Virtual Reality, 3D-Modelle, Chatbots – neue Technologien erobern auch die Kunsthallen. Im digitalen Ausstellungsraum können Besucher per Smartphone oder Touchscreen Kunstwerke auf ganz neue Weise entdecken – Beispiele aus Berlin.
Digitale Medien eröffnen den Museen neue Chancen, ihre Schätze zu präsentieren. Nach wie vor geht es darum, Wissen zu vermitteln. Aber das Wie hat sich verändert. Der Umgang mit musealen Inhalten wird spielerischer. Im Fokus steht bei vielen digitalen Anwendungen – Überraschung: der Besucher. Er oder sie soll Kunst und Kultur mit möglichst vielen Sinnen erleben, sie hören, sehen und fühlen. Soll in Kunstwerke eintauchen können und Sammlungen selbstständig entdecken. Und dabei nicht mehr nur eine einzige Sicht auf die ausgestellten Objekte hören, sondern verschiedene Perspektiven einnehmen können. Klingt spannend? Ist es auch.
Dabei geht es im Museum der Zukunft nicht um Technologie, sondern darum, mit den Besuchern in Austausch zu kommen. Im Museum von heute allerdings spielt sich die Technik manchmal in den Vordergrund. Denn oft ist die Technologie so neu, dass man noch nicht absehen kann, wie belastbar oder reparaturanfällig sie ist. Während manche der digitalen Präsentationen schon ausgereift sind, wird an anderer Stelle Neues getestet und ausgewertet, verworfen und weiterentwickelt. Viele der neuen Angebote sind übrigens für die eigenen Geräte der Besucher entwickelt: Offenbar sind die meisten mit Smartphone oder Tablet unterwegs.
Kunstschätze selbst entdecken
Ein großer Vorteil, den die digitalen Anwendungen bieten, liegt in der Freiheit, die sie ihren Nutzern lassen: Besucher können selbst entscheiden, wie viel zusätzliche Infos sie erhalten wollen. So können Museen viele Inhalte präsentieren, ohne dass sie Besucher überfrachten – denn die wählen selbst aus und können so eine eigene Perspektive entwickeln.
Wie man digitale Anwendungen in die Vermittlung einbringen kann, das untersuchen zurzeit mehrere deutsche Kultureinrichtungen gemeinsam im Projekt „museum4punkt0". Das Projektteam der Staatlichen Museen Berlin hat für die Ausstellung „Humboldt Forum Highlights" etwa eine eigene Webseite entwickelt. Nutzer rufen diese über die Adresszeile im Browser auf, können sie dann aber, je nach Gerät, wie eine App offline nutzen. Die Seite zeigt 3-D-Objekte in Rundum-Ansicht, aktuell zum Beispiel auch eine bemalte Maya-Vase. Zum einen lässt sich die Vase in alle Richtungen drehen und wenden und zeigt so, was beim realen Objekt verborgen bleibt – beispielsweise die Unterseite. Das eigenständige Erkunden gelingt so auf andere Weise als beim Objekt in einer Glasvitrine. Zum anderen können Nutzer über Infopunkte am 3-D-Objekt mehr über die Erzählung erfahren, die auf die Vase gemalt ist. Welche Details sie erforschen, wie sie die Inhalte miteinander verknüpfen – das bleibt den Besuchern überlassen.
Webseite: xplore.museum4punkt0.de
Steine zum Leben erwecken
Digitale Medien können dabei helfen, komplexe Inhalte begreifbar zu machen. Etwa, indem sie schnell den Kontext zu einem Werk liefern, ohne dass man dazu etwas lesen müsste. Zum Beispiel für eine Hunderte Jahre alte Gebetsnische: Sie steht, mit blau-goldener Keramik verziert, im Museum für Islamische Kunst im 2. Stock des Pergamonmuseums. Eine App bringt die Steine darin zum Sprechen, genauer gesagt zum Singen: Dazu müssen Besucher auf ihren Smartphones die App „Tamam" öffnen, die das Museum anbietet. Wenn die Kamera des Smartphones die Gebetsnische erfasst hat, erwachen die Zeichen ringsum zum Leben und werden als Gesang hörbar. So wird die Funktion des Objekts klar, schließlich stand die Nische früher in einer Moschee und ist mit religiösen Versen geschmückt. Insgesamt 16 Ausstellungsstücke belebt die App mit Sprechblasen, Zeichnungen oder Landkarten. Sie betten die Exponate in ihre Zeit ein oder erklären Details. Die Technik hinter den Animationen heißt Augmented Reality: Dabei wird das reale Objekt durch die App mit Fotos, Grafiken oder Tönen erweitert.
Tamam: App für iOS oder Android im jeweiligen App Store
Geschichte hören, sehen, fühlen
Als Museum zum Anfassen präsentiert sich das DDR-Museum – im wörtlichen Sinn: Es zeigt gerade keine Unikate wie die vorigen Beispiele, sondern Objekte aus der DDR-Massenproduktion. Besucher können alle ausgestellten Möbel und Objekte berühren, an die Wählscheibentelefone gehen, die zahlreichen Schubladen öffnen, um weitere Exponate oder Infotexte zu finden. Das Küchenradio lässt sich genauso bedienen wie der Zündschlüssel des Trabis, in den man sich hineinsetzen kann. Und dann geht es los: Über einen Sensor startet der Motor und die Fahrt beginnt, es geht durch eine Plattenbau-Siedlung, die auf die Windschutzscheibe des Autos projiziert ist. Spielerei? Unbedingt. Und zwar eine, mit der Besucher die Plattenbau-Architektur der DDR im Wortsinn erfahren können. In der virtuellen 3-D-Architektur finden sie ihre eigene Strecke durch 60.000 Quadratmeter Plattenbauwelt und gewinnen so einen ersten Eindruck vom Alltag im Osten.
Mitten hinein in das Leben im Plattenbau führt eine komplett eingerichtete Wohnung in der Dauerausstellung. Im Schlafzimmer lässt sich etwa Originalkleidung aus der DDR anprobieren. In einem Schrank hängen verschiedene Outfits, vom Kleid bis zum Sportanzug. Berührt man sie an der Schulter, sieht man sich im digitalen Spiegel, von Kopf bis Fuß im jeweiligen Kleidungsstück. Auch der Blick aus dem Fenster auf Plattenbauten und Fernsehturm ist inszeniert: Er zeigt eine digital rekonstruierte Landschaft, die sich mit Tageszeit und Wetter verändert. So kann der Besucher den Blick aus dem 6. Stock einer Plattenbauwohnung nachempfinden, während das Museum selbst übrigens unterirdisch liegt.
Ganz ohne Erklärungen kommen auch im DDR-Museum nicht alle Objekte aus, aber sogar textlastige Installationen sind oft spielerisch präsentiert: In einem nachgebauten Büro stehen verschiedene Büro-Artikel auf der gläsernen Tischplatte. Berührt man Stempel, Locher oder Aschenbecher, tauchen bunte Felder auf der Glasplatte auf. Auf ihnen stehen dann kurze Texte, etwa zur politischen Gliederung der DDR oder zur Stasi. Diese bunten Bildschirme lassen sich hin und her schieben und schließen, wie man es vom Smartphone kennt. Vom digitalen Spiegel bis zum Multi-Touch-Tisch – die neuen Technologien sprechen oft mehrere Sinne gleichzeitig an. Über das Sehen, Tasten und Hören prägt sich die Geschichte nachhaltig ein.
Mit dem Chatbot durchs Museum
Zahlreiche Museen arbeiten bereits mit sogenannten Guide- oder Chatbots. Das sind Programme, mit denen Nutzer sich im Museum orientieren können – ähnlich den Audioguides. Aber eben zum Chatten. Durch das Jüdische Museum etwa lotst seit März Ada. So heißt der Chatbot des Hauses, mit dem Besucher auf dem eigenen Smartphone Textnachrichten austauschen können. Das funktioniert über den Nachrichtendienst Whatsapp, in dem man Ada als Kontakt hinzufügen muss. Der Chatbot empfiehlt Touren, bei denen die Besucher den Schwerpunkt auswählen – Architektur, Judentum oder Sich-treiben-lassen. Schritt für Schritt, oder besser Nachricht für Nachricht, führt Ada dann durch Museum und Garten, immer im Dialog mit dem Besucher. Fotos, kurze Texte und Audiodateien beleuchten einzelne Exponate oder die Architektur. Ada schlägt nach und nach weitere Stationen vor – sie anzusteuern oder weiterzugehen, bleibt dem Besucher überlassen. So bleibt die Ausstellung überschaubar, der Besucher kann Inhalte vertiefen, wo und wann er möchte.
Zum Whatsapp-Guide: www.jmberlin.de/whatsapp-guide-hey-und-herzlich-willkommen