Beim Kauf eines Parfüms orientieren sich die Kunden meist an Namen berühmter Marken oder Celebritys. Mit der Komposition der Düfte haben diese allerdings so gut wie nichts zu tun. Nur selten wird einem Parfümeur die Ehre zuteil, dass seine Urheberschaft auf dem Flakon steht.
Niemand käme wohl auf die Idee, die Urheberschaft literarischer Meisterwerke wie „Das Parfüm" oder „Die Blechtrommel" dem jeweiligen Verlag zuzuschreiben. Vielmehr dürften den meisten Lesern die Verlage der Bestseller-Romane spontan gar nicht einfallen, ganz im Gegensatz zu den Namen der Autoren – Patrick Süskind und Günter Grass. In der Welt der Düfte mit einem jährlichen Marktvolumen von geschätzten 42 Milliarden US-Dollar wird wenig öffentliches Aufheben um die eigentlichen Kompositeure der begehrten Wohlgerüche gemacht. Kaum jemand kennt die einflussreichsten Parfümeure, ihre Kreationen tauchen in der Regel nur unter bekannten Designer- oder Promi-Namen auf.
Nicht einmal die drei riesigen globalen Parfüm- und Duftstoffproduzenten International Flavors and Fragrances aus den USA sowie Givaudan und Firmenich aus der Schweiz sind außerhalb der Szene bekannt, obwohl die meisten Luxusmarken bei genau diesen Firmen ihre Düfte herstellen lassen. Bei Firmenich wurden unter der Ägide des Spaniers Alberto Morillas, einem der ganz großen der Düfte-Zunft, Klassiker wie „CK One" von Calvin Klein, „Acqua di Giò" beziehungsweise „Acqua di Gioia" von Giorgio Armani oder „Omnia" von Bulgari entwickelt, bei Givaudan beispielsweise „L’Air du Temps" von Nina Ricci, „Opium" von Yves Saint Laurent oder „Poison" von Christian Dior.
Hochmoderner Fertigungsbetrieb
Eigentlich leisten sich nur noch zwei renommierte Nobelhäuser hauseigene Parfümeure, nämlich Chanel und Hermès ‒ mit gewissen Abstrichen auch noch Dior, Guerlain und Patou. Bei Dior ist François Demachy zwar schon seit 2006 für die Düfte verantwortlich, doch erst 2018 wurde nach fast 20-jähriger Pause mit „Joy by Dior" ein Nachfolger des 1999 lancierten Klassikers „Dior J’adore" auf den Markt gebracht. Auf den ersten Blick ziemlich verwunderlich, dass Konkurrent Patou nichts gegen die Verwendung des Namensbestandteils „Joy" bei dem neuen Dior-Duft unternommen hat. Schließlich gilt das bereits 1930 von Jean Patou vorgestellte und noch immer produzierte „Joy" nach „Chanel No 5" als das am zweithäufigsten verkaufte Parfüm aller Zeiten. Aber da sowohl Dior als auch Jean Patou (seit 2018) inzwischen zum Luxuskonzern LVMH gehören, konnte der Namensdeal hausintern geregelt werden.
Bei Guerlain führt Thierry Wasser die nun schon fast zwei Jahrhunderte dauernde hauseigene Parfüm-Dynastie weiter, die für legendäre Düfte wie „Shalimar" oder „L’Heure Bleue" verantwortlich gezeichnet hatten. Seit 20 Jahren werden die Guerlain-Düfte in einem hochmodernen Fertigungsbetrieb in Orphin produziert, anschließend in traditionell hergestellten Flakons abgefüllt und seit 2016 in einer feinen Boutique in der Pariser Rue Saint Honoré Nr. 392 überaus repräsentativ ausgestellt. Für die Entwicklung des 2017 auf den Markt gebrachten Damenduftes „Mon Guerlain" hatte Thierry Wasser nach eigenen Angaben rund zweieinhalb Jahre gebraucht.
Das ganz große Los hat gezogen, wer als Parfümeur einen der beiden weltweit begehrten Posten als Duft-Verantwortlicher bei Chanel oder Hermès ergattert hat. Denn das bedeutet, dass der oder die Betreffende sich ganz auf diese Aufgabe konzentrieren kann, ohne weitere Arbeiten bei anderen Häusern übernehmen zu müssen. Von 2004 bis 2016 war der 1947 geborene Jean-Claude Ellena, eine Legende der Parfüm-Branche, bei Hermès für die Düfte zuständig. Er genoss unvorstellbare Freiheiten: Weil er nicht in Paris arbeiten wollte, richtete ihm Hermès sogar ein Labor in der Provence ein. Ellena dankte seinem Unternehmen durch die Kreation von Düften wie „Un Jardin sur le Nil" oder „Le Jardin de Monsieur Li". Seine Nachfolgerin wurde die Schweizerin Christine Nagel, die es sehr zu schätzen weiß, dass die Geschäftsleitung von ihr im Schnitt gerade mal eine Parfüm-Neukreation pro Jahr abseits des Massengeschmacks erwartet und dass sie ihren neuen Duft nicht von einem (Marketing-)Riesenkonsortium abnicken lassen muss, sondern beim finalen Riechtest lediglich das Okay von zwei Personen benötigt: nämlich das von Pierre Alexis Dumas, dem Hermès-Kreativdirektor, und das von Agnès de Villiers, der Parfüm-Strategin des Luxusunternehmens.
Edelnasen arbeiten für Dior
Bei Chanel genießt der 1974 in Grasse geborene Olivier Polge, der 2013 bei dem Pariser Haus die Nachfolge seines Vaters Jacques angetreten hat, ähnliche Freiheiten wie Christine Nagel bei Hermès. Dabei kann Olivier Polge, beispielsweise auch bei der Pflege und Weiterentwicklung des Luxus-Duft-Segments „Lex Exclusifs de Chanel" (bislang 15 Düfte mit Preisen ab 175 Euro), weiterhin auf die Mitwirkung des Star-Parfümeurs Christopher Sheldrake vertrauen. Der bleibt, wie schon unter Jacques Polge bei Chanel, ganz still im Hintergrund. Selbst bei Chanel und Hermès tauchen die Namen der Parfümeure nicht auf den Parfümflakons auf. Das ist bei der 1970 gegründeten Firma „Editions de Parfums Frédéric Malle" anders. Denn der 1962 geborene Frédéric Malle, dessen Großvater die Wohlgerüche für Christian Dior hergestellt hatte, macht selbst keine Parfüms, sondern führt gewissermaßen einen Verlag für hochkarätige Düfte. Er versammelt die besten Parfümeure der Welt um sich, lässt sie ohne jegliche Vorgaben bezüglich Kostengrenzen oder Geruchsvorstellungen ihre persönlichen Ideen verwirklichen und bringt schließlich deren Kreationen mit Nennung des „Autorennamens" auf den Markt, was für die Parfümbranche noch immer einzigartig ist. Bislang hat die Edition 21 Düfte von zwölf Parfümeuren herausgebracht, preislich zwischen 150 und 270 Euro angesiedelt, das Parfum „The Night" von Dominique Ropion kostet sogar mehr als 1.000 Euro. Frédéric Malle verzichtet auf teure Werbekampagnen. Er setzt auf den Kreis der wahren Kenner, die auf der Suche nach einem möglichst individuellen Duft sind. In Paris, Rom oder New York hat Malle Boutiquen etabliert, in denen die kostbaren Flakons in Kühlschränken gelagert werden und in denen der Kunde die Düfte in mannshohen Glaskapseln testen kann.
Wer für Malle arbeiten darf, zählt zweifelsfrei zu den Edelnasen dieser Welt. Bislang ist es folgenden zwölf Parfümeuren gelungen: Bruno Jovanovic, Dominique Ropion (der auf der großen Duft-Bühne etwa „Alien" für Thierry Mugler oder „La Vie est belle" für Lancôme schuf), Edouard Fléchier, Maurice Roucel, Olivia Giacobetti, Ralf Schwieger, Carlos Benaim, Edmond Roudnitska, Jean-Claude Ellena, Michel Roudnitska, Pierre Bourdon („Cool Water" für Davidoff) sowie Sophia Grosjman. Auch nach dem Ende 2014 erfolgten Verkauf seines Unternehmens an den Konzern Estée Lauder ist Malle weiterhin an der Spitze seiner Edition verblieben. Das Portal das-duftparadies.de zählt zusätzlich zu den in unserem Beitrag schon genannten Nasen noch Calice Becker, Francis Kurkdjian, Sophie Labbé und Guy Robert zu den besten Parfümeuren der Welt. Keinesfalls darf natürlich der legendäre Serge Lutens vergessen werden, der 1980 unter seinem Namen eine eigene Marke gegründet hatte und preislich erfolgreich im obersten Segment mitmischt. Vor allem beim jungen Publikum genießt Ben Gorham mit seiner 2006 gegründeten schwedischen Parfümmarke Byredo großes Ansehen.
Aus Deutschland muss auch noch der in Berlin lebende Geza Schön genannt werden, der mit seinem 2005 gegründeten Label Escentric Molecules so etwas wie der Rebell und Revolutionär der Duftwelt ist und der einst die Zahl der weltweit maßgeblichen Edelnasen auf gerade mal 30 taxiert hatte. Geza Schön hält das Innovationspotenzial seiner Zunft schon für nahezu ausgeschöpft: „Die wirklich originellen Parfüms sind wahrscheinlich schon alle gemacht." Auch Frédéric Malle hält wirklich interessante Neuentwicklungen fast nur noch auf Basis von neuen synthetischen Duftstoffen für möglich. Diesbezüglich bedeutet die 2018 nochmals verschärfte EU-Verordnung Reach, wonach Duftstoffe nur noch nach bestandener Prüfung auf Umwelt- und Hautverträglichkeit zugelassen werden dürfen, eine gewisse Innovationsbremse. Zudem gibt es noch immer einige wichtige Parfümzutaten, die sich nicht künstlich herstellen lassen. Beispielsweise das in vielen Düften als Fixateur verwendete, aus einer tropischen Süßgrasart gewonnene Vetiver. Und auch Patschuli lässt sich bislang nur schwer künstlich reproduzieren. Wer reichlich Spielgeld hat, kann sich seinen persönlichen Duft von renommierten Parfümeuren wie Francis Kurkdyian komponieren lassen. Das Vergnügen kostet schlappe 15.000 Euro, bei Cartier, Guerlain oder Patou sollte man schon knapp 50.000 Euro kalkulieren.
Zehn Jahre Weiterbildung
Zwar gilt Grasse wegen der hier ansässigen gut 30 Fabriken, in denen nach wie vor feinste Blütenrohstoffe in hochwertige Duftessenzen verwandelt werden, als Welthauptstadt des Parfüms. Für angehende Parfümeure schlägt das Herz des Duftes aber längst woanders. Das größte Problem dabei ist es, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen, denn weltweit gibt es noch nicht einmal ein Dutzend spezialisierter Schulen. Die älteste Institution dieser Art ist die von dem Konzern Givaudan 1946 gegründete Ecole Givaudan, die heute in Argenteuil vor den Toren von Paris ansässig ist und die jedes Jahr nach einem knallharten Auswahlverfahren unter Hunderten von Bewerbern gerade mal zwei bis drei Schüler für die vierjährige Ausbildung aufnimmt. Einen gleich guten Ruf genießt das Institut supérieur international du parfum, de la cosmétique et de l’aromatique (Isipca) in Versailles, eine von der lokalen Industrie- und Handelskammer unterhaltene berufsbildende Einrichtung, in der jährlich rund 50 handverlesene Schüler den zweijährigen Masterstudiengang „Fine Fragrance" aufnehmen können. Mit dem Abschluss in der Tasche verfügt aber noch kein Absolvent über die perfekte Nase, dafür braucht es dem Vernehmen nach noch mindestens weitere zehn Jahre kontinuierlicher olfaktorischer Weiterbildung. Nur für die wenigsten Absolventen geht der Berufstraum des Parfümeurs in Erfüllung (weltweit wird deren Zahl auf 300 bis 500 geschätzt, größtenteils freiberuflich tätig). Die meisten landen in der Industrie, um in deren Auftrag Fahrzeuge, Waschmittel, Kosmetik, Räume oder Ähnliches zu beduften.