Nach mehreren Jahren im Rumpf-Format meldet die Tischtennis-Bundesliga für ihre Mitte August beginnende Saison wieder ein „volles Haus". Möglich machte dies eine Wildcard-Lizenz für den erst im Frühjahr gegründeten Neuling TTC Neu-Ulm.
Vom Reißbrett in die Box: Innerhalb von nur gut sechs Monaten ist der TTC Neu-Ulm im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Nichts zu einem Tischtennis-Bundesligisten geworden. In einem für das Oberhaus beispiellosen Kraftakt bewältigte der Initiator und vorläufige Alleinfinanzier Florian Ebner mit seiner Teammanagerin Nadine Berti die Herkulesaufgabe. Ebner damals: „Ohne Team, ohne Halle, ohne Geld – nur mit dem sicheren Gefühl, dass das eine Win-Win-Situation sein kann." Das reichte von der Idee zu Jahresbeginn über die umstrittene Zuteilung der Wildcard-Lizenz bis zur Zusammenstellung einer konkurrenzfähigen Mannschaft bis zum ersten Spieltag der neuen Saison Mitte August – trotz eines bereits weitgehend abgegrasten Spielermarkts. Neben dem Erstliga-Team mussten auch möglichst professionelle Strukturen auf die Beine gestellt werden. Ebner sieht die Floskel „von Null auf Hundert" für das Wagnis mit amerikanischem Anstrich – auch in den US-Profiligen können sich Teams unter bestimmten Voraussetzungen in den Spielbetrieb einkaufen – durchaus angebracht. „Die Schwierigkeit ist sicherlich", berichtet der Medienunternehmer, „genügend Geschwindigkeit zu erzeugen, um in der Kürze der Zeit die durchaus komplexen Anforderungen zu erfüllen." Davon stellt die Liga ihrem professionellen Anspruch entsprechend natürlich auch durchaus reichlich. „Es poppen immer wieder, manchmal täglich, neue Dinge auf, die man so gar nicht auf dem Schirm gehabt hat und geregelt werden müssen", schildert Nadine Berti die neuen, mitunter abenteuergleichen Herausforderungen für einen Erstliga-Debütanten.
Der Eintrag ins Vereinsregister war sicherlich noch eine der leichtesten Übungen. Als komplizierter stellten sich weitere Kleinigkeiten heraus: der Entwurf eines Vereinslogos, die Absicherung einer Internetleitung für die obligatorischen Livestreams bei Heimspielen, die Verabredung von Kooperationen für die vorgeschriebene Jugendarbeit, die Entwicklung einer Medienstrategie oder die Suche nach einem zur neuen Saison festgeschriebenen Kommentator für die Internet-Übertragungen oder nach Helfern für die Verlegung des gleichfalls vorgeschriebenen Spezialbodens. Ebner und Berti fingen genaugenommen wirklich in jedem Bereich bei null an. „Wir hatten zu Beginn ja wirklich nur ganz wenig Struktur, weil wir ja auch tatsächlich ein praktisch aus dem Boden gestampfter Verein sind", meint Berti zu den alles andere als einfachen Rahmenbedingungen. Die Frage nach dem künftigen Spielort konnte gar erst Anfang Juli gelöst werden – und auch nur vorläufig, weil Neu-Ulm laut Berti „ein anderer Verein sein und neue Wege gehen möchte". Der Weg führte den jungen Verein aus organisatorischen Gründen zunächst aber erst einmal lediglich vom ursprünglich geplanten Standort in Ulm über die Donau nach Neu-Ulm. Als interessanter Nebeneffekt des „virtuellen Umzugs" über die „fließende Ländergrenze" hinweg bekam Bayern, und nicht Baden-Württemberg, einen zusätzlichen Bundesliga-Verein.
Schwierige Suche nach einem Spielort
Doch ob Baden-Württemberg oder nun eben Bayern: Zumindest mit seinem Innovationsgeist passt der Klub in die Region. Vorläufig zwar schlagen Gäste-Teams wie der Branchenführer Borussia Düsseldorf mit seinem Topstar Timo Boll oder der benachbarte Meister TTF Ochsenhausen in Neu-Ulms etablierter Großevent-Halle auf. Doch schon mittelfristig will Ebner seine Ambitionen für eine andersartige Präsentation von Tischtennis umsetzen. Berti bestätigte schon Gespräche über die Austragung von Spielen in einer Diskothek, einer stillgelegten Industrieanlage, einem Kulturzentrum und einem Shoppingcenter. „Wir wollen die Zuschauer nahe an die Platte holen und mit der vermutlich attraktiveren Atmosphäre mehr Zuschauer in die Halle holen", sagt Ebner zu seinem Credo.
Den höchst mäßigen Besucherschnitt der Liga von nur wenigen hundert Fans will Ebner, der im Profisport schon als Präsident beim früheren Fußball-Bundesligisten SSV Ulm oder auch als Organisator einer Tennis-Senioren-WM wertvolle Erfahrungen sammelte, nicht als das Ende der Fahnenstange für sein neues Steckenpferd Tischtennis akzeptieren: „Eine Bundesliga mit vielen Weltklassespielern, aber einem Zuschauerschnitt von ein paar hundert Zuschauern muss Potenzial haben. Daraus muss sich etwas machen lassen." Zunächst will und soll sich das neue Team etablieren – und muss sich um den Klassenerhalt nicht nur wegen des ausgesprochen geringen Interesses von Zweitligisten an einem Aufstieg ins Oberhaus voraussichtlich kaum Gedanken machen. Bei der wegen der schon Ende Mai ablaufenden Transferfrist unter Hochdruck erfolgten Kaderplanung kam nämlich überraschende Unterstützung durch niemand Geringeren als Dimitrij Ovtcharov. „Dima ist auf uns zugekommen, weil er für seine zwei chinesischen Trainingspartner in der Vorbereitung auf Olympia 2020 in Tokio noch einen Verein suchte", berichtet Berti vom unerwarteten Anruf des früheren Weltranglistenersten. Neben den Engagements des früheren Top-Ten-Spielers Hao Shuai und Cui Quinglei kam auch die Verpflichtung von Trainer Cheng Hongyu auf Ovtcharovs Vermittlung zustande. „Wenn man aus der Branche so profunde Hilfe bekommt, ist man dankbar und beindruckt zugleich", sagte Ebner zum „Nebenjob" des zweimaligen Europameisters als Hobby-Spielervermittler.
Hao und Cui werden sich mit dem vom Neu-Ulmer Ligakonkurrenten Werder Bremen als Nummer eins verpflichteten Brasilianer Gustavo Tsuboi auf der Ausländerposition abwechseln. Einsätze des südkoreanischen WM-Überraschungsdritten An Jaehyun sind hingegen noch fraglich: Voraussichtlich erst im August entscheidet Ans Nationalverband, ob der Shootingstar trotz der Fokussierung auf das Olympia-Turnier im Ausland weitere Erfahrungen sammeln und Geld verdienen darf. Das Team der Premieren-Saison komplettieren Portugals Routinier Tiago Apolonia sowie der Franzose Abdel Kader-Salifou, der Schwede Viktor Brodd und als einziger Deutscher die Nachwuchshoffnung Kay Stumper. „Wir denken, dass wir trotz der Kürze der Zeit eine Mannschaft zusammenbekommen haben, die schlagkräftig ist und mithalten kann. Dabei wird auch Kay seine Einsätze bekommen", sagte Berti.
Teils hitzige Debatten
Neu-Ulms Zulassung für die Bundesliga waren teils hitzige Debatten unter den bisherigen elf Klubs in der höchsten deutschen Spielklasse vorausgegangen. Für Kontroversen war auch reichlich Anlass vorhanden. Ebners Mannschaft schlägt als erster Verein im Oberhaus auf, der sich zuvor mit keinem Team am deutschen Liga-Betrieb beteiligt hat und sogar eigens für das „Abenteuer Bundesliga" erst gegründet werden musste. Die Befürchtung erschien nicht unrealistisch, dass die Glaubwürdigkeit der Liga trotz der nunmehr erreichten Sollstärke aufgrund einer kruden Posse aus dem Vorjahr um die Aufnahme des Zweitliga-Achten (!) TTC Jülich durch Methoden des US-Profisports und die vollkommene Aushebelung sportlicher Prinzipien Schaden nehmen könnte.
Gleichwohl stellt die Lizenz für Neu-Ulm im deutschen Sport kein Novum dar. Ohne größere Umwege durch untere Ligen erhielten in den vergangenen Jahren auch im Basketball der heutige Meister Bayern München und im Volleyball das derzeitige Spitzenteam Hypo Tirol Alpen-Volleys Haching sogar trotz seiner formalen Ansiedlung in Österreich Plätze in den nationalen Eliteklassen. In der Deutschen Eishockey Liga wiederum fanden schon mehrfach Umzüge von Mannschaften zum Teil quer durch die Republik durch den Verkauf der entsprechenden Lizenzen statt – nach dem gleichen Prinzip hatte 2009 die TG Hanau in der Tischtennis-Bundesliga den Platz des früheren Champions-League-Siegers TTV Gönnern übernommen.
Für Liga-Aufsichtsratschef Andreas Preuß, zugleich auch Manager von Bolls Düsseldorfer Mannschaft, war letztlich die Aussicht auf neue Impulse durch den Newcomer ausschlaggebend für die Lizenzvergabe.