Er ist der erste Ministerpräsident der Linken und will es auch nach der Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober bleiben. Er setzt auf seine Beliebtheit und die Kompetenz seiner Partei. Bodo Ramelow über Befindlichkeiten der Ost-Länder, ein geteiltes Deutschland und seinen Begriff von Heimat.
Herr Ramelow, wie lange sind Sie noch Ministerpräsident?
Wir haben uns entschieden, als Rot-Rot-Grün in den Wahlkampf zu gehen. Wir wollen unsere Politik in der kommenden Wahlperiode fortsetzen, ganz bewusst und gewollt auch in dieser Dreierkonstellation, die inzwischen zu einem politischen Markenzeichen für Thüringen geworden ist. Die Wählerinnen und Wähler wissen also, was sie bekommen, wenn sie einer der drei gegenwärtig regierenden Parteien ihre Stimme geben.
Würden Sie auch mit der CDU koalieren?
Die Frage stellt sich mir nicht. Sie mag als Gedankenspiel für politische Beobachter und Journalisten von Interesse sein, hat aber für die praktische Politik keine Relevanz. Aber die Entwicklung und – damit verbunden – die schwindende Bindungskraft der Parteien verlangt nach Bereitschaft, auch neue Wege zu gehen. Ich hätte es begrüßt, wenn Frau Merkel nach der letzten Bundestagswahl die Kraft gehabt hätte, eine Minderheitsregierung im Bund zu bilden. Leider hat sie lieber eine Koalition gebildet, unter der am Ende alle leiden.
Wie lange geben Sie der Groko noch?
Diese Frage müssen sie den politischen Akteuren in Berlin stellen. Aber eine weitere politische Lähmung durch wechselseitige Blockaden innerhalb der großen Koalition täte unserem Land nicht gut.
Wen sehen Sie als Ihren stärksten Gegner an?
Ich habe keinen Gegner. Ich habe einen konservativen Mitbewerber, den CDU-Politiker Mohring. Es zeichnet unsere Demokratie aus, dass die Parteien im Wahlkampf ihre unterschiedlichen Konzepte den Bürgern erläutern können und gleichzeitig respektvoll und fair miteinander umgehen. Ich freue mich auf einen spannenden Wahlkampf, an dessen Ende die Menschen entscheiden können, ob sie das Konzept Ramelow behalten wollen oder eine Ablösung durch ein konservativ-liberales Angebot von Herrn Mohring favorisieren.
Wird die AfD Ihnen viele Stimmen wegnehmen?
Die AfD nimmt keine Stimmen weg. Sie hat es vielmehr geschafft, Menschen wieder an die Urnen zu bringen, die vorher nicht zur Wahl gegangen sind. Als Demokrat kann ich nicht einerseits begrüßen, dass Menschen zur Wahl gehen, und mich dann andererseits darüber beklagen, wenn sie eine Wahl treffen, die mir nicht gefällt. Bei der Europawahl haben wir eine Zunahme der Wahlbeteiligung um zehn Punkt gehabt. Das hat mich sehr gefreut, zumal es vorher geheißen hat, Europa sei vielen egal. Zu Thüringen: Meine Partei hat erheblich Federn lassen müssen, und die AfD hat keinen Zuwachs mehr zu verzeichnen.
Zieht Björn Höcke nicht mehr?
Die AfD hat in Thüringen ihren Zenit erreicht. Und die persönlichen Werte von Herrn Höcke sind extrem negativ. Er kommt nicht mal in die Nähe der Ergebnisse seiner Partei. Wir müssen im Wahlkampf auch den AfD-Wählern sehr deutlich machen, wer AfD wählt, wird Höcke bekommen.
Hat die AfD nicht längst die Links-Partei als die neue Regionalpartei Ost abgelöst?
Wir sind immer noch die gleiche Partei, nur in einem Verjüngungsprozess. Aber wir sind nicht mehr die ausgegrenzte Partei von früher. Damals hatten wir einen garantierten Stimmenzuwachs immer dann, wenn Pfarrer Hinze als CDU-Generalsekretär rote Socken in die Kamera gehalten hat. Jetzt müssen wir uns unsere Wahlergebnisse erarbeiten. Und das können wir auch schaffen. Wir sind nach wie vor die Partei, der die höchste Ost-Kompetenz durch die Wähler zugemessen wird. Und mit meinen persönlichen Beliebtheitswerten bin ich ebenfalls nicht unzufrieden.
Was ist der richtige Umgang mit der AfD? Entzauberung durch Regierungsbeteiligung?
Offenkundig kann die AfD machen, was sie will. Es wäre völlig ausreichend, die AfD und ihre Funktionsträger nach den Grundregeln politischen Anstands und demokratischer Redlichkeit zu beurteilen. Was mich sorgt, ist die Tendenz, dass die permanenten Grenzverletzungen nach rechts mehr und mehr als politische Normalität wahrgenommen werden. Was vor wenigen Jahren noch als unsagbar galt, stößt heute auf nur noch geringen Widerspruch und erlaubt es der AfD am Ende noch, sich selbst als Opfer darzustellen.
Wäre die AfD für Sie ein möglicher Koalitionspartner?
Jede Partei, die an einer Wahl teilnimmt, ist Teil eines demokratischen Wahlaktes, sie wird damit aber nicht zu einer demokratischen Partei. Die NPD im thüringischen Eisenach hat auch an demokratischen Wahlen teilgenommen und ist gewählt worden. Die der Links-Partei angehörende Oberbürgermeisterin hat nach der Wahl den NPD-Leuten den Handschlag verweigert. Einer von ihnen, der unter anderem wegen eines Sprengstoffanschlages und wegen Körperverletzung vorbestraft ist, klagt jetzt vor einem bürgerlichen Gericht, dass ihm die Oberbürgermeisterin die Hand geben muss. Wie absurd ist das denn?
Wie halten Sie es mit dem Nationalen?
Ich habe kein Problem damit, dass auch nationale Aspekte thematisiert werden. Ebenso wenig fremdele ich mit dem Begriff Heimat. Das findet nicht jeder in meiner Partei gut. Trotzdem sage ich: Heimat ist etwas Gefühltes. Sich heimisch zu fühlen ist wichtig für viele Menschen, wir dürfen das nicht ignorieren. Allerdings werbe ich dafür, dass, wer Heimat erhalten will, auch bereit sein muss, sie zu verändern. Heimat grenzt nicht aus, sondern schließt ein.
Ist Deutschland 30 Jahre nach der Wende noch immer geteilt?
Deutschland ist so geteilt, wie es jahrhundertelang immer war: in Nord und Süd, in Ost und West. Das Nord-Süd-Gefälle hat es in Deutschland auch immer gegeben. Wenn Baden-Württemberg Leute eingestellt hat, sind die Leute aus Nordfriesland ausgewandert. In der jüngeren Geschichte kommt nun die Komponente DDR als eine weitere Herausforderung hinzu. Da sind meines Erachtens bei der Wiedervereinigung schwere Webfehler gemacht worden. Am verheerendsten wirkt aber bis heute die katastrophale Politik der Treuhand nach. Das ist ein echtes Ost-West-Thema. Oft bekamen Ostdeutsche keine Chance, aber die Verantwortung für verfehlte Privatisierungen an Blender oder Hasardeure wollte nie jemand übernehmen. So ging die Deutsche Einheit mit Massenarbeitslosigkeit los. 3,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind nach der Wende weggezogen. Das spüren wir noch heute! Der für mich zentrale Punkt ist der, dass der Westen so gut wie alle Ideen, die die Menschen aus den neuen Ländern mitgebracht haben, richtig arrogant abgebürstet hat.
Haben Sie ein Beispiel?
Die Betreuung in den Kindergärten. In Niedersachsen sind es vier Stunden am Tag, in Hessen sechs und in Thüringen zehn. Das längere gemeinsame Lernen in der Schule war in der DDR gelebte Praxis. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist in den neuen Ländern deutlich höher als in Westdeutschland. Der Osten hätte also einiges einzubringen gehabt. Bekommen haben die Ostländer aber in aller Regel das Westsystem. Und das war längst selbst reformbedürftig.
Was halten Sie von der These, dass der Osten den Westen nicht mehr einholen kann?
Das muss er auch nicht. Wenn ich nur auf den Hintern von Baden-Württemberg schaue, der immer schneller davonrennt, dann werde ich mutlos. Ich könnte aber auch die Perspektive wechseln und Europa als Ganzes betrachten. Unter allen 28 europäischen Staaten läge Thüringen nach allen relevanten wirtschaftlichen Rahmendaten auf Platz 19. Mit Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammen wären wir auf Platz 13. Sehr ärgerlich ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass in Deutschland aufgrund der Steuerverteilquote immer nur diejenigen Länder die Steuern der großen Firmen kassieren, in denen deren Zentrale beheimatet ist. Das müssen wir ändern. Dann hätte Kölleda, der größte Motorenstandort von Daimler, wesentlich höhere Steuereinnahmen. Stuttgart profitiert von Fleiß und Tüchtigkeit der Arbeitnehmer in Kölleda. Das hat schon was von Kolonialismus.
Ist es richtig, den Soli jetzt größtenteils abzuschaffen?
Ich habe immer vorgeschlagen, den Soli beizubehalten, aber ihn für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in allen Regionen, die unterhalb des Durchschnitts liegen, zu verwenden. Ganz ähnlich, wie die EU-Fonds verteilt werden. Dann würde der Vorwurf – „in Jena braucht ihr es doch nicht" – entkräftet. Mittlerweile sehen das auch immer mehr meiner Ministerpräsidenten-Kollegen so. Auch das Saarland braucht zum Beispiel eine Entschuldung. Ebenso Bremen.
Alle ostdeutschen Ministerpräsidenten haben sich für das Ende der Sanktionen gegenüber Russland ausgesprochen …
Die Sanktionen waren offiziell mit der Absicht in Kraft gesetzt worden, den Ukraine-Konflikt lösen zu helfen. Ich denke, die Sanktionen haben die westlichen Staaten diesem Ziel keinen Schritt näher gebracht, dafür aber der Wirtschaft in den ostdeutschen Ländern geschadet. Wer wie meine Ministerpräsidenten-Kollegen und ich für ein Ende der Sanktionen wirbt, verschließt weder die Augen vor den kriegerischen Handlungen in der Ukraine, noch ist er deshalb ein Befürworter von Präsident Putin oder autokratischen Herrschaftsformen. Es gibt keine Alternative zum Dialog, der durchaus kritisch geführt werden sollte. Und auch da können die neuen Länder einiges beisteuern. Die Ostländer haben nach wie vor exzellente Kontakte nach ganz Osteuropa: Thüringens größter Handelspartner ist Ungarn. Vilnius ist die Partnerstadt von Erfurt.
Angesichts des Mordes an dem CDU-Politiker Lübcke stellt sich die Frage, ob wir jetzt von einer neuen Gefahr eines Terrors von rechts ausgehen müssen?
Das ist nun wirklich keine neue Gefahr. Ich erinnere an das Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980. Es gab damals im Luxemburger Bombenleger-Prozess Aussagen eines Kronzeugen, wonach ein hochrangiger Bundeswehr-Offizier beteiligt war und dass heimliche Sprengstofflager angelegt worden sind. Offenkundig haben wir nach wie vor eine rechtsextremistische Struktur von gewaltbereiten Tätern. Ich hoffe, dass der Mord an Herrn Lübcke auch unsere Sicherheitsbehörden sensibilisiert, dem organisierten Rechtsextremismus und auch Rechtsterrorismus die Aufmerksamkeit zu widmen, die ihm gebührt, um Demokratie und Rechtsstaat zu schützen.
Was muss der Staat tun?
Es hat eine Weile gedauert, bis man zu der Erkenntnis kam, dass der Angriff auf Herrn Lübcke ein Angriff auf uns alle ist. Vor dem Mord an ihm gab es schon 170 Morde aus rassistischen Motiven. Und nach wie vor ist vieles ungeklärt, wie zum Beispiel die Frage, warum der NSU am Ende eine aus Thüringen stammende Polizeibeamtin umgebracht hat. Der Fall Lübcke zeigt, dass wir viel gründlicher in die Strukturen hineingehen und nicht zuletzt klären müssen, welche V-Leute an welchen Personen dran waren.
Was halten Sie von Lafontaines Wiedervereinigungsidee?
Also die nächste Frage bitte. Ich stehe für Vereinigungsprozesse nicht zur Verfügung, ich möchte auch weiterhin mein Bundesland regieren.