Bei der Europawahl abgestürzt, die Umfragewerte im Keller. Die Sozialdemokraten kommen nicht aus dem Knick. Doch bei den zehn Kommunalwahlen gab es viele SPD-Lichtblicke, etwa im Landkreis Merzig-Wadern an der Saar.
SPD-Mann Sebastian Schmitt muss am Montagmorgen an seinem Arbeitsplatz im saarländischen Wirtschaftsministerium in Saarbrücken ein bisschen aufpassen, dass seine Freude nicht direkt aus ihm herausplatzt. Es ist der Montag nach der Europawahl, an dem es für die Mitarbeiter mit CDU- oder SPD-Parteibuch eigentlich nicht viel zu lachen gab. Für beide Volksparteien war die Europawahl ein Fiasko. Gemeinsam haben Europäische Volkspartei und Sozialdemokraten im Europaparlament die Mehrheit verloren. Obendrein hat die SPD das schlechteste Ergebnis bei einer deutschlandweiten Wahl seit 1898 eingefahren.
Trotz alledem: Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende aus Beckingen ist unverschämt gut gelaunt, genauso wie seine knapp 100 Mitstreiter. Kein Wunder, bei der Gemeinderatswahl haben sie satte 36,3 Prozent eingefahren und die Mehrheit der CDU gebrochen. Bundesweit ein absoluter Spitzenwert. In der SPD-Zentrale an der Berliner Stresemannstraße träumt man von solchen Werten. Die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles erwähnte in der Wahlnachlese nur zu gern solche Kommunalwahlergebnisse, wie das der Beckinger.
Mitte Juni ging es für die erfolgreichen Sozialdemokraten von der Saar in die Hauptstadt, Ehrenfahrt des Ortsvereins zum 100-jährigen Bestehen der Beckinger SPD. Eigentlich wollten die „kleinen Kommunalpolitiker" mal schauen, wie die „große Politik" so erfolgreich funktioniert. Doch nun kamen die Kommunalpolitiker in Berlin bei ihrer Bundespartei richtig groß raus, „denn bei uns funktioniert die Volkspartei noch", freut sich Sebastian Schmitt im FORUM-Gespräch. Die Kosten für die Berlinsause hat übrigens zur einen Hälfte der Ortsverband bezahlt, die andere Hälfte mussten die reisenden Genossen aus der eigenen Taschen zahlen. Angesprochen in der Berliner SPD-Parteizentrale auf den kommunalen Erfolg ist die Antwort so simpel wie einleuchtend. „Unser Bürgermeister Thomas Collmann hat im Wahlkampf in unseren neun Gemeindebezirken wirklich vor jeder Tür gestanden und die Menschen direkt angesprochen", erzählt Schmitt.
Unverschämt gut gelaunt
Das neue Zauberwort: Haustürwahlkampf. Schon bei der Landtagswahl vor zwei Jahren setzen SPD wie CDU an der Saar darauf. Stirnrunzeln bei den Mitarbeitern im Berliner Willy-Brandt-Haus und der nicht ganz unberechtigte Einwand, dass man so was ja in einer kleinen Gemeinde machen könne, aber nicht in der Fläche oder in Großstädten. Das will der Beckinger Vorstandskollege Roland Seiwert so nicht stehen lassen. „Wozu gibt es denn die ganzen Gliederungen, runter vom Landesverband bis in den Ortsverein? Damit in allen Gliederungen der direkte Kontakt zu den Menschen gehalten wird, sonst funktioniert das nicht", gibt der 69-jährige, der seit fast 30 Jahren SPD-Mitglied ist, zu bedenken. Auch die anderen Beckinger Genossen sehen eine der Hauptaufgaben der Bundespartei darin, einen Wahlkampf vom Bund in die Länder und von da in die Kommunen zu organisieren. Vor 30 Jahren hat das sicherlich noch bundesweit funktioniert, die SPD hatte mit über 800.000 Parteimitgliedern einen extrem hohen Organisationsgrad. Doch seitdem hat sich die Mitgliederzahl beinahe halbiert.
Wie dramatisch die kommunale Lage bei den Sozialdemokraten heute ist, zeigt sich besonders in Ostdeutschland, wo am 1. September in Brandenburg und Sachsen gewählt wird. Der sächsische SPD-Landeschef Martin Dullig räumte kürzlich in einem FORUM-Gespräch ein, dass die SPD in seinem Land in vielen Gemeinden als Organisation gar nicht mehr existent ist. Dullig muss in Orten Wahlkampf machen, in denen es überhaupt keinen Ortsverband mehr gibt oder teilweise noch nie gab. Da braucht man mit Haustürwahlkampf gar nicht erst anfangen. So was kann sich natürlich seine saarländische Amtskollegin Anke Rehlinger überhaupt nicht vorstellen. Die Saar-SPD hat die höchste Organisationsdichte von allen Landesverbänden. Doch auch die Beckinger SPD-Genossen staunen nicht schlecht, als ihnen in Berlin die dramatische Lage ihrer Partei in einzelnen Landstrichen der Republik geschildert wird.
Derzeit ist die Bundespartei erst mal dabei, sich selbst wieder zu finden, beziehungsweise in Teilen neu zu erfinden. Dass eine künftige Doppelspitze durch einen Mitgliederentscheid gefunden werden soll, wird von den Beckinger SPD-Genossen rundheraus begrüßt. Ortsvereinsvorsitzender Sebastian Schmitt sieht darin den richtigen, allerdings nur ersten Schritt (siehe Interview rechts). Der 30-Jährige wünscht sich für die Zukunft einen intensiveren Austausch vom kleinen Ortsverband mit der Bundeszentrale. So sollte zukünftig „Landesverbandsmitarbeitern eine Hospitanz in der Bundeszentrale oder Kommunalpolitikern ein stärkeres Weiterbildungsprogramm angeboten werden. Damit könnte man der lokalen Eben in der Bundeszentrale besser Gehör verschaffen", sagt Schmitt.