Die internationale Politik ist chaotisch und konfliktanfällig wie nie
Das Ende des vor einer Woche ausgelaufenen INF-Vertrags über das Verbot von Mittelstreckenraketen mögen manche mit einem Schuss Nostalgie aufgenommen haben. Ausgerechnet US-Präsident Ronald Reagan, in Deutschland lange Zeit als „Kriegstreiber" kritisiert, reichte dem Erzfeind im Dezember 1987 die Hand. Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, der sich mit „Glasnost" und „Perestroika" eine ehrgeizige Reformagenda für sein wankendes Riesenreich auf die Fahnen geschrieben hatte, war ein kongenialer Partner. Reagan und Gorbatschow ergriffen den Moment der Geschichte, um den Rüstungswahnsinn zu stoppen und eine politische Annäherung einzuleiten.
Von dem Geist von 1987 ist die heutige Welt leider Lichtjahre entfernt. Eine Neuauflage des INF-Vertrags ist unwahrscheinlich. Während des Kalten Kriegs war die Politik vergleichsweise berechenbar. Damals bedrohten sich Washington und Moskau gegenseitig mit atomarer Vernichtung. Das Gleichgewicht des Schreckens wirkte stabilisierend. Das Risiko einer militärischen Konfrontation wollte keiner der beiden Blöcke eingehen.
Heute hingegen ist die internationale Politik chaotisch und konfliktanfällig wie nie. Neben den USA und Russland sind neue Akteure dazugekommen. China hat sich auf eine beispiellose Aufholjagd begeben. Es will Amerika wirtschaftlich überholen, investiert weltweit Milliardensummen und steigert seinen Militärhaushalt dramatisch. Über rund 2.000 Mittelstreckenraketen, die nuklear bestückt werden können, verfügt das Land bereits. Die wachsenden Arsenale der Atommächte Indien, Pakistan und Nordkorea machen die Lage noch fragiler. Zudem hat auch der Iran Mittelstreckenraketen.
Ein neuer INF-Vertrag hätte nur Sinn, wenn sich alle Staaten, die im Besitz von Mittelstreckenwaffen sind, zu Verschrottung oder Begrenzung verpflichten würden. Dafür gibt es keinerlei Signale. China hat dies rundweg abgelehnt. Vielmehr geht der Trend Richtung Aufrüstung. Der Weltraum ist das neue Schlachtfeld, in dem die Großen mitmischen wollen: Die USA, Russland, China und Frankreich haben bereits ambitionierte Programme angekündigt.
Während die Pläne für das All noch Zukunftsmusik sind, wird die Gegenwart von einem Flickenteppich verschiedener Krisen bestimmt. Zum einen gibt es handfeste militärische Konflikte wie die Kämpfe in der Ostukraine, in Syrien oder im Jemen.
Im Nuklear-Streit zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran bewegt sich die Auseinandersetzung auf der Ebene von Drohkulissen und Nadelstichen – alles unterhalb der Schwelle einer kriegerischen Konfrontation.
US-Präsident Donald Trump will die Mullahs durch harsche Wirtschaftssanktionen zu einem dreifachen Verzicht zwingen: keine Kernwaffen, keine Raketen, keine Unterstützung von schiitischen Milizen in der Region. Diese Strategie des „maximalen Drucks" soll die Kapitulation des Mullah-Regimes bringen. Teheran baut hingegen darauf, dass Trump keinen großen Waffengang im Nahen Osten will. 15 Monate vor den Präsidentschaftswahlen – so die Spekulation – ist das Risiko zu groß, dass sich die kriegsmüde Nation vom Präsidenten abwendet.
Der Iran wiederum provoziert mit der Festsetzung von Tankern im Persischen Golf. Das dahinterstehende Kalkül: Insbesondere die Europäer befürchten eine Zuspitzung in der wichtigsten Öl-Route der Welt. Diese Nervosität soll sie dazu treiben, Teheran einen Ausgleich für die amerikanischen Sanktionen zu verschaffen.
Darüber hinaus mehren sich die digitalen Attacken auf Einrichtungen, die im Fachjargon als kritische Infrastruktur bezeichnet werden: Energie-, Wasserversorgung, Krankenhäuser oder staatliche Verwaltung. Experten warnen, dass die Kriege der Zukunft weniger mit Panzern und Kampfjets geführt werden. Die Arsenale der Cyberangriffe bestehen aus Schadsoftware, Trojanern und Computerviren. Westliche Nachrichtendienste warnen insbesondere vor den Aktivitäten Russlands, Chinas oder des Irans.
Vor diesem Hintergrund steigt die globale Instabilität. Die vielfältigen Risiken könnten nur eingedämmt werden, wenn man zu verbindlichen Absprachen wie im Fall des INF-Vertrags käme. Hierfür gibt es leider keine Anzeichen. In Zeiten, in denen Autokraten die Weltpolitik dominieren, sind internationale Abkommen out.