Soll Literatur in Einfacher Sprache geschrieben sein? Sie richtet sich an Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen Einschränkungen beim Lesen haben. Immer mehr Verlage stellen sich auf diese Zielgruppe ein.
Es ist einer dieser angenehmeren Sommertage in Berlin. Milde 25 Grad. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Uta Lauer sitzt draußen vor ihrem Lieblingscafé in Prenzlauer Berg und tippt in ihren Laptop. An den Nebentischen Familien, Bauarbeiter und Studenten. Zwischendurch hört man ein paar Wörter Türkisch und entfernten Autolärm.
Uta Lauer bestellt sich einen schwarzen Kaffee und brütet über ihr neues Verlagsprogramm. Die Wahlberlinerin ist keine normale Verlegerin, sondern sie verlegt Literatur einer ganz besonderen Art. In ihrem Verlag Edition Naundob gibt sie nämlich Literatur in Einfacher Sprache heraus. „Für Erwachsene. Mit großer Schrift und kurzen Sätzen. Wir machen Literatur inklusiv", heißt es in der Werbebroschüre.
Vom Kinderbuchzwang befreien
„Viele Menschen wissen gar nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt", sagt sie und rührt in ihrem Kaffee. „Und viele verstehen den Sinn von Einfacher Sprache nicht." Andere kritisieren die neue Literaturform. „Es heißt dann, durch Einfache Sprache sterben die deutsche Sprache und ihre Schönheit", sagt sie. „Aber ohne diese Bücher werden diejenigen, die keinen Zugang zu Literatur haben, auf Kinderbücher zurückgeworfen. Dabei sind es erwachsene Menschen, die erwachsene Themen lesen wollen. Ich will sie vom Kinderbuchzwang befreien." Das erklärte Ziel der Wahlberlinerin: „Die Inklusion von allen Menschen." Deshalb richten sich die Bücher an alle Menschen, für die „ganz normale Schmöker" nicht lesbar sind. Menschen mit Lernbehinderung beispielsweise, Deutschlernende, funktionale Analphabeten sowie alte Menschen, die sich nicht mehr lange am Stück konzentrieren können. „Auch visuell sind unsere Geschichten leicht zu erfassen", sagt Uta Lauer. „Die Schrift ist serifenfrei, 14 Punkt groß und hat einen eineinhalbzeiligen Abstand."
Für Schüler mit eingeschränkter Lesekompetenz
Die Idee der Inklusion verfolgen auch die Mitarbeiter des Berliner Schulbuchverlags Cornelsen mit der Reihe „Einfach Lesen". Bereits Ende der 90er-Jahre erschienen Jugendbuchklassiker in einer an Einfacher Sprache orientierten verständlichen und gekürzten Fassung. Damals wurden Werke wie „Rolltreppe abwärts", „Rennschwein Rudi Rüssel", „Emil und die Detektive" sowie „Die Schatzinsel" übersetzt.
In jüngerer Zeit hat der Verlag auch Lizenzen für aktuelle Titel wie etwa „Tschick" oder den mit dem Jugendbuchpreis gekrönten Roman „Eri Boss" erworben. Gedacht ist die Reihe für Schülerinnen und Schüler mit eingeschränkter Lesekompetenz. „Das sind Kinder, die es oft nicht schaffen, ein ganzes Buch im Original zu lesen", erläutert die Redaktionsleiterin Gabriele Biela. „Betroffen sind hier vor allem Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten, die auf bisher wenig Leseerfahrung zurückschauen können."
Mit den ersten Ausgaben bei Cornelsen wurden auch Kritiker auf den Plan gerufen. „Es hieß, dass wir die Klassiker der Jugendliteratur so stark verändern und vereinfachen, ja verunstalten würden, dass von der Sprache des Originals nicht mehr viel übrigbliebe", erinnert sich Gabriele Biela. Auch wurde behauptet, dass die Kinder und Jugendlichen die vereinfachte Version lesen würden, weil es bequemer sei. Die Lektorin hält dagegen: „Die Alternative für diese Schülerinnen und Schüler ist es nicht, den Originaltitel oder den vereinfachten Titel zu lesen. Gäbe es Letzteren nicht, würden sie gar nicht lesen."
Neue Zielgruppe
Nachdem der Schulbuchverlag bereits um die Jahrtausendwende Literatur in Einfacher Sprache herausgebracht hat, haben andere Verlage jetzt erwachsene Leser mit Leseschwierigkeiten als neue Zielgruppe entdeckt. So etwa das Verlagshaus Spaß am Lesen in Münster. Dort erscheinen hauptsächlich Übersetzungen in Einfacher und Leichter Sprache.
Darunter sind Jugendromane, Klassiker und Kriminalromane. Ähnlich ist es beim Passanten Verlag in Berlin, der Klassiker wie die von Oscar Wilde, Herman Melville oder E.T.A. Hoffmann herausgibt. Auch Märchen hat der Verlag an der Spree im Repertoire. Kleinverlegerin Uta Lauer kam im Jahr 2015 auf die Idee, Literatur für Randgruppen zugänglich zu machen.
Angefangen hatte alles mit ihrer Lebensgefährtin Andrea Lauer, einer Berliner Schriftstellerin, die für eine Liebesgeschichte in Einfacher Sprache mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Anders als beim Passanten Verlag oder dem Münsteraner Verlagshaus Spaß am Lesen veröffentlicht Uta Lauer keine Übersetzungen, sondern original und in Einfacher Sprache verfasste Romane und Kurzgeschichten. Zwei Bücher aus ihrem Verlagsprogramm wurden mittlerweile sogar ins Italienische übersetzt. Nach vier Jahren ist bei Naundob ein vielfältiges Programm an Büchern erschienen, deren Auflagenhöhe zwischen 500 und 1.000 Exemplaren schwankt.
Bevor ein Buch in Lauers Verlag zu seinen Leserinnen und Lesern findet, wird es nicht nur geschrieben, korrigiert und lektoriert. Sondern es geht auch zu einer Prüfkommission. Diese Gruppe besteht aus Testlesern, die ebenfalls einen erschwerten Zugang zum Lesen haben. „Wir hatten zum Beispiel Testleser vom Verein Rambazamba", erzählt Lauer. Rambazamba ist ein Verein, der Menschen mit Downsyndrom unterstützt. Die Heldinnen und Helden in den Geschichten von Lauers Verlag sind zugleich Betroffene. Die Zielgruppe kann sich mit ihnen identifizieren. „Ich will zeigen, dass es eigene Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten sind."
Kurze Sätze
In ihrem Roman „Adile mischt sich ein" stellt auch Naundob-Autorin Ilka Haederle eine Protagonistin in den Mittelpunkt, die als junge Syrerin in Deutschland mit dem neuen Leben und der neuen Sprache in Deutschland zu kämpfen hat. Ilka Haederle hat diesen Roman erstmals unter ihrem Pseudonym Almut Anders veröffentlicht. Zuvor hatte die Schriftstellerin bereits Romane und Kurzgeschichten bei anderen Verlagen veröffentlicht. Doch auf der Höhe der Flüchtlingswelle stand die Wahlberlinerin vor der Frage, wie sie selbst aktiv werden könne. Da lag es nahe, einen Roman über ein Flüchtlingsschicksal zu schreiben. Haederles Roman liest sich dann so: „Der Bus hält. Adile erschrickt. Sie hat geträumt. Ist das der 4. Halt? Oder schon der 5.? Sie guckt auf den Plan. Sie guckt aus dem Fenster. Amselweg muss sie aussteigen. Sie guckt auf die Anzeige. Wo ist sie? Was soll sie tun?"
Keine Sprache für Doofe.
Eine Textpassage, die gut wiedergibt, was Einfache Sprache ausmacht. Kurze Sätze, keine Fremdwörter, die Zahlen sind als Nummern geschrieben. Ilka Haederle ist begeistert von der Einfachheit dieses Schreibstils. „Einfache Sprache ist keine Sprache für Doofe. Stattdessen entschlackt sie die Sprache enorm und hilft mir auch beim Schreiben meiner anderen Romane."
Nach ihrer Veröffentlichung von „Adile mischt sich ein" ist Ilka Haederle noch weiter eingestiegen in das Thema Barrierefreiheit und Inklusion. Sie hat sich ein halbes Jahr lang zur Übersetzerin für Leichte und Einfache Sprache ausbilden lassen. Jetzt übersetzt sie im Auftrag von Familienzentren und anderen sozialen Einrichtungen Flyer, Broschüren und Webseiten von Standardsprache in Leichte oder Einfache Sprache. Leichte Sprache ist ähnlich wie Einfache Sprache eine vereinfachte Form der Standardsprache, aber die Regularien für Leichte Sprache sind klarer definiert. Haederle hat mit der Grafikerin Wiebke Enwaldt, die auf barrierefreie Gestaltung spezialisiert ist, das Unternehmen „Berlingeschwister" gegründet. „Der Bedarf ist groß", sagt Ilka Haederle. „Da ist noch viel Luft nach oben."