Über Sinn und Unsinn der Ratgeber-Hysterie
Kürzlich brauchten wir dringend einen Rat. Das Problem: Wie kann der Blutdruck am besten ohne Medikamente eingestellt werden? Nun gut, wir haben einen exzellenten Hausarzt, der vor dem Ausstellen eines Rezeptes meint, mehr Bewegung würde uns ganz gut tun. Also eilten wir schnurstracks zur Apotheke und besorgten uns zudem Fachzeitschriften. So war zu erfahren, dass Stress den Blutdruck erhöhe. Da sei eine selbst gebraute Mixtur empfehlenswert: Ignatiusbohne, Tigerlilie, Traubensilberkerze und ein wenig Platin. Bei unserem Marken-Discounter hatten sie diese Sachen leider nicht.
Praktikabel erschien der Hinweis, ein Nickerchen würde den Blutdruck senken. Funktionierte, weshalb diese Kolumne ja auch mit Verspätung erscheint. Was nicht klappte, war der Hinweis auf einen passenden Musikstil. Forscher der Uniklinik Herne hatten herausgefunden, dass Bach und Mozart den Blutstrom senken würden. Sie fügten gleich an, sie könnten nicht erklären, warum das so sei.
Es ist schon witzig, was alles als Rat angeboten wird. In einem Heft boten Wahrsager ihre Dienste an. Ein Herr Kulizka propagierte für 1,99 Euro pro Minute: Wissen Sie noch heute, ob sie im Verkehr vorsichtig sein müssen. Das erinnerte uns an Mama, die uns eintrichterte: „Erst rechts gucken, dann links gucken."
Überhaupt hatten Mama und Oma großes Wissen. Mangels Internet standen Brockhaus-Bände im Regal. Für das praktische Leben wurden die nicht benötigt. Die Damen kauften klaren Korn, wenn er im Sonderangebot war, und pflückten im August beim Bauern günstig Kirschen. Der so angesetzte Obstschnaps sollte eine Woche ziehen. Als der Junge groß genug war, brauchte er keinen Rat, verkostete das Gesöff vor der Zeit und füllte die Flasche mit Wasser auf. Wonach die Familie ratlos war, warum das Kirschwasser so schlabberig schmeckte. Bis ein Onkel dahinterkam, weil er es selbst als Heranwachsender so gemacht hatte, und der Junge etwas hinter die Ohren bekam. Heutzutage würde eine Mami erst einmal bei Amazon einen „Ratgeber Erziehung" bestellen.
Festzustellen ist: Je mehr wir uns auf Ratgeber verlassen, desto weniger müssen wir selber nachdenken. Das Gehirn verkümmert, aber dafür gibt es auch wohlfeile Bücher, die dann von pflegenden Angehörigen gelesen werden.
Herpes, Kniegeräusche, Haut-Ekzeme? Entweder Stiefmütterchen pflücken und kauen – oder doch lieber einen Apotheker fragen? Es ist alles eine Frage des Vertrauens – vor allem auf den eigenen Verstand. Bei der besagten Plattform Amazon elektrisierte uns ein Hinweis: „Wie Sie als Mann bekommen, was Sie wollen." Freudig erregt klickten wir das an und wurden zu einem Handwerker-Ratgeber geleitet. Direkt darunter gab es Geschenktipps für die Freundin: „Das Ende der Cellulitis". Ein Fachbuch für das Ende von Beziehungen fanden wir dann auch noch.
In der Familie gab es auch Beziehungen, die vorzeitig endeten. Mama und Oma trösteten sich mit Schnittmusterbogen von einem Verlag, der damit steinreich wurde. Nicht jeder Ratgeber war schon damals nicht schlecht. Und anstatt im Internet auf Kontaktbörsen zu surfen, um sich alle elf Minuten zu verlieben, strickten Mama und Oma im Herbst die Weihnachtsgeschenke, und sie füllten die Zeit ihres Lebens sinnvoller aus als ihre Töchter und Enkelinnen, die lieber Shopping-Queens sein wollen.
Da wir zwecks Erweiterung unseres Wissens kein Geld ausgeben wollten, stöberten wir auf den Internet-seiten der ARD-Sender. Offensichtlich werden wir da vornehmlich nur als kranke Verbraucher wahrgenommen. Irgendwo war zu lesen, dass wir uns bei Kopfschmerzen einen Eis-Lolli über den Nacken streichen sollten. Oder: Falls wir die Brille verlegt hätten, sollten wir es mit Augen-Yoga versuchen. Dann würden wir sie finden.
Wir fanden, dass wir auch einen Ratgeber schreiben sollten. Nun zahlten wir sogar für ein Buch. Ein Michael Jäckel bot für 12,90 Euro die richtige Literatur an: „Wie man einen richtigen Ratgeber schreibt". In meinem kann dann die Geschichte mit dem Kirschwasser nachgelesen werden.