann wurde vom Fleck weg engagiert und ist bis heute glücklich mit seinem Job. „Ich lerne jeden Tag eine Menge über den Islam und das tägliche Zusammenleben der Muslime. Besonders spannend war für mich, ganz viel über den Ramadan, den muslimischen Fastenmonat, zu erfahren."
Weizmann ist als Projektleiter der einzig festangestellte Mitarbeiter des Projektes. Aber: „Wir haben rund 20 feste, ehrenamtliche Leute. Jeder Berliner Jude ist bei uns willkommen, egal ob er oder sie in der jüdischen Gemeinde aktiv ist." Entscheidend sei nicht, ob man religiös sei oder ob man aus Israel komme. Im Mittelpunkt der Arbeit stehe Toleranz. Die versucht man, den muslimischen Kindern und Jugendlichen in den verschiedensten Angeboten zu vermitteln. So gebe es eine Englischgruppe oder auch ein Kunstprojekt. „Vor allem die Kunstgruppen liefern erstaunliche Ergebnisse", so Weizmann. „Beim letzten Mal waren einige palästinensische Kinder dabei. Beim freien Malen haben sie zunächst nur Bilder eines befreiten Palästinas gezeichnet. Am Ende wurden daraus mehrfarbige Sonnen, die das friedliche Zusammenleben von Israelis und Palästinensern symbolisieren sollten – eine tolle Entwicklung!" Der Erfolg basiere auf drei einfachen Grundsätzen: Präsenz, Verständnis und Kontinuität. Weizmann: „Genau deshalb verkriechen wir uns ja auch nicht in irgendeinem schicken Hinterhof in Berlin-Mitte, sondern sind mitten im Rollbergviertel zu Hause. Ich selber lebe hier mittlerweile auch." Damit sei er einer der ganz wenigen Juden in dem Viertel. Umso wichtiger ist es ihm, mit ungewöhnlichen und manchmal auch einfachen oder banalen Aktivitäten für Verständnis und ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Muslimen einzutreten. „Letzte Woche bin ich mit einigen der Kindern bei einem Freund, einem jüdischen Koch, gewesen", erzählt er. „Der hat für uns Eis gemacht – die Kinder waren begeistert." Neben der interreligiösen Botschaft gebe es aber noch weitere: „Wir bringen den Kinder und Jugendlichen zum Beispiel auch Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben bei. Dabei arbeiten wir niemals mit erhobenen Zeigefinger, sondern versuchen aufzuzeigen, dass das völlig normal ist."
Wie lebt man gegenseitige Toleranz? Bei Shalom Rollberg gibt es beispielsweise regelmäßig Unterrichtseinheiten, in denen die Kinder Nachhilfe in Sachen Judentum bekommen. Außerdem lernen sie die hebräische Sprache. „Natürlich sind wir mit den Kindern auch regelmäßig in Synagogen zu Gast. Die sollen einfach sehen, dass das etwas ganz Alltägliches ist."
Das Projekt wird bislang ausschließlich von der deutschen Lotto Stiftung finanziert, Träger ist der lokale Förderverein Morus 14. „Natürlich sind wir immer auf der Suche nach Menschen, die uns Geld spenden", erzählt Weizmann. „Aber auch Helfer, die sich in irgendeiner Weise mit dem jüdischen Glauben identifizieren, sind stets willkommen." Weizmann hat einige Ideen für die Zukunft. „Wir würden gerne einen Fußballverein gründen, in dem alle Kulturen und Religionen nebeneinander im Team stehen." Derzeit sei man auf der Suche nach einem geeigneten Trainer. „Und auch sonst haben wir Großes vor: 2020 könnte unser Projekt erweitert werden, eventuell wird aus dem Rollberg Projekt ein bundesweites." Genaues dürfe Weizmann derzeit aber noch nicht verraten. „Das Ziel ist ja klar: Wir treten immer für Toleranz und gegen Antisemitismus ein. Mein persönliches Ziel dabei ist, dass es irgendwann einmal völlig egal ist, dass ich Jude bin."
Weitere Infos: www.shalom-rollberg.de