Der AC Mailand ist seit Jahren ein Schatten seiner selbst. Die erfolgreichen Tage sind lange her, die Schlagzeilen werden beherrscht von Investorenübernahmen und Verboten. Nun soll die Zukunft mit Club-Legenden wieder besser gestaltet werden.
Um sich an den letzten großen Titel des AC Mailand zu erinnern, müssen die Fans die Uhr ein ganzes Stück zurückdrehen. In der Saison 2006/07 besiegten die Lombarden im Champions-League-Finale den FC Liverpool. Wie lange das her ist, wird beim Blick auf den Doppeltorschützen dieses Finals deutlich: Filippo Inzaghi war damals der Matchwinner, in der Zwischenzeit war er auch schon Trainer beim AC Milan – aber auch nur für ein Jahr. Mittlerweile trainiert der Ausnahmestürmer in der Serie B, der zweiten Liga Italiens. Die Zeiten, in denen Milan den Fußball prägte wie kaum eine andere Mannschaft, sind vorbei.
Von 1988 bis 2007 gewannen die Mailänder nicht nur siebenmal die italienische Meisterschaft, sondern auch fünfmal die Champions-League beziehungsweise den Landesmeisterpokal. Ebenso lange her wie große Titel sind bei den Italienern große Spieler. Nach der Legendenfraktion um Paolo Maldini, Alessandro Nesta, Clarence Seedorf, „Pippo" Inzaghi und Andrea Pirlo kam nicht mehr viel nach bei den Mailändern. Auch weil es innerhalb des Vereins immer wieder drunter und drüber ging. Nachdem Silvio Berlusconi sich nach langem Hin und Her im Jahr 2017 vom AC Mailand als Eigentümer getrennt hatte, übernahm ein chinesischer Geschäftsmann namens Li Yonghong den Verein. Finanzielle Unterstützung bekam dieser von dem US-Hedgefonds Elliot, bei dem er aber Rückzahlungen versäumt haben soll. Dadurch wurde Elliot Mehrheitseigentümer und verhalf dem teilweise maroden Club mit Finanzspritzen auf die Beine. Doch wie so oft birgt dieses Investoren-Konstrukt große Risiken. Denn nach der Übernahme durch Yonghong rasten die Ausgaben in die Höhe, und die Einnahmen sanken weiter.
Eine kleine Anekdote aus dieser Epoche wurde vor Kurzem öffentlich. In der Zeit, in der Marco Fassone als Vorstandschef die Geschicke des AC Mailand leitete, wollte Li Yonghong einen wirklich großen Spieler verpflichten: „Herr Li wollte und bestand auf Ronaldo", so Fassone. „Deshalb habe ich mit dessen Berater Jorge Mendes gesprochen. Ronaldo hätte Real Madrid verlassen und Milan ist ein weltberühmter Club, den er mochte." Man habe sich aber intern besprochen und die Möglichkeit als wirtschaftlich nicht nachhaltig eingeschätzt – und sich stattdessen für den Abwehrchef Leonardo Bonucci entschieden.
Sehnsucht nach neuen, großen Zeiten
Dieser wechselte aber nach einem Jahr wieder zurück und spielte dann gemeinsam mit Ronaldo bei Juventus. Ebenfalls auf der Liste stand Pierre-Emerick Aubameyang. Zum damaligen Stürmer von Borussia Dortmund, der bei Milan in der Jugend spielte, sagte Fassone: „Da war der damalige Sportdirektor Mirabelli dran – aber es ist kompliziert, mit den deutschen Teams zu arbeiten. Die Forderung war immer höher als ein guter Preis gewesen wäre." Aubameyang verließ den BVB letztlich dennoch – im Januar 2018 für 63,75 Mio. Euro zum FC Arsenal. Große Spieler und der AC Milan – das passte nicht. Sportlicher Erfolg blieb aus, obwohl Unmengen an Geld verpulvert wurden. Die Mailänder hatten sich in eine Sackgasse manövriert.
Diese Entwicklung gipfelte darin, dass der ehemals große Verein aufgrund von Verstößen gegen das Financial Fairplay nun von der Teilnahme an der kommenden Europa-League-Saison ausgeschlossen wurde. Die Sperre wegen schwerwiegender Verstöße gab der Internationale Sportgerichtshof CAS in Lausanne in einer Mitteilung bekannt.
Mailands Ausschluss ist das Ergebnis eines wenige Tage vor der CAS-Entscheidung geschlossenen Vergleichs zwischen dem Verein und dem europäischen Fußballverband. Als Fünfter der zurückliegenden Spielzeit der italienischen Serie A wäre Milan für den „kleinen Europacup" qualifiziert gewesen. Durch den Vergleich erklärte der CAS nun, seien die Verfahren wegen der Verstöße gegen das Financial Fairplay geschlossen.
Die Sperre durch die Uefa tut weh
Dem Club waren durch Uefa-Kontrolleure für die Berichtszeiträume 2015 bis 2017 und 2016 bis 2018 erhebliche Verstöße gegen die Vorschriften für ein seriöses Finanzgebaren nachgewiesen worden. Allein im ersten Zeitraum hatte Mailand statt des erlaubten Verlustes bei Spielertransfers von 30 Millionen Euro ein Minus von 255 Millionen Euro verbucht. Mehr als das Achtfache des Erlaubten. Die daraufhin erfolgte Europacup-Sperre hatte Milan zunächst erfolgreich beim CAS anfechten können, doch aufgrund der Ergebnisse weiterer Prüfungen stimmte der Verein dem nun getroffenen Vergleich zu. Andernfalls hätten den Rossoneri offenbar noch schärfere Sanktionen gedroht. Ein – mal wieder – guter Pakt zwischen einem misswirtschaftendem Verein und der Uefa. Der Club schrieb in seiner Mitteilung: „Trotz der großen Verbitterung, dass unsere Fans die Mannschaft nicht in der Europa League sehen werden, erkennt der Verein das Financial Fairplay an und respektiert es. Der AC Mailand räumt ein, dass es keinen anderen Weg gab, als die Sanktionen zu akzeptieren, um zu einer vollständigen Einhaltung der Vorschriften zurückzukehren." Zumindest diese Einsicht setzte ein. Weniger kann der Verein dafür, dass das große Stadion der Mailänder Clubs durchweg marode ist – und abgerissen werden soll. Das ist eine Posse, die sich aber noch lange hinziehen kann. Es gibt Befürworter – aber genügend Gegenstimmen. Berlusconi beispielsweise will gegen den Abriss des Fußball-Tempels kämpfen. Es sei „absurd und sinnlos", einen solchen aufzugeben, sagte der frühere Eigentümer des AC Mailand. Das Stadion sei „im Herzen aller Mailänder verankert" und könne für viele Veranstaltungen genutzt werden. Seiner Initiative gegen die Pläne der Mailänder Clubs AC und Inter Mailand, eine neue Arena zu errichten, schlossen sich mehrere prominente Mailänder an. Auch der italienische Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini wehrt sich gegen das Projekt. „Als Italiener, als Mailänder und als Milan-Fan bin ich absolut gegen den Abriss des glorreichen San-Siro-Stadions", sagte Salvini. Milan und Inter Mailand hatten dem Mailänder Gemeinderat einen Plan für die Errichtung einer neuen Fußball-Arena mit 60.000 Plätzen vorgelegt. Diese soll schätzungsweise 1,2 Milliarden Euro kosten. Die mögliche Realisierung ist indes noch Jahre entfernt, da sie von den lokalen Behörden genehmigt werden muss. Ein Abriss vor 2026 gilt als unwahrscheinlich, da in San Siro die Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Mailand und Cortina geplant ist.
Große Titel sind in naher Zukunft wieder das Ziel
Hoffnung auf sportlich bessere Zeiten gibt es im Umfeld aber dennoch. Das hängt vor allem mit der neuen sportlichen Führungsriege zusammen. Im Sommer 2019 mussten nämlich Trainer Gennaro Gattuso und Sportdirektor Leonardo ihre Posten räumen. Neuer Milan-Coach ist Marco Giampaolo, der nach drei Spielzeiten Sampdoria Genua verlassen hat und dort schon zeigte, dass er aus wenig ganz viel machen kann. Für Leonardo, der zu Paris Saint-Germain zurückgekehrt ist, übernimmt Frederic Massara. Der neue Sportdirektor, der vom AS Rom in die Lombardei kam, ist niemand Geringerem als Milan-Ikone Paolo Maldini unterstellt. Neben Massara wurde auch der ehemalige Milan-Star Zvonimir Boban von der Fifa weggelockt und als Manager installiert. Der 50 Jahre alte Kroate trug zehn Jahre das Trikot der Rossoneri und gewann in dieser Zeit neun Titel. Und Titel sind das große Ziel: Massara und Boban sollen gemeinsam mit dem Technischen Direktor Maldini (25 Titel) die Rot-Schwarzen wieder zu altem Glanz führen. Nach Leonardos Abgang hat der legendäre Linksverteidiger nun das letzte Wort bei sportlichen Angelegenheiten. Große Transfers sind nicht drin, doch der Kader bringt genug Qualität mit, um zumindest in der Serie A wieder um die Champions-League-Plätze mitzuspielen. Torwart Gianluigi Donnarumma bleibt nach einem Machtwort von Maldini. Im Zwei-Mann-Sturm sind Senkrechtstarter Krzysztof Piatek, 24, und Patrick Cutrone, 21, erst mal gesetzt. Sollte Andre Silva, 23, noch transferiert werden, bräuchte es noch einen weiteren Mittelstürmer, da Fabio Borini, 28, Suso, 25, und Samu Castillejo, 24, sich auf dem Flügel wohler fühlen als in der Sturmmitte. Zugute kommt Maldini und Co., dass Milan sich ausschließlich auf die Liga und den Pokal konzentrieren kann. Für große Sprünge wird es wohl noch nicht reichen, jedoch bringt die neue Führungsetage eine ganz neue Eigenschaft mit: Sie weiß, wie Titel gewonnen werden.