Die Biografie zahlreicher in deutschen Museen ausgestellter Werke ist nach wie vor nicht gänzlich geklärt. Provenienzforscher arbeiten daran, Raubkunst und in der NS-Zeit enteignete Kunst als solche zu identifizieren.
Es ist eine mühsame, mitunter ziemlich detektivische Arbeit, die Provenienzforschung. Ein Zweig der Kunstgeschichte, der sich mit Sammler- und Sammlungsgeschichte beschäftigt. Erst seit 1998 hat sie sich als eigener Forschungszweig etabliert – als Folge der sogenannten Washingtoner Erklärung. Dabei hatten sich 44 Staaten und zahlreiche Organisationen als Ergebnis der „Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust" verpflichtet, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke der Raubkunst zu identifizieren und deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen sowie eine gerechte und faire Lösung zu finden.
So fasst es auch Dr. Wolfgang Schöddert zusammen, er ist an der Berlinischen Galerie für den Bereich Provenienzforschung zuständig. Jahrzehntelang hätten sich Museen kaum die Frage gestellt, auf welch mitunter verschlungenem Weg ein Kunstwerk ins Haus gelangt sei. Doch jetzt arbeiteten bundesweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einer ganzen Reihe von Museen daran, die Geschichte der vor 1945 entstandenen Werke gründlich zu untersuchen. Und nachdem die Provenienzforschung in Deutschland eher schleppend angelaufen war, gibt es heute das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, das im Haushaltsjahr 2019 Zuwendungen des Bundes (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien) in Höhe von gut acht Millionen Euro erhielt, um damit die Forschung zu unterstützen.
Zudem gibt es entsprechende universitäre Ausbildungen sowie an der FU Berlin einen Weiterbildungslehrgang. Dabei können sich interessierte Kunsthistoriker für den speziellen Forschungszweig qualifizieren.
Wolfgang Schödderts Arbeitsalltag und der von Denise Handte, die an der Berlinischen Galerie ein Volontariat für Provenienzforschung absolviert, beinhaltet meist reichlich Quellenarbeit. Denn am Anfang einer jeden Recherche steht die Frage, wie genau das betreffende Kunstwerk ins Museum gelangt ist. Bei der Berlinischen Galerie ist diese Frage noch etwas komplizierter, denn das Museum wurde erst 1975 eröffnet, ist auf Kunst der Moderne seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und zeitgenössische Werke spezialisiert. Was also ist mit dem betreffenden Werk in dem Zeitraum zwischen seiner Entstehung und 1945 passiert? In wessen Besitz hat es sich befunden? Schritt für Schritt wird eine „Objekt-Biografie" erstellt.
Dabei, so erklären Schöddert und Handte, versuche man datumsgenau zu recherchieren, wann ein Werk im Handel war und zu welchen Preisen. Recherchen beginnen in der Regel mit einem Blick auf die Rückseite des Werks. Mit etwas Glück sind am Orginalkeilrahmen noch Aufkleber zu finden, die Galerien dort angebracht haben, in denen das Werk angeboten wurde. Von dort aus lässt sich weiter recherchieren.
Grundsätzlich gilt, alle zur Verfügung stehenden Quellen zu nutzen, wichtig sind die Werkverzeichnisse. Hier sind normalerweise alle bekannten Werke eines Malers oder auch von Schriftstellern und Komponisten aufgelistet, manche dieser Verzeichnisse werden bereits zu Lebzeiten des Künstlers angelegt. Doch häufig sind diese nicht so präzise, wie sie es für die Provenienzforschung sein sollten. Ein weiterer Punkt, der das lückenlose Erschließen einer Werkbiografie so langwierig macht. Schwierig ist, erzählt Wolfgang Schöddert, dass man nach 1945 bei Werkverkäufen oft nicht erwähnt habe, dass die Gemälde, Skulpturen oder Zeichnungen in jüdischem Vorbesitz waren. Erst Ende der 90er-Jahre wurde diese Frage für Museen relevant.
Zurück aber zur Sammlung der Berlinischen Galerie. Wolfgang Schöddert steuert hier zunächst auf eine Skulptur zu, die den Boxer Max Schmeling zeigt. Es ist eine Bronze, ein Werk des 1886 geborenen Bildhauers Rudolf Belling, der nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Plastik „Dreiklang" berühmt geworden war. In der NS-Zeit aber zunehmend als entartet diffamiert wurde, schließlich 1937 in die Türkei emigrierte. Im Werkverzeichnis habe man nichts über die Herkunft dieses Gusses der Schmeling-Skulptur herausfinden können, erzählt Wolfgang Schöddert. Dafür aber auf der Bodenplatte eine Aufschrift gefunden: „Fritz Kindermann – in aufrichtiger Freundschaft von Rudolf Belling 1935."
Eine Postkarte gab Hinweise
Wer aber waren die Kindermanns? Wie sich im Austausch mit Rudolf Bellings Tochter recherchieren ließ, gut situierte Bekannte von Belling. In deren Berliner Villa hatte die Schmeling-Skulptur ursprünglich einen exponierten Platz eingenommen. In der Halle des Hauses war die Bronze auf dem Antrittspfosten einer imposanten Treppe angeschraubt.
Viele dieser Detailinformationen könne man dem Museumsbesucher natürlich nur bei speziellen Führungen vermitteln, heißt es. Aber in vielen Museen bemühe man sich zunehmend, auch auf den Hinweistafeln zum betreffenden Werk etwas mehr unterzubringen als lediglich Titel, Name des Künstlers und Entstehungsjahr.
Der Erforschung einer Werkbiografie räumt man freilich in der Berlinischen Galerie einen besonders großzügigen Bereich ein. Denn schließlich will man die vielen Schritte einer Recherche dokumentieren, die einzelnen Etappen, die im günstigen Fall dazu führen, dass Nachfahren des ursprünglichen Eigentümers wieder mit dem Werk zusammengebracht werden können. Und man gemeinsam mit dem Museum eine faire Lösung für den weiteren Verbleib finden kann.
Ein herausragendes Beispiel dafür findet sich im ersten Obergeschoss der Berlinischen Galerie. Die fünf Bilder des Jugendstil-Zyklus‘ „Tempeltanz der Seele" des Malers Fidus leuchten dem Betrachter förmlich entgegen, eine Frau entledigt sich ihrer Kleider, verfällt nach und nach in einen immer ekstatischer werdenden Tanz. Der Zyklus hat eine ziemlich bewegende Geschichte hinter sich, denn ursprünglich entstand er 1910 als Auftragswerk für das Berliner Paar Meta und Richard Neuhäuser. Das wäre letztlich unbemerkt geblieben – der Zyklus gehörte immerhin seit 40 Jahren zur Sammlung der Berlinischen Galerie, wenn es da nicht diese Postkarte von 1947 gegeben hätte. Darauf hat Fidus vermerkt, dass einer seiner Anhänger den Zyklus „von den jüdischen Erben Neuhäuser nach 1933" erworben habe.
Provenienzforscher Schöddert recherchierte das Schicksal der Familie Neuhäuser, fand heraus, dass sich Richard Neuhäuser 1935 das Leben nahm und seine Tochter nach Australien emigrierte. Wolfgang Schöddert spürt Nachfahren und Erben in Australien aber auch in den USA auf, einer Restitution stand damit nichts mehr im Weg. Und auch für die Berlinische Galerie endete das Ganze glücklich – zu einem nicht genannten Preis konnte der Fidus – Zyklus von den Erben wieder zurückgekauft werden.
Eine Kuratorenführung durch die Berlinische Galerie gibt es am 2. September - um 14 Uhr unter dem Titel „Wo kommt das her? Provenienzforschung im Museum." Die Führungsgebühr ist im Museumseintritt enthalten, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.