Ihr Image ist schlecht. Ratten der Lüfte oder Seuchenträger werden sie manchmal genannt. Helga Ehretsmann und der Stadttaubenverein kennen die Vorurteile gegen Tauben – und kämpfen wacker gegen den schlechten Ruf der Tiere an.
Der Weg zu den Saarbrücker Tauben führt mit einem kleinen Aufzug in den achten Stock des Q-Park-Parkplatzes Lampertshof. Dass hier oben Tauben ein Zuhause haben, ahnt wohl kaum jemand, der sein Auto hier abstellt. Die Geräusche sind allerdings eindeutig. Ein Flattern ist direkt zu hören, und ein paar Tauben spazieren über das Deck. Dazu kommt das monotone Gurren, das immer lauter wird, je näher man dem Taubenschlag kommt Der ist vier Meter lang und drei Meter breit, aus hellen Spanplatten gebaut und hat eine Tür. Davor wartet Helga Ehretsmann vom Saarbrücker Stadttaubenverein. Hier oben ist die Vorsitzende an einem der Orte, an dem sie sich Tag für Tag mit Herzblut für ihre gefiederten Freunde einsetzt.
Jeden Morgen kommt die 74-jährige Tierschützerin in den Taubenschlag und tauscht die Taubeneier gegen Gips-Attrappen aus. Mit dem Austausch der Taubeneier möchte der Verein die Taubenpopulation eindämmen. Bei Hitze und Kälte werden der kleine Verschlag und das Parkdeck gereinigt und die Tiere mit Futter und Vitamin-B12-haltigem Wasser versorgt, das Krankheiten vorbeugen soll. Von außen ist es bloß eine schmale horizontale Öffnung, in der sich unzählige Tauben tummeln und ein- und ausfliegen. Der Taubenschlag auf dem Deck des Parkhauses ist einer von zweien in Saarbrücken, den Helga Ehretsmann mit dem Verein pflegt. Die Landeshauptstadt Saarbrücken hat es sich in Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Helfern zur Aufgabe gemacht, die Population der Stadttauben begrenzen. Die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit soll Vorurteile gegen Tauben aus dem Weg räumen.
In dem Gespräch mit Helga Ehretsmann wird deutlich, dass sich die Arbeit des Vereins nicht nur in den Schlägen abspielt. Die Mitarbeiter erhalten zahlreiche Anrufe mit tierischen Notfällen, beispielsweise, wenn verletzte oder eingesperrte Tauben gefunden werden. Für solche Fälle braucht der Verein dringend freiwillige Helfer und vor allem Männer, da der Großteil des Vereins derzeit aus Frauen besteht. Beim Transportieren der schweren Futtersäcke oder bei Rettungsaktionen kann das schon mal zu einem Problem werden. Außerdem ist der Stadttaubenverein dringend auf Unterstützung bei der Versorgung der Taubenschläge angewiesen, ebenso auf Spenden. Der Platz in den Taubenschlägen ist gering, noch dazu fehlen elektrisches Licht und eine Heizung. Die Vorsitzende erklärt, dass sie unbedingt weitere Pflegestellen benötigen. Diese kümmern sich um junge und vor allem verletzte Tauben, bis diese wieder fit für den Schlag sind. Aktuell gibt es drei Pflegestellen, die von Vereinsmitgliedern betrieben werden. Eine davon ist die Wildtierauffangstation in Püttlingen, die sich vor allem um Amseln, Meisen oder Wildtauben kümmert.
Weitere Pflegestellen werden dringend gebraucht
Die sozialen Medien leisten einen erheblichen Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit. Facebook ist mittlerweile eine wichtige Plattform für den Verein. Die ersten Reaktionen auf die Vereinsarbeit fallen nämlich meist nicht so positiv aus. Viele Menschen glauben vor allem, der Kot der Tauben übertrage Krankheiten. „Es gibt viele Leute, die überlegen gar nicht und reden nach und sagen Ratten der Lüfte. Ratten klingt gefährlich", erzählt Helga Ehretsmann und erklärt, warum sie sich mit so viel Herzblut für die Tauben einsetzt: „Weil es die ärmsten Tiere sind! Sie machen zwar viel Dreck, aber der bleibt überwiegend im Schlag. Zudem sind sie friedliebend und brauchen nur ihr Nest. Der Kot könnte sogar für Dünger genutzt werden."
Durch die Öffentlichkeitsarbeit werden die Menschen auf die Tauben aufmerksam. Sie betont, dass man dadurch auch viele gute Erfahrungen macht. „Immer mehr Menschen gehen für Tauben auf die Barrikaden." „Hut ab vor euch!", lautet das Feedback Interessierter nach näherer Aufklärung. Außerdem erhält der Verein monatliche Spenden sowie Gelder der Tierschutzstiftung. Um das Vorhaben weiter voranzutreiben, engagiert sich der Stadttaubenverein durch seine Mitgliedschaft auf Landesebene im Deutschen Tierschutzbund und seit einem Jahr im deutschen Bundesverband für Tierschutz in Bonn. Dazu erhielt er 2018 den Deutschen Tierschutzpreis in Berlin, und die Tierrechtsorganisation Peta kürte Helga Ehretsmann zur „Heldin für Tiere".
Nach dem Vorgespräch betreten wir den Taubenschlag mit einem völlig neuen Blick auf die Vögel. Es kostet etwas Überwindung, in den kleinen Raum mit den vielen Tauben zu gehen. Der beißende Kot-Geruch steigt einem beim Eintreten in die Nase. Die eine oder andere Taube landet auf Helga Ehretsmanns Kopf, denn besonders viel Platz haben die Tiere nicht. In dem kleinen Raum stehen Regale mit quadratischen Fächern an allen vier Wänden. Darin befinden sich kleine Nistkörbchen. Einige Tauben flattern über unsere Köpfe hinweg. Andere blicken träge von ihren Nestern auf oder strecken neugierig ihre Köpfe aus den Regalen. Insgesamt scheinen sich die Tiere sehr wohlzufühlen. So als wüssten sie, dass man ihnen hier nur Gutes tut. Die matten Gips-Attrappen der Eier reichen aus, um die Tauben zu täuschen. Wir allerdings sehen genauer hin und erkennen die Unterschiede. Die echten Eier, die Helga Ehretsmann gerade aus einem der Nester geholt hat, sind kleiner und haben eine glänzend glatte Oberfläche. Erst nach drei bis vier Tagen bildet sich Leben in den Eiern. „Die müssen die Hitze haben, sonst sterben sie aus und ich bin ja jeden Tag da und nehme sie weg."
Die Anzahl der Tauben in der Stadt hat sich verringert
Nach rund zwei Wochen merken die Tauben, dass die Gips-Eier kalt sind und hören auf zu brüten. Da beide Schläge in einem Jahr circa 2.000 Eier zählen, verringert sich auch die Anzahl der Tauben in der Stadt um diese Zahl. Kranke Tauben werden tierärztlich versorgt und in einer abgetrennten Voliere untergebracht. Das ist wichtig, damit sich die Tauben im Schlag nicht anstecken. Außerdem dient sie der Erholung, da viele Tauben am Drehköpfchenvirus erkranken, der durch Stress ausgelöst wird. Helga Ehretsmann erzählt von der Krankheit Ornithose. Dabei handelt es sich um eine von Vögeln übertragbare Infektionskrankheit, die bei Menschen zu grippalen Symptomen oder gar hin zu einer Lungenentzündung führen kann. In Deutschland tritt sie allerdings sehr selten auf. Trotzdem schützen sich die Ehrenamtler mit Handschuhen und Mundschutz.
„Viele Leute verstehen nicht, warum wir eine kranke Taube auch noch zum Tierarzt bringen", erzählt Helga Ehretsmann. Dabei sind Tauben sehr treue Lebensgefährten, die bis ans Ende ihres Lebens bei ihren Partnern bleiben und sehr unter deren Verlust leiden. Außerdem beginnen diese Tiere sehr schnell damit, eine persönliche Beziehung zum Menschen aufzubauen und halten auch hier die Treue: „Die Tiere fühlen sich hier wohl und bleiben auch lange da. Die äteste Taube ist 17 Jahre", erklärt die Kennerin.
Zurück aus dem Taubenschlag auf dem Boden der Tatsachen versuchen wir den Drang, unsere Hände und Arme zu waschen, abzuschütteln. Im Grunde handelt es sich bei Tauben auch nur um eine von vielen Vogelarten, die versucht in der Welt der Menschen ihren Platz zu finden. Dabei sind diese Tiere nicht anspruchsvoll und mit einem Nest und Futter leicht zufriedenzustellen. Die Aktivitäten des Vereins zeigen, dass die Population der Tauben eingedämmt werden kann, auch ohne ihnen Leid zuzufügen.
Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass auch ehrenamtliche Arbeit ihre Grenzen hat und fortlaufend Unterstützung braucht. Der Taubenschlag im Parkhaus Lampertshof ist nur ein Beispiel von vielen möglichen Standorten in Saarbrücken. Dort können sie leben, fernab vom Stadttrubel, ohne die Bewohner von Saarbrücken zu stören.