Kanadischen Wissenschaftlern ist mithilfe von Enzymen aus Darmbakterien die Umwandlung der Blutgruppe A in die allgemein verträgliche Universalblutgruppe 0 gelungen. Das könnte ein Meilenstein für die Transfusionsmedizin sein.
Nicht nur bei Organen lässt die Spendenfreudigkeit der Deutschen zu wünschen übrig. Auch die Bereitschaft zur freiwilligen Blutabnahme ist hierzulande nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden, um den Bedarf von täglich bis zu 15.000 oder aufs Jahr gerechnet knapp fünf Millionen Blutspenden zu decken. Nur rund drei Prozent der Bevölkerung spenden, obwohl rund 33 Prozent laut Deutschem Roten Kreuz (DRK) eigentlich spendentauglich wären. Blut spenden kann theoretisch hierzulande jeder gesunde Erwachsene zwischen dem 18. und 68. Lebensjahr, Männer bis zu sechs Mal, Frauen bis zu vier Mal im Jahr. Doch speziell bei jüngeren Menschen ist die Spendenbereitschaft gesunken, was angesichts einer alternden Gesellschaft, für deren medizinische Versorgung eine ständig wachsende Menge von Blutpräparaten benötigt wird, zu einem gravierenden Problem werden könnte.
Blutkonserven und Medikamente aus Blutbestandteilen können Leben retten, nach schweren Unfällen, bei größeren Operationen oder bei der Behandlung verschiedenster Krankheiten. Die meisten Präparate aus Spenderblut erhalten hierzulande Krebspatienten, gefolgt von Patienten mit Herz- und Magen-Darm-Erkrankungen sowie für die Versorgung von Unfallopfern. Vor einer Transfusion muss stets geprüft werden, ob die Blutgruppen von Spender und Empfänger verträglich sind, weil es ansonsten zu schweren Komplikationen oder gar zu tödlich verlaufenden Abwehrreaktionen kommen kann. Weil die Blutgruppe A Antikörper gegen die Blutgruppe B, die Blutgruppe B Antikörper gegen die Blutgruppe A und die Blutgruppe AB beide Antikörper enthält. Im normalen Klinikalltag ist das reine Routine, aber bei Notfällen, wenn die Ärzte nicht die Blutgruppe des Verletzten kennen und keine Zeit haben, diese zu ermitteln, wird zu Blutkonserven der Gruppe 0 gegriffen.
Mit gewissen Einschränkungen vertragen im Prinzip alle Menschen Blutkonserven des Typs 0, weil Blutzellen dieser Gruppe keine Antigene aufweisen, die das körpereigene Immunsystem aktivieren. Bei den anderen drei Blutgruppen A, B und AB sind die als Zuckermoleküle auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) angesiedelt. Konserven aus der Blutgruppe 0 sind daher besonders gefragt, sie gelten als universelles Spenderblut und werden besonders für die Notfallversorgung dringend benötigt. Zwar ist die Blutgruppe 0 in der deutschen Bevölkerung mit 41 Prozent sehr verbreitet, wird anteilmäßig nur noch von der Blutgruppe A mit 43 Prozent übertroffen, aber angesichts der breiten Einsetzbarkeit besteht dennoch ständiger Bedarf an Blutkonserven der Gruppe 0.
Daher gibt es schon seit einigen Jahren Bestrebungen in der Forschung, mehr von diesem begehrten Blut der Gruppe 0 zu gewinnen. Die naheliegende Überlegung war dabei, die spezifischen Antigene, sprich die Zuckermoleküle, die die Abwehrreaktion auslösen, auf den Erythrozyten der Blutgruppen A und B (in Deutschland bei elf Prozent der Bevölkerung vorhanden) zu entfernen und diese dadurch in die Blutgruppe 0 umzuwandeln.
Ständiger Bedarf an Blutkonserven der Gruppe 0
Doch ein Durchbruch in der Transfusionsmedizin konnte in all den Jahren nicht erzielt werden. Das könnte sich mit den Anfang Juni im Fachjournal „Nature Microbiology" veröffentlichten Forschungsergebnissen eines kanadischen Teams von der University of British Columbia rund um den aus Deutschland stammenden Biochemiker Peter Rahfeld ändern. Ausgerechnet der Darm spielt eine wichtige Rolle. Denn Rahfeld war 2012 auf eine Studie aufmerksam geworden, der zufolge es auf der Darmwand eine Reihe von Zuckermolekülen gibt, die eine auffallende Ähnlichkeit mit denen auf den Blutkörperchen aufweisen und die bestimmten Darm-Bakterien als Nahrung dienen. Das Team um Rahfeld machte sich daher in Stuhlproben auf die Suche nach Bakterien mit blutverdauenden Enzymen. Und nach mehr als 20.000 vergeblichen Versuchen entdeckten sie schließlich zwei Enzyme, Deacetylase FpCBM32 und Galactosaminidase FpGH36, des Bakteriums Flavonifractor plautii, mit deren Hilfe sie das als Antigen wirkende terminale Molekül namens N-Acetyl-Galaktosamin der Zuckeroberflächen-Kette der Blutgruppe A gleichsam abknipsen und dadurch die Blutgruppe A in die Blutgruppe 0 verwandeln konnten – allerdings bislang nur im Labor.
Für diesen Prozess reichten schon geringste Enzymmengen aus, die sich laut Angaben der Wissenschaftler nach Bearbeitung des Blutes mit einfachen Methoden wieder vollständig entfernen lassen. Bei der Blutgruppe B, dessen Zuckerkette mit dem Antigen Galaktose endet, hatte die Abspaltung durch die beiden Enzyme hingegen nicht funktioniert. Das neue Umwandlungsverfahren weiterzuentwickeln und klinisch zu prüfen, dürfte allerdings immense Schwierigkeiten bereiten. Nicht nur wegen den zu erwartenden hohen Kosten, sondern vor allem auch wegen der Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Enzyme im menschlichen Körper zu testen, da Tierversuche wegen des gänzlich anderen Blutsystems ausscheiden. Da müsse, so Rahfeld, „in Kleinstmengen, also im Bereich von Nanolitern" gearbeitet werden, um zu überprüfen, ob das veränderte Blut problemlos im Körper zirkulieren könne.
Zahlreiche prominente Wissenschaftler hatten schon in Windeseile ihre Kommentare zu der neuen Entdeckung abgegeben. Wobei Lob und Zustimmung sich mit skeptischen Anmerkungen die Waage hielten. „Die Methode lässt sich definitiv für die Transfusionsmedizin anwenden", sagt beispielsweise Prof. Clemens Karl Peterbauer vom Institut für Lebensmitteltechnologie der Universität für Bodenkultur Wien. Allerdings sei es nicht auszuschließen, so Peterbauer, „dass es schwer zugängliche, ‚versteckte’ A-Antigene gibt, die von den Enzymen nicht abgeschnitten werden." Auch das Kostenproblem dürfe natürlich nicht außer Acht gelassen werden: „Die Kosten für die vollständige Entwicklung plus Zulassung sind aber sicherlich hoch – es wird zu sehen bleiben, ob jemand diese Investitionen tätigen möchte." Auch der Transfusionsmediziner Prof. Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn sieht den Kostenfaktor als großes Hindernis: „In Deutschland mit einem Erythrozytenkonzentratpreis zwischen 70 und 90 Euro wäre es zurzeit sicherlich schwierig, dies wirtschaftlich abzubilden." Aber grundsätzlich hält er die Entdeckung für vielversprechend: „Die Blutgruppe A hat eine Häufigkeit von 43 Prozent und könnte mit der enzymatischen Umwandlung in Blutgruppe Null die aktuellen Engpässe beheben." Der Transfusionsmediziner Markus M. Müller vom Klinikum der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main hat gewisse Bedenken wegen der Beigabe von Fremdsubstanzen in einen klinisch reinen Blutbeutel: „Das machen wir als Transfusionsmediziner sehr ungern, weil wir immer versuchen, im geschlossenen Bereich zu arbeiten, im geschlossenen System." Wenn man dieses geschlossene System zur Enzymbeigabe öffne, bestehe immer die Gefahr einer Verunreinigung des Blutes.
Rhesusfaktor ist die nächste Herausforderung
Hochinteressant sind auch die Hinweise von Prof. Markus Böck, Direktor der Klinik für Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Würzburg, und von Prof. Torsten Tonn, dem Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin Dresden bezüglich des nach den Antigenen zweitwichtigsten Blutgruppenfaktors, dem Rhesusfaktor, bei dem es sich um ein an der Oberfläche der Blutkörperchen hängendes Protein handelt, das entweder wie bei 85 Prozent aller Menschen vorhanden ist, die dann Rhesus-positiv (RH+) sind, oder das eben wie bei 15 Prozent der Menschen fehlt (= Rhesus-negativ, RH-). Weil Rhesus-negative Menschen gravierende Abwehrreaktionen auf Rhesus-positives Blut entwickeln können, halten es die beiden Mediziner für sinnvoll, wenn das aufbereitete Spenderblut die Merkmalskombination 0-Rh- haben könnte, die wirklich für jeden Menschen verträglich wäre. Dafür müsste allerdings die äußerst seltene Blutgruppe A-Rh- umgewandelt werden. Dies wird mit dem von Rahfeld entwickelten Verfahren allerdings nicht möglich sein, weil die beiden Enzyme nur Zuckermoleküle, aber nicht Proteine entfernen können. Prof. Tonn: „Interessant wird es erst, wenn man auch die Blutgruppe generieren könnte, für die wir in Notfällen einen hohen Bedarf haben." Und das ist eben die Blutgruppe Null mit negativem Rhesusfaktor.