Jacques Berndorf und Michael Kramp machten mit ihren Romanen die Eifel berühmt. In Hillesheim, der Krimihauptstadt Deutschlands, können Krimifans zu Tatorten wandern, im „Miss Marple"-Zimmer übernachten oder das „Kriminalhaus" erkunden.
Welche Farbe hat die Schuhcreme, mit der Siggi Baumeister im Krimi ‚Der Bär‘ seine Wildlederschuhe ruiniert?", fragt Hella Blick vor dem Hillesheimer Krimihotel. Die Gästebegleiterin – Klarname: Petra Denter – führt seit ein paar Jahren Besucher durch den Ort. Der Rundgang auf den Spuren der von den Autoren Jacques Berndorf und Michael Kramp erschaffenen Ermittler Siggi Baumeister und Herbie Feldmann ist eine der Krimitouren durch und um den Eifel-Ort Hillesheim.
Das Dorf mit Stadtrechten setzt seit mehr als zehn Jahren auf das Thema Krimi, um Fans von literarischem Mord und Totschlag in die abgelegene Vulkan-Eifel zu locken. Aber nicht nur: „Viele kommen wegen der Natur oder der Geologie und entdecken uns dann", erzählt der Geschäftsführer der Touristeninformation, Manfred Schmitz. „In Hillesheim führt kein Weg am Krimi vorbei."
Im vergangenen Jahr zählten die Touristiker 80.000 Übernachtungen in dem 3.000-Seelen-Ort, 30.000 Wanderer auf den beiden Krimiwanderwegen im Landkreis Vulkaneifel. 10.000 Hobby-Ermittler begaben sich bei geführten Touren per pedes oder per Bus auf Spurensuche. Rund die Hälfte der Besucher sind nach Schmitz’ Schätzung eingefleischte Krimifans, die andere Hälfte Erholungssuchende, etwa Wanderer, Rad- oder Motorradfahrer, die durch die zahlreichen Krimiangebote neugierig werden. Auf die Idee mit dem blutrünstigen Thema kamen die Touristiker durch den Boom an Regionalkrimis in Deutschland, den Altmeister Michael Preute alias Jacques Berndorf in den 90er-Jahren maßgeblich beförderte, vielleicht sogar auslöste. Vor genau 30 Jahren erschien sein erster Band „Eifel-Blues" um den Journalisten Siggi Baumeister, der zusammen mit den pensionierten Kommissaren Rodenstock und Emma ermittelt.
Es dauerte einige Zeit, bis die Hillesheimer das Thema auch touristisch aufgriffen. Immer mehr Menschen wollten die Schauplätze der Reihe einmal mit eigenen Augen sehen. Hillesheim wurde zur Krimihauptstadt Deutschlands – „mehr durch Zufall als durch Steuerung", wie Manfred Schmitz sagt. 2004 kamen zwei junge von der IHK ausgebildete Gästeführerinnen mit der Idee zu Schmitz, Geotouren anzubieten.
Der Touristik-Manager drückte ihnen kurzerhand den bereits 2002 erstmals erschienen Krimireiseführer von Josef Zierden und drei Eifel-Krimis in die Hand, mit der Aufgabe, innerhalb von einem Jahr zwei Krimiwanderungen auszuarbeiten. Die gibt es jetzt, wie Petra Denter – eine der beiden Frauen der ersten Stunde – erzählt. Startpunkt der kürzeren – immerhin noch 17 Kilometer langen – Tour ist die Hillesheimer Tourismuszentrale, die zusammen mit der Post in der Mitte des Ortes untergebracht ist, im Zentrum des Verbrechens.
Viele berühmte Detektive sind allgegenwärtig
Der Weg führt zum Golfplatz Berndorf, zum Steinbruch Weinberg und weiteren Schauplätzen von literarischen Morden. Einmal im Monat gibt es begleitete Touren für jedermann. Aber die Landschaft kann man auch alleine erwandern. Umfassende Erklärungen zu den Stationen stehen in einer Broschüre, die man für 3,80 Euro in der Tourismuszentrale bekommt.
Nebenbei bieten sich dem Wanderer grandiose Ausblicke auf die Orte, Wiesen und Wälder. Im Frühsommer leuchten bei Sonnenschein Mohn in Rot, Kornblumen in Blau und Ginster, Löwenzahn und Butterblumen in Gelb. Die Morgen- und Abendsonne leuchtet die Kirchtürme der Ortschaften magisch an. Und bisweilen treibt der Wind Regenwolken übers Land. Der düstere Himmel bietet eine perfekte Kulisse für den literarischen Mord und Totschlag. Denn die Idylle trügt. Herzstück der Hauptstadt des Verbrechens ist das „Kriminalhaus", das in einem alten Gemäuer im Zentrum von Hillesheim untergebracht ist.
Draußen schieben sich Autos und Lastwagen durch die enge Hauptstraße. Drinnen herrscht Ruhe, die zum Schmökern einlädt. „Jacques Berndorf hat mit seinen Werken damals ins Schwarze getroffen", erzählt Kriminalhaus-Betreiber Ralf Kramp. „Die Zeit war einfach reif. Überall auf der Welt gab es Krimis mit Lokalkolorit, nur in Deutschland nicht!"
Kramp betreibt nebenbei seinen eigenen Verlag, der Regionalkrimis aus der Eifel, aber auch aus anderen Teilen des deutschsprachigen Raums verlegt. Vor allem ist der 55-jährige Verfasser und Karikaturist Liebhaber von Krimis und des schwarzen Humors britischer Prägung.
Das merkt man spätestens im Dachgeschoss des Kriminalhauses, wo das Deutsche Krimi-Archiv mit rund 30.000 Büchern untergebracht ist. In eigenen Abteilungen stehen die Werke, Filmscripts, Spiele und sonstige Devotionalien von und über Agatha Christie und Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes. Ausleihen kann man die Bücher der Bibliothek nicht, aber auf ledernen Chippendale-Sofas und -Sesseln nach Herzenslust schmökern oder eine Treppe höher eines der dort gesammelten Krimispiele ausprobieren.
Im ganzen Haus hat Kramp zusammen mit seiner Frau Monika unzählige Erinnerungsstücke aufgestellt. Im „Café Sherlock" im Erdgeschoss und ein Stock höher im Rauchersalon sind die berühmten Detektive allgegenwärtig: Antike Möbel und Apparaturen, Filmplakate, Fotografien, Mordwaffen, Gemälde, lebensgroße Puppen …
Alles erinnert an die Großen der Krimiliteratur. Die Tische im „Café Sherlock" sind nach Ermittlern wie Miss Marple, Hercule Poirot, Philip Marlow oder Pater Brown benannt. Vor allem am Wochenende wird es schwierig, noch einen Platz – etwa im „Orient-Express"-Abteil – zu ergattern, einen Miss Marple’s Cream Tea oder einen Cappuccino Brunetti zu schlürfen und ein Stück selbst gebackener Torte zu genießen.
In der Buchhandlung „Lesezeichen" hat Monika Kramp ein eigenes Krimikabinett eingerichtet, in dem es neben den Eifel-Krimis von Berndorf und ihrem Mann Kriminalliteratur aus aller Welt gibt. Hier kann man auch eine Ermittlungsakte kaufen, um mit deren Hilfe allein oder in der Gruppe einen Mord aufzuklären, der sich in den 70er-Jahren im Dachgeschoss zugetragen haben soll.
Das Potenzial des Themas haben auch die Hotelpächter in Hillesheim erkannt: Gleich neben ihrem Vier-Sterne-Haus betreiben sie seit 2009 ein Krimihotel, das wohl einzige Themenhotel seiner Art in Deutschland. 15.000 Besucher gönnen sich pro Jahr Übernachtungen in einem der teilweise mit Original-Gegenständen aus der Kriminalliteratur und ihren Verfilmungen liebevoll ausgestatteten Zimmer und Suiten.
Festival „Tatort Eifel" im September
An den Türen weisen Schilder auf ihre Ausstattung hin: Columbo, James Bond, Alfred Hitchcock, Derrick, Kommissar Maigret, Edgar Wallace, Inspector Barnaby und so weiter. Wer die Wahl hat, hat die Qual. „Am begehrtesten sind die Doppelzimmer der Klassiker Miss Marple und Sherlock Homes", berichtet Hotelchef Ruud Zillich. Gerade neu im Angebot ist die Suite „Mord mit Aussicht". Eines der beiden Schlafzimmer und das Wohnzimmer wurden mit Requisiten der inzwischen eingestellten Kultserie ausgestattet. Dort kann man im Bett von Kommissarin Sophie Haas nächtigen, unter dem Hirschgeweih im Wohnzimmer einen gepflegten Rotwein trinken oder ein Selfie schießen. Ein zweites Schlafzimmer ist dem Polizeirevier des fiktiven Eifelortes Hengasch nachempfunden.
„Das Krimihotel ist ein arbeitsintensives Hotel", berichtet Hotelchef Zillich. So habe die Einrichtung der „Mord mit Aussicht"-Suite 35.000 Euro gekostet. Doch der Aufwand scheint sich zu lohnen. Das Hotel werfe mit einer Auslastung von mehr als 50 Prozent Profit ab und auch die „Hengasch"-Suite wurde gleich nach Fertigstellung dutzendfach gebucht, freut sich Zillich. Viele andere Hotels in der strukturschwachen Eifel hätten dagegen dichtmachen müssen, bedauert er. „Hier in Hillesheim ziehen wir alle an einem Strang", erzählt der aus den Niederlanden stammende Hotelier. Sein Erfolgsgeheimnis heißt „Event-Programme". Angeboten werden Pakete mit Übernachtung im Themenzimmer, Menü und dem Begrüßungscocktail „Blutrausch" – mal mit Krimilesung, mal mit Krimidinner zu Preisen zwischen 99 Euro (ein Tag) bis zu 381 Euro (fünf Tage in einer Suite). Und im Dachgeschoss gibt es einen Escape-Room, aus dem es erst ein Entkommen gibt, wenn die Teilnehmer in dem Spiel „Süße Rache" durch Kombinieren den Schlüssel gefunden haben. Auch der Landkreis Vulkaneifel hat das Thema für sich entdeckt. Alle zwei Jahre wird dort das Festival „Tatort Eifel" gefeiert, das auf die Verbindung zwischen Literatur und Fernsehen setzt – im September schon zum zehnten Mal. Außer in Hillesheim gibt es Ausstellungen, Lesungen und Filmpremieren vor allem in der Kreisstadt Daun und in Manderscheid.
Nach dem Boom in den 90er-Jahren wurde dem Regionalkrimi in Deutschland oft das Ende vorausgesagt. Verleger Kramp und Touristikmanager Schmitz können das nicht feststellen. Der Zuspruch sei ungebrochen. Natürlich müsse man sich immer etwas Neues einfallen lassen, um die Gäste bei der Stange zu halten, so Schmitz. Sein Traum wäre ein eigenes Krimifestival. Und die Pläne für einen dritten Krimiwanderweg liegen schon bei ihm in der Schublade. „Unser Handicap könnte sein, dass Preute alias Jacques Berndorf keine Krimis mehr schreibt." Das letzte Baumeister-Abenteuer des heute 82-Jährigen, „Eifel-Krieg", erschien 2013. „Aber selbst wenn: den Erfolg der vergangenen Jahre kann uns keiner mehr nehmen."