Vor einem Jahr sorgte die Sammlungsbewegung „Aufstehen" für große Aufmerksamkeit. Seit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht herrscht Funkstille.
Über mangelnde Aufmerksamkeit konnten sich die Initiatoren nicht beklagen. Der Vorlauf war professionell, Anfang August 2018 wurde mit der inszenierten Freischaltung der Webseite die Sammlungsbewegung aus der Taufe gehoben, vier Wochen später die Idee im Rahmen der Bundespressekonferenz erläutert. Die Neugier auf das was sich dort tut war enorm, wie die Zahl derer, die sich für Informationen anmeldeten, zeigte. Zugleich konnte sich aber auch die Reihe der Kritiker sehen lassen. Hätte das alte Sprichwort „Viel Feind, viel Ehr‘" noch Geltung, dann hätte „Aufstehen " einen ehrenvollen Start hingelegt. Gesichter und Ideengeber der Bewegung: Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Fabio de Masi.
„Eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine soziale Politik, eine gesunde Umwelt und Frieden. Aber die Interessen der Mehrheit haben keine Mehrheit im Bundestag", heißt es auf den „Aufstehen"-Seiten. Rechnerisch hatten lange Zeit SPD, Linke und Grüne eine Mehrheit, politisch kamen sie aber nie zusammen. „Aufstehen" wollte als Sammlungsbewegung parteiübergreifend diese Interessen bündeln. Ähnliche Versuche waren auch andernorts zu besichtigen: „La France insoumise" (Unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Mélanchon, „Momentum" von Jeremy Corbyn in England oder „The people for Bernie Sanders" in den USA waren ähnliche Versuche, eine Art Graswurzelbewegung für eine linke Politik zu organisieren und damit Druck auf das etablierte Parteiensystem zu machen. Die Solidarisierung mit Frankreichs Gelbwesten war naheliegend.
Von „Fridays for Future" weitgehend verdrängt
Die Euphorie bei den angesprochenen Parteien hielt sich in überschaubaren Grenzen. Insbesondere Lafontaine wurde aus seiner ehemaligen SPD als wenig glaubwürdiger „Spalter" angegriffen. Sahra Wagenknecht geriet in der eigenen Partei in die Kritik, der Parteivorstand distanzierte sich von der Bewegung. Das Wort vom „linken Populismus" machte die Runde. „Neue Mehrheiten in Deutschland und Europa" rückten in immer größere Ferne. Dass „Aufstehen" eben keine Partei sein wollte, schien den an klassische Parteien gewöhnten Deutschen offenbar suspekt. Zugleich war es eine der Schwächen, über keine starken Strukturen zu verfügen. Hinzu kam der für neue Bewegungen übliche Diskussionsbedarf, bei dem vieles mehr zerredet als praktisch angepackt wurde.
Im März dieses Jahres kündigte Sahra Wagenknecht (auch aus gesundheitlichen Gründen) ihren Rückzug von der Spitze an. Resigniert stellte sie fest: „Die Parteien, die wir ansprechen wollten, haben sich eingemauert." Zu diesem Zeitpunkt hatten sich nach eigenen Angaben rund 170.000 Unterstützer bei der Bewegung registrieren lassen.
Die Protagonisten von „Aufstehen" verweisen immer wieder mutmachend auf Beispiele, wo massiver öffentlicher Protest erkennbare Wirkung gezeigt, Politik korrigiert hat. Am prominentesten das Freihandelsabkommen TTIP und der zivilgesellschaftliche Protest in Europa oder die Gelbwesten, die Frankreichs Präsident Macron teilweise zum Einlenken bei seinen Reformplänen brachten.
Inzwischen reden alle von den „Fridays for Future", „Aufstehen" scheint keine Rolle mehr zu spielen, wird von Politik und Medien inzwischen weitgehend als Randerscheinung abgeschrieben. Die Herausforderungen, vor deren Hintergrund die Sammlungsbewegung ins Leben gerufen wurde, wurden allerdings nicht geringer. Dazu kommt ein weiteres Erstarken am rechten Rand des politischen Spektrums bei gleichzeitigem Vertrauensverlust gegenüber linken Parteien, nimmt man die Ergebnisse der Europawahl als Maßstab.
Seit den Schlagzeilen um Wagenknechts Rückzug ist es ruhig geworden um die Bewegung. Ende März/Anfang April hat der Trägerverein mit dem Aufbau neuer, quasi professioneller Strukturen begonnen, um als Plattform Gruppen und Aktive vor Ort zu unterstützen.