In einem Jahr beginnen die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Dann feiern einige neue Sportarten ihre Premiere, in denen auch deutsche Athleten gute Medaillenchancen haben. Allerdings waren nicht alle Sportler sofort davon begeistert, dass sie künftig zur olympischen Familie gehören.
Es ist eines dieser ungeschrieben Gesetze des Sports: „Never change a winning team." Wenn es gut läuft, gibt es keinen Grund, etwas zu verändern. Beim Blick auf das Wettkampfprogramm der nächsten Olympischen Spiele 2020 in Tokio hat man allerdings manchmal den Verdacht, dass auch das Gegenteil der Fall ist. Olympia steckt schon seit einigen Jahren in der Krise: Die horrenden Kosten, das Thema Doping, fortwährende Berichte über Korruption – vor allem die jüngere Generation kann mit den Spielen wenig anfangen. Für die Spiele in Tokio hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) nun reagiert und gleich fünf neue Sportarten ins Programm genommen: Karate, Sportklettern, Surfen, Skateboard sowie Baseball (Männer) beziehungsweise Softball (Frauen). Letztere waren zwischen 1992 und 2008 schon einmal Teil des olympischen Programms, die anderen vier erleben im kommenden Jahr ihre Premiere.
„Wir wollen den Sport zur Jugend bringen. Durch die vielen Möglichkeiten, die die Jugendlichen heute haben, können wir nicht mehr erwarten, dass sie von selbst zu uns kommen. Wir müssen auf sie zukommen", sagte IOC-Präsident Thomas Bach. „Zusammengefasst kann man sagen, dass die fünf Sportarten eine innovative Kombination aus etablierten, aufstrebenden und auf die Jugend fokussiert sind. Sie sind populär in Japan und werden die Sicht auf die Spiele in Tokio verbessern."
Die Wettbewerbe im Baseball beziehungsweise Softball sorgten dabei bereits für Schlagzeilen, nachdem bekannt wurde, dass die Auftaktspiele von Gastgeber Japan in Fukushima stattfinden, um damit zur wirtschaftlichen Wiederbelebung der Region beizutragen. Fukushima war im März 2011 von einem schweren Erdbeben und einem anschließenden Tsunami heimgesucht worden, in dessen Folge es im örtlichen Atomkraftwerk Fukushima zu Kernschmelzen kam. Nach den beiden Eröffnungsspielen wird das restliche Turnier dann allerdings in Yokohama ausgetragen. Deutsche Teams werden dort nicht am Start sein.
Auftaktspiele im Base- und Softball in Fukushima
Beim Karate sind deutsche Athleten dagegen aussichtsreich am Start. Allen voran Jonathan Horne aus Kaiserslautern: Der 30-Jährige gilt als bester Karateka der Welt und ist in seiner Gewichtsklasse über 84 Kilogramm amtierender Welt- und Europameister sowie World-Games-Sieger 2009 und 2013. Bei den gerade zu Ende gegangenen Europaspielen in Minsk in Weißrussland verpasste er allerdings die Goldmedaille und musste sich mit Bronze begnügen. Bei den Frauen bis 55 Kilogramm gewann Jana Bitsch bei den European Games ebenfalls die Bronzemedaille. Genau wie Horne ist auch sie im Kumite aktiv: In dieser Disziplin treten zwei Kämpfer gegeneinander an, wie man es auch von anderen Kampfsportarten gewohnt ist. Daneben wird in Tokio auch das Kata olympisch: Bei dieser Variante handelt es sich um eine Abfolge genau festgelegter Angriffs- und Abwehrtechniken gegen mehrere imaginäre Gegner – eine Art „Schatten-Karate" sozusagen.
Während bei den Karateka die Freude groß war, künftig ebenfalls auf der größten Bühne des Sports vertreten zu sein, war man darüber bei den Surfern und Skateboardern geteilter Meinung. Beide Sportarten waren immer schon mehr gewesen als bloß ein Sport: ein individualisierter Lebensausdruck, eine Subkultur – und somit aus Sicht der Kritiker kaum kompatibel mit Olympia mit all seinen Regeln und Vorgaben. Der australische Surfer Owen Wright sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Surfen sei „mehr Kunst und eine Ausdrucksart" und deshalb nicht für Olympia geeignet. Auch Ex-Profisurfer Corky Carroll (USA) meinte im „Wall Street Journal", Surfen sei „zu cool, um in einem Club mit Synchronschwimmen" stattzufinden. Hierzulande warnte zum Beispiel Hans-Jürgen Kuhn von der Sportkommission Skateboard im Deutschen Rollsport- und Inlineverband im Sportausschuss des Bundestags vor einer Spaltung der Skaterszene.
Doch es gibt auch Befürworter. „Olympia ist unsere große Chance, künftig noch stärker als Sportart und nicht nur als ein Zeitvertreib wahrgenommen zu werden", sagte etwa Caroline Dynybil in der „Berliner Morgenpost", die sich als eine von Deutschlands besten Skateboarderinnen berechtigte Hoffnungen auf eines der Tickets nach Japan machen darf. Dynybil startet im sogenannten Streetskaten – dabei werden diverse Tricks an Hindernissen wie Mauern, Treppen, Geländern und Rampen durchgeführt. Daneben gibt es das Park Skateboarding, bei dem die Fahrer in einer Art Halfpipe ihre Sprünge präsentieren. Hier zählt die erst zwölfjährige Lilly Stoephasius aus Berlin zu den größten Talenten hierzulande, die im vergangenen Jahr sogar deutsche Meisterin bei den Erwachsenen wurde. Nun ist ihr großer Traum die Olympiateilnahme, die sie trotz ihres jungen Alters schon 2020 realisieren könnte. Denn anders als in anderen Sportarten gibt es beim Skateboarden keine Altersgrenze für die Qualifikation.
Zahlreiche neue Mixed-Wettbewerbe
Auf dem Surfbrett hat Deutschland ebenfalls einige Kandidaten auf einem der jeweils 20 Startplätze, die für jedes Geschlecht zur Verfügung stehen. Bei den Männern sind es Leon Glatzer, Lenni Jensen und Dylan Groen; bei den Frauen U18-Weltmeisterin Rachel Presti sowie Francesca Harrer, die 2016 als erste Deutsche einen Contest der Qualifying Series der World Surf League (WSL) gewinnen konnte. Ein Jahr später wurde Harrer bei den Weltmeisterschaften der International Surfing Association (ISA) Fünfte. Seither trauen ihr viele Experten nicht mehr nur die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu, sondern dort sogar den Sprung aufs Treppchen.
Bei den Sportkletterern gab es anfangs ebenfalls Kritik, was jedoch weniger mit Olympia an sich zu tun hatte, sondern vielmehr mit dem besonderen Modus, den sich die Verantwortlichen dafür ausgedacht haben. Eigentlich gibt es beim Klettern drei Disziplinen: Bouldern, also Klettern in Absprunghöhe ohne Seil; Lead-Klettern, wo derjenige gewinnt, der eine Route am höchsten klettern kann; sowie Speed, wo auf einer stets identischen Strecke allein die Geschwindigkeit entscheidet. In Tokio gibt es aber nur für den Gesamtwettkampf eine Medaille, nicht für die Einzeldisziplinen, die sich in ihren Anforderungen zum Teil sogar widersprechen. „Zu Beginn waren alle sehr kritisch. Die meisten Sportler haben sich aber inzwischen mit dem Format angefreundet", sagte Friederike Kops der „Rheinischen Post", eine von drei Bundestrainern beim Deutschen Alpenverein, unter dessen Dach das Sportklettern in Deutschland organisiert ist.
Die Hoffnungen ruhen vor allem auf Jan Hojer. Der 27-Jährige ist hierzulande der erfahrenste und mit Abstand erfolgreichste Wettkampfkletterer und der einzige, der von seinem Sport leben kann. Er war sechsfacher Weltcupsieger im Bouldern sowie Gewinner des Gesamtweltcups 2014, außerdem Europameister in der olympischen Kombination und Dritter im Combined-Finale bei der WM in Innsbruck (Österreich).
Neben diesen fünf komplett neuen Sportarten wird es in Tokio 2020 weitere neue Disziplinen geben, darunter zahlreiche Mixed-Wettbewerbe. Im Kanurennsport starten die Frauen erstmals auch im Canadier, der bislang den Männern vorbehalten war. Im Basketball wird die Streetballvariante 3x3 neu eingeführt, bei der zwei Mannschaften mit je drei Spielern auf einem kleineren Feld mit nur einem Korb gegeneinander antreten. Ebenfalls seine Premiere erlebt BMX-Freestyle. Dort müssen die Fahrer einen Parcours mit Rampen, Sprüngen und anderen Hindernissen bewältigen, wobei sie auf ihren Rädern spektakuläre Tricks zeigen. Pro Geschlecht gibt es nur neun Startplätze, doch eine Deutsche ist schon jetzt so gut wie sicher dabei. Lara Lessmann, erst 19 Jahre alt, war 2017 bereits Vizeweltmeisterin und gewann im vergangenen Jahr zusammen mit Evan Brandes Team-Gold bei den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires. Die Berlinerin ist weltweit die einzige Frau, die einen sogenannten Crankflip Barspin beherrscht – dabei lässt sie gleichzeitig Lenker und Pedale los und dreht beides jeweils um 360 Grad. An solche Begriffe muss man sich bei Olympia künftig gewöhnen.