Unpolitische Jugend – das war gestern. Abegsehen von den Freitagsdemos muss sich an den Schulen noch erheblich mehr tun. Landesschülersprecher Usamah Hammoud über demokratische Schulen und demonstrierende Schüler, das Ringen um mehr Lehrerstellen, den Bildungsföderalismus und den Streit ums Zentralabitur.
Herr Hammoud, was sind derzeit aus Sicht der Schüler drängende Anliegen?
Es geht uns teilweise um ganz profane Dinge wie Wahlen. Die enttäuschende und leider wahre Situation an Schulen ist, dass wir es immer noch nicht geschafft haben, an jeder Schule ordnungsgemäße Wahlen durchzuführen, egal ob auf Klassen- oder Schülersprecherebene. Viele Bestimmungen des Schulmitbestimmungsgesetzes werden oftmals nicht umgesetzt.
Daher arbeiten wir gerade an einem Leitfaden für Schulleiter und Klassenlehrer, um Wahlabläufe zu standardisieren. Konkret geht es etwa darum: Schülersprecher werden von allen Schülern per Direktwahl gewählt. Es muss den Schülern die Option zu geheimen Wahlen gegeben werden, auch bei Klassensprecherwahlen und es dürfen nicht nur die Schüler vorgeschlagen werden, die der Lehrer für gut hält. Diese Diskussionen müssen wir führen. Denn ich glaube nicht, dass im Moment in jedem Klassenzimmer eine Wahl nach Wahlgrundsätzen Standard ist. Abgesehen davon sollte nach Wahlen auch seitens der Schulleitungen über Rechte der Schülervertretungen aufgeklärt werden. Denen ist nämlich oft nicht bekannt, welche Rechte ihnen gesetzlich zustehen.
Müssen Schulen also demokratischer werden?
Ja, wobei wir jetzt über Demokratie in den Schülervertretungen gesprochen haben. Wie man Demokratie in den Unterricht bringt, ist eine Frage der Demokratiepädagogik. Da geht es um didaktische Ansätze, wie man Schüler engagierter machen kann. Demokratie bedeutet schließlich auch, Engagement einzubringen.
Bis vor einem halben Jahr hat man Klagen über eine völlig unpolitische Jugend gehört. Das hat sich schlagartig mit Fridays for Future geändert. Wie erklären Sie sich das?
Der Eindruck, die Jugend sei unpolitisch, liegt meiner Meinung nach daran, dass junge Menschen nicht wählen dürfen, politisch also keine Macht ausüben können. Deshalb spreche ich mich auch klar für eine Senkung des Wahlalters aus. Wenn man Jugendrechte und Jugendpartizipation ernst meint, dann muss man diesen Schritt gehen! Ich bin überzeugt, dann hätte es auch den Eindruck einer unpolitischen Jugend so nicht gegeben und der Jugend würden echte Mitwirkungsrechte verliehen werden.
Fridays for Future hat zunächst an Schulen begonnen. Wie stark ist die Bewegung, und wie groß der Druck der politischen Jugend?
Ich würde sagen, der Druck auf die Politik beim Klimathema ist immens, auch angesichts der Europawahlen, bei denen die Grünen ja mit einem bemerkenswerten Ergebnis abgeschlossen haben. Wobei ich schade finde, dass das Thema Umweltschutz direkt mit den Grünen verbunden wird, gleichzeitig den anderen Parteien, insbesondere den Volksparteien, die Kompetenz partout abgesprochen wird, grundsätzlich Klimaschutzpolitik machen zu können.
Das waren jetzt viele Konjunktive.
(lacht) Nehmen Sie die CSU. Der hätte man kaum das Thema Klimaschutz zugetraut. Jetzt machen die Bayern ganz radikal Klimapolitik. Das zeigt: Man darf nicht sagen, dass die Parteien keine Klimaschutzkompetenz hätten, man muss ihnen nur den Anstoß geben, aktiver zu werden. Auch hier im Saarland. Ich bin schon der Meinung, dass die große Koalition in der Lage ist, klimapolitisch zu denken. Als Fridays for Future hier im Saarland aktiv wurde, hat es beispielsweise auch ein Gespräch mit den drei zuständigen SPD-Ministern für Umwelt, Wirtschaft und Bildung gegeben. Und das an einem Tisch. Ich glaube also schon, dass Fridays für Future etwas in Gang gesetzt hat, im Saarland, aber auch deutschland- und europaweit.
Sie kritisieren, dass das Thema Klima und Klimaschutz in Schulen eigentlich zu kurz kommt. Zeigt aber nicht gerade Fridays for Future, dass das Thema für Schüler sehr präsent ist?
Natürlich sind sich die Schüler, die sich in dieser Bewegung engagieren, völlig im Klaren, wie es in 20, 30 Jahren aussehen wird, vielleicht auch schon früher, wenn sich der aktuelle politische Kurs nicht entscheidend ändert. Ich kenne auch Menschen, die sagen: das betrifft mich ja nicht mehr – auch wenn das sarkastisch und verantwortungslos klingt. Es betrifft ja tatsächlich vor allem die jungen Menschen. Die katastrophalen Folgen ignorieren viele. Wir sind ja schon mitten in der Klimakrise. Da bleibt den jungen Menschen ja gar nichts anderes übrig, als sich zu politisieren, zu demonstrieren, auf ihren Grundrechten zu bestehen. Man kann darüber diskutieren, wie man will, wenn während der Unterrichtszeit demonstriert wird. Es geht aber darum, dass sich die Bewegung für ein Thema einsetzt, das wichtig ist und das mit den Mitteln unserer Demokratie. Und das müssen wir würdigen und ernst nehmen. Die Frage ist, ob und wie das aufgegriffen wird. Die Schüler sind sich ja der Konsequenz bewusst, wenn sie unentschuldigte Fehltage auf dem Zeugnis stehen haben.
Noch mal zu ihrer Kritik am Umgang mit dem Thema in der Schule …
Ich spreche von zwei Gruppen von Schülern. Die einen sind in der Fridays-for- Future-Bewegung, die anderen nicht. Die einen sind sehr gut informiert, auch darüber, was das eigene Konsumverhalten in diesem Zusammenhang betrifft. Die anderen eben nicht! Grundsätzlich hat Schule auch einen Bildungsauftrag in Sachen Klimawandel und Klimaschutz, und den müssen wir aktiver gestalten. Ich will aber auch noch einen Schritt weiter gehen. Wir brauchen beispielsweise einen kostenlosen ÖPNV. Da will die Landesregierung ja etwas auf den Weg bringen.
Es werden aber auch zunehmend Elternhaltestellen vor Schulen ausgebaut.
Das kann man gut finden, mich stellt das nicht zufrieden. Es ist ein Wunsch der Landesschülervertretung, kostenlose Schülertickets einzuführen. Das kostet dann natürlich einige Millionen, wurde aber schon in anderen Bundesländern umgesetzt. Ich glaube wir würden damit Steuermittel – auch aus sozialpolitischen Hintergründen – gut investieren.
Wir stehen kurz vor Schulbeginn. Was wünscht sich die Landeschülervertretung für das neue Schuljahr?
Wir führen ja trotz Sommerferien noch einige Gespräche mit führenden Politikern im Landtag und im Bildungsministerium. Ich wünsche, dass wir als gewähltes Gremium angemessen eingebunden werden. Unser Eindruck ist, dass wir leider immer noch vielen Informationen hinterherjagen müssen. Wir sind in dieser Beziehung sehr genau, und ich glaube, wir machen gute Lobbyarbeit. Unsere Ideen werden auch an der ein oder anderen Stelle eingebunden, aber ich könnte mir vorstellen, dass das alles noch aktiver geht.
Seit einigen Tagen wird ja wieder in der Koalition über zusätzliche Stellen auch im Lehrerbereich und einen Nachtragshaushalt diskutiert. Aus Sicht der Schüler: Brauchen wir an allen Ecken und Enden mehr Lehrer?
Die Aussage, dass wir an jeder Ecke mehr Lehrer brauchen, würde ich so nicht sehen. Es gibt sicher schulformabhängig unterschiedliche Bedürfnisse. Es ist richtig, dass der Minister mehr Lehrer fordert, das ist auch unsere Position. Wir brauchen mehr Lehrer, nicht nur, um die Zahl der Schüler pro Klasse zu senken, sondern um qualitativen Unterricht und Vertretungen zu gewährleisten. Wir haben an vielen Schulen Funktionsstellen, die nicht besetzt sind. Wir haben ja auch lange über Digitalisierung an Schulen diskutiert. Um das umzusetzen, brauchen wir mehr Personal.
Es geht dabei auch sicher um Grundsatzfragen, etwa bei Ganztagsschulen, ob wir mehr in Richtung freiwillige Ganztagsschule oder gebundene Ganztagsschulen gehen. Da ist mein Standpunkt ganz klar: Wir brauchen beide. Ein Schüler sollte entscheiden können, ob er eine Ganztagsschule oder eine freiwillige Nachmittagsbetreuung besuchen will. Das Konzept mit der gebundenen Ganztagsschule ist super, es passt aber nicht zu jedem Schüler und ist flächendeckend schwierig umzusetzen. Bei freiwilligen Ganztagsschulen ist die Frage, ob man für Nachmittagsbetreuung Lehrer braucht. Darüber muss man diskutieren. Das Saarland lebt von der Vielzahl der Alternativen, wir haben G8 und G9, wir haben die freiwillige und die gebundene Ganztagsform. Ich glaube, dass sich das Saarland im bundesweiten Vergleich mit diesen Auswahlmöglichkeiten auszeichnet.
Im Blick auf Ihre zusätzliche Funktion als Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz: Welchen Einfluss haben Sie auf dieser Ebene vor dem Hintergrund, dass Bildungspolitik im föderalen System Ländersache ist?
Die Frage ist berechtigt. Das Mandat der Landesschülervertretung endet allerdings im Landtag. Wir haben aber viele Themen, die Schüler betreffen, die auf Bundesebene entschieden werden. Das sind Themen rund um BAFöG, rund um Ausbildung, und Themen wie den Digitalpakt. Eltern sind auf Bundesebene vertreten, alle wichtigen Bildungsverbände haben ihren Dachverband auf Bundesebene, es gibt die Kultusministerkonferenz (KMK), und dort werden beispielsweise Angleichungen beschlossen, die nachher in den Ländern umgesetzt werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf Bundesebene eine Schülerlobby haben, die sich in diese Entscheidungsprozesse einmischt. Wir brauchen eine Vertretung, die mit Abgeordneten im Bundestag, mit Bildungsverbänden und mit der KMK redet. Aktuelles Beispiel ist die Diskussion um ein Zentralabitur. Da muss es eine Stimme auf Bundesebene geben, die Schülerinteressen einbringt.
Brauchen wir aus Ihrer Sicht ein Zentralabitur?
Das ist eine spannende Frage. Darüber haben wir auch mit dem Philologenverband diskutiert. Ich bin gegen den Zentralisierungswahnsinn. Und ich bin gegen Forderungen, wie etwa von Christian Lindner (FDP), der sagt: „Weg vom Bildungsföderalismus." Ich halte den Bildungsföderalismus für gut. Vielleicht mahlen Entscheidungsprozesse in einer KMK etwas langsamer als eine zentrale Steuerung aus einer Hauptstadt, aber das heißt nicht, dass Bildungsföderalismus schlecht ist. Im Übrigen diskutieren wir viel zu viel über das Zentralabitur und viel zu wenig über das, was davor liegt, nämlich die Oberstufe. Zwei Drittel der Abiturnote kommen aus der Oberstufe. Wir diskutieren über Vergleichbarkeit im Abitur, reden aber nur über ein Drittel, nicht über die großen zwei Drittel. Zum Zentralabitur: Wir haben ungleiche Rahmenbedingungen bei den Hilfsmitteln, ungleiche Voraussetzungen innerhalb der Oberstufe, verschiedene Formate abzulegender Prüfungen, unterschiedliche Rahmenlehrpläne … Es ist einiges. 16 verschiedene Systeme mit 16 verschiedenen Rahmenbedingungen. Der Ansatz der Bundesschülervertretung ist deshalb, durch einheitliche Mindeststandards indirekt eine Angleichung in den Rahmenlehrplänen und Bedingungen zu erreichen. Es ist falsch zu sagen, wir hätten Vergleichbarkeit, wenn wir nur alle das gleiche Abitur schreiben, wenn die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen so unterschiedlich sind. Wir schaffen ein gleichwertiges Abitur, wenn die Länder an Mindeststandards gebunden werden. Der Pool mit Abituraufgaben, den es heute gibt, macht das Abitur zwar vergleichbarer, aber nicht wirklich vergleichbar. Deshalb sollten wir weg vom diesem Pool und dem Zentralisierungswahnsinn. Das passt einfach nicht zum Föderalismus.