„End of the Rainbow" wirft ein Schlaglicht auf das Leben des Hollywoodstars Judy Garland. Das Musicaldrama, von Musik & Theater Saar herausgebracht, feiert am 21. August Premiere im Zeltpalast Merzig. Ein Probenbesuch.
Okidoki, Licht geht an!", ruft Regisseur Andreas Gergen. Kein Licht geht an. Im Gegenteil, die Darsteller stehen fast im Finsteren auf dem Bühnenpodest. Ganz oben unterm Zeltdach sind einzelne schwach leuchtende Strahler auszumachen – Arbeitslicht nennt sich das. Keiner der Anwesenden hat einen Lichtwechsel erwartet. Vielmehr ist Gergens Ausruf als Auftakt der Szene zu verstehen und er präzisiert, was die Pressevertreterin zu erwarten hat: „Textprobe mit szenischen Versuchen." Dabei grinst er nicht wenig spitzbübisch.
Ehrlicherweise muss man sagen, dass es als No-Go gilt, eine Probe für Besuch zu öffnen, wenn die Akteure am Beginn eines Projektes stehen, nämlich am zweiten Probentag. Der frühe Besuch erklärt sich aus der Tatsache, dass die Probenzeit mit drei Wochen knapp – aber nicht zu knapp für Profis – ist, und die Produktionszeiten eines Magazins andere sind als die einer Tageszeitung. Dass sich die Beteiligten auf den Termin eingelassen haben, ist nicht selbstverständlich.
„Okidoki, Licht geht an!", ruft Regisseur Andreas Gergen für die Akteure, die ihre Positionen einnehmen. „Sag ihm, ich springe!" schreit Vasiliki Roussi, die die Judy Garland verkörpert. Anthony, gespielt von Alexander Lutz, wiederholt dem Hoteldirektor am Telefon die Worte der Sängerin, die schwankend vor dem geöffneten Fenster steht: „Sie sagt: Sie springt. Und: Sie sind ein Hurensohn." Der Hoteldirektor droht offenbar wegen unbezahlter Rechnungen den Star rauszuwerfen und wird persönlich von Judy Garland übers Telefon informiert: „Sie werden auf ihr blödes Geld genauso lange warten wie alle anderen auch. Was glauben sie, wie sie und ihr schönes Hotel dastehen, wenn Dorothy, Hollywoods kleiner Engel, blutüberströmt auf dem roten Teppich landet." Ihre halsbrecherische Aktion vor dem Fenster begleitet Vasiliki Roussi mit übermütigem Gelächter und großer Geste. Aber weder die Menschen auf der Straße, die aufmerksam geworden sind, noch der Hoteldirektor erkennen, wie sich die Situation wirklich verhält. Selbst Anthony, der Pianist der Sängerin, scheint für einen Moment an den Ernst der Lage geglaubt zu haben. Einzig wir, die Zuschauer, wissen: The Show must go on. Wir haben doch gerade erst Platz genommen im Zeltpalast.
Die dramatische Eingangsszene lässt erahnen, dass das Stück „End oft the Rainbow" gut gebaut ist. Der Titel nimmt Bezug auf das Lied „Over the Rainbow", das die 17-jährige Judy Garland als Dorothy in dem Film „Der Zauberer von Oz" 1939 sang und damit die Herzen der Amerikaner eroberte. Autor Peter Quilter schrieb über Judy Garland, den amerikanischen Hollywoodstar, ein Musicaldrama, das sechs Monate vor ihrem Tod im Jahre 1969 spielt. Genau genommen ist es ein Kammerspiel mit Musik: Drei Akteure, eine Band, die zu den Songs, die als Blöcke eingeschoben sind, spielt.
Dramatische Eingangsszene
„End oft the Rainbow" wurde 2005 in Sydney uraufgeführt, war 2010 in London, 2012 am New Yorker Broadway und kommt 2019 in den Merziger Zeltpalast – was maßgeblich auf das Konto von Vasiliki Roussi geht. Sie kannte das Stück und bemerkte, dass Alexander Lutz, der vor 21 Jahren ihr Filmpartner gewesen war, in der Rolle des Anthony in der österreichischen Erstaufführung – mit Helen Schneider als Judy Garland – auf der Bühne gestanden hatte. Sie rief den Kollegen einfach mal an, um über das Stück zu sprechen. Ihr Vorschlag „End of the Rainbow" im Merziger Zeltpalast herauszubringen, fand alsbald Gehör bei Musik-und-Theater-Saar-Chef Joachim Arnold und weckte auch das Interesse bei Regisseur Andreas Gergen.
„Ich werde den Zeitungen sagen, dass du mich gerettet hast. Die Schwulen werden dich anbeten. Ich bin ihre Göttin", verspricht Vasiliki Roussi in ihrer Rolle und Anthony ist froh, dass der melodramatische Auftritt ein Ende hat. Er möchte endlich proben, schließlich gilt es, die angekündigten Showauftritte vorzubereiten. Auf der Bühne steht ein Klavier. Er nimmt Platz, Garland versucht zu intonieren: „I belong to London. It’s a part of me", um dann mit „Das ist ein Scheiß-Song" abzubrechen. Ihre Unkonzentriertheit will sie offensichtlich mit Tabletten in den Griff bekommen. Auf Anthonys Hinweis, sie hätte Hilfe gebraucht, erwidert sie: „Ich brauche keine Hilfe, ich brauche Tabletten."
Mickey, gespielt von Peter Lewys Preston, tritt auf und kündigt einen Journalisten an. Garland fragt: „Pisst er einen an oder küsst er einem den Hintern?" Zimperlich geht es nicht zu bei Autor Peter Quilter. Mickey hat längst mitbekommen, dass das Thema Tabletten aktuell akut ist und bekommt zu hören: „Bonbons für Erwachsene. Was weißt du schon, du wirst ja schon high von Aspirin."
Im wirklichen Leben von Judy Garland war Mickey Deans 15 Jahre jünger als sie und Ehemann Nummer fünf. Sie heiratete den Nachtclub-Besitzer wenige Monate vor ihrem Tod. Man vermutet, dass sie unabsichtlich an einer Überdosis Tabletten gestorben ist. Judy Garland war oder ist eine der Ikonen, gleich Marlene Dietrich und Zarah Leander, in der Schwulenszene. Lässt sich das erklären? Regisseur Andreas Gergen mutmaßt, weil Judy Garland als Leinwandgöttin, die Schönheit, die Illusionen verkauft, wahrgenommen und bewundert wurde – nicht der authentischen Figur, sondern deren Rolle als Diva wollte man sich nahesehen.
„Nein, das ist kindisch"
Anthony und Mickey versuchen, das weiße Pillendöschen zu verstecken, es wandert von hier nach dort, von einem zum anderen. Roussi tigert hinterher. Zwischendrin ruft sie: „Was sag ich da?" Tobias Rauch, Regieassistent und Souffleur in Personalunion, spricht ein: „Wer zum Teufel hat mir bis vor Kurzem die Taschen vollgestopft damit?" „Du warst Gast in meinem Club, ich habe dir ausgeholfen", antwortet Mickey.
„Wer hat die Pillen jetzt?", will Andreas Gergen wissen. Verwirrungen und Ideen: „Vielleicht schmeiß ich sie zurück?" „Nein, das ist kindisch." „Nein, warum? Lass uns das ausprobieren!" „Ach, du wolltest sie zu mir werfen. Ich dachte, du wolltest sie wergwerfen, das hab ich nicht gecheckt." „Nein, hinstellen kannst du sie da nicht, da nehm ich sie weg."
Es kommt zur Rangelei. „Wie, das können wir später noch genau untersuchen" ruft Gergen nach oben, „landet, jetzt erst mal auf dem Boden." „Gib mir meine Pillen zurück." Judy Garlands Ton wandelt sich vom Fordern zum Flehen: „Eine kleine Hilfe beim Singen, einfach eine kleine Hilfe, um mit allem zurechtzukommen."
Mit allem zurechtzukommen ist wahrlich keine Aufgabe, die nur Hollywood-Diven vorbehalten bleibt. Im Saarland zählt man derzeit den 18. Drogentoten für dieses Jahr. Vermutlich ist es die Vorstellung von Reichtum und Ruhm, die als Garant für ein glückliches Leben gelten, und die Fallhöhe, wenn es anders kommt, die das Publikum an Lebensgeschichten à la Garland interessiert.
„Ich werde ein braves Mädchen werden. Nur eine, nur eine", bettelt die Diva. Als Diva Exaltiertheit auszuleben ist ein Klischee, das Roussi großzügig bedient bei dieser Probe. Dabei erinnert sie sehr an Sally Bowles, die sie 2013 im Zeltpalast spielte. Die Rolle war als schräger Paradiesvogel zu begreifen. Erleben wir demnächst eine Art von Remake?
Eine Rolle, keine Doppelgänger-Show
„Judy Garland spielt ein Spiel um sich herum, mit ihren Partnern, das ist immer alles eine Show, und ab und zu hört man zwischendrin, wie verzweifelt sie ist", umschreibt Roussi die Bühnenereignisse, und weiter, „die Person ist stark unter Druck, sie muss ein Bild wahren – eine fürchterliche Situation". Zur Vorbereitung hat sie „Filmmaterial angeschaut und darüber recherchiert, was man über sie sagt". Ihr Interesse gelte jedoch der Rolle, nicht einer Doppelgänger-Show.
Heute hat jeder Mensch mehrere Rollenbilder zu erfüllen und läuft dem eigenen, oder dem fremdbestimmten, Perfektionismus hinterher, befeuert von den sogenannten sozialen Medien, die die Inszenierung des Lebens mit dem Leben gleichzusetzen behaupten. Heute ist jeder Judy Garland. „End of the Rainbow" wohnt eine nicht auf den ersten Blick auszumachende Aktualität inne, die zwar nicht vom Autor intendiert sein mag, aber vom komplizierten Geflecht von Sein und Schein in der virtuellen Welt befeuert wird. „Klein-Judy hat verstanden, dass es nicht so weitergeht." Auf der Bühne geht es weiter. Andreas Gergen murmelt mir zu: „Die improvisieren das gerade. Das ist noch nie gemacht worden!" Der Regisseur mischt sich selten ein, ganz einfach, weil es überhaupt gilt, in dieser Phase so etwas wie Spielfluss aufkommen zu lassen. „Ihr gebt ja richtig Gas" resümiert er anerkennend und beendet damit die Probe an diesem Spätnachmittag.
Einiges an Arbeit liegt noch vor den Akteuren. Pläne für freie Tage nach der Premiere gibt es aber schon. Vasiliki Roussi möchte eine große Radtour unternehmen. Alexander Lutz lockt die Nähe zu Frankreich und Luxemburg. Weil in den Nachrichten das Saarland als auch Fußballfelder als nächstkleinere Maßeinheit sehr oft vorkommen, habe er schon überlegt: Wie viele Fußballfelder groß ist das Saarland? Eine Rechenaufgabe, die er vermutlich bis nach der Premiere aufschiebt. Peter Lewys Preston möchte unbedingt zur Saarschleife, außerdem habe er gehört, dass es „ganz tolle Weingüter" in der Region gebe.
Am Ende des Regenbogens werden die Akteure und alle an der Produktion Beteiligten zur Premierenfeier von „End of the Rainbow" gemeinsam anstoßen – mit einem ganz tollen Wein von der Saar.