Italiens Innenminister will Neuwahlen – und setzt auf puren Populismus
Er lacht, macht Selfies mit Bikini-Schönheiten, feiert Mojito-Partys bei Sonnenuntergang. Matteo Salvini, Italiens Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident, posiert mit Badehose und nicht zu übersehendem Bauchansatz. In diesen Augusttagen ist der Strand seine politische Arena. Eine Mischung aus Spektakel, Zirkus und Jahrmarkt. „Viva la normalità – es lebe die Normalität", ruft der 46-Jährige. Die Botschaft: „Ich bin einer von euch."
Mitten in die Sommerhitze hinein verkündete der Vize-Premier das Ende des Regierungsbündnisses. Die Feuer-und-Wasser-Koalition zwischen Salvinis rechtspopulistischer Lega und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Partei war von Beginn an eine Allianz auf Zeit. Im Senat hat die Lega bereits einen Misstrauensantrag gegen den parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte gestellt. Es wird damit gerechnet, dass sich die Parlamentarier in der Woche vom 19. bis zum 23. August zu Vertrauensabstimmungen treffen.
Verliert Conte die Mehrheit, wäre Staatspräsident Sergio Mattarella am Zug. Theoretisch kann dieser andere Parteien mit der Regierungsbildung beauftragen oder übergangsweise ein Experten-Team berufen. Wahrscheinlich sind jedoch Neuwahlen – im Oktober, November oder im Frühjahr 2020. Salvini rechnet sich große Chancen aus, Ministerpräsident zu werden. Meinungsumfragen sagen seiner Lega zwischen 36 und 40 Prozent voraus.
Genau darauf hat Salvini seit Monaten hingearbeitet. Er gibt mal den Rächer des mit Füßen getretenen Italiens, mal den Volkstribun, der allen alles verspricht. Mit Feindbildern trommelt und mobilisiert er. An vorderster Stelle stehen Brüssel und Deutschland: Sie seien für einen extremen Sparkurs verantwortlich, der sein Land in den Ruin treibe, wettert Salvini.
Insbesondere die rigorose Kampagne gegen illegale Migration hat Salvinis politische Karriere befördert. „Italien darf nicht zum Flüchtlingslager Europas werden", sagt er. Und stößt damit bei vielen seiner Landsleute auf große Resonanz. Italien trug lange Zeit zusammen mit Griechenland die größte Last in der Migrationskrise.
Mit diesem schrill aufbereiteten Mono-Thema erreichte Salvini einen atemberaubenden Aufstieg. Bei der Parlamentswahl im März vergangenen Jahres holte seine Lega 17 Prozent. Ein Überraschungserfolg – aber nur halb so viel wie die Fünf-Sterne-Partei, der spätere Koalitionspartner. Inzwischen haben sich die Größenverhältnisse umgekehrt: Die Lega ist laut Umfragen doppelt so stark wie die Fünf Sterne.
Getragen von diesem Rückenwind peilt Salvini nun den Spitzen-Job in der Regierung an. Er setzt dabei auf einen Mix aus Abgrenzung gegen Ausländer sowie sozialem und wirtschaftlichem Populismus. Die Steuern für Bürger und Unternehmen sollen auf breiter Front sinken. Die abschlagsfreie Rente mit 62 hatte er bereits mit der Fünf-Sterne-Partei eingeführt. Zudem soll die Wirtschaft mit milliardenschweren Infrastruktur-Programmen angekurbelt werden.
All dies kostet viel Geld, das das tief in der Kreide steckende Land eigentlich nicht hat. Mit rund 2,3 Billionen Euro weist Italien eines der gewaltigsten Staats-Defizite weltweit auf. In der EU steht nur Griechenland schlechter da. Darüber hinaus schwächelt die Konjunktur, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Zehntausende junge Italiener verlassen das Land, weil sie zu Hause keine Perspektive sehen.
Für all diese Probleme hat Salvini kein Rezept. Sollte er bei Neuwahlen gewinnen, kommen als Koalitionspartner vor allem die konservative Forza Italia des rastlosen Polit-Oldies Silvio Berlusconi oder die rechtsnationalen Fratelli d’Italia in Frage. Ökonomen in Deutschland sehen dies mit großer Skepsis. „Für Europa wäre eine rechte Regierung in Italien ein noch größerer Alptraum als die gegenwärtige Regierung", sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Im Oktober kommt für Italien die Stunde der Wahrheit. Bis dahin muss die Regierung den Haushalt für 2020 vorlegen. Mit Blick auf Salvinis üppiges Wünsch-dir-was-Programm besteht das hohe Risiko, dass Rom die Defizit-Vorgaben aus Brüssel reißt. Aber es ist auch gut möglich, dass Salvini im letzten Moment beidreht und die Ausgaben nicht so rasant erhöht wie geplant. Theaterdonner ist Teil von Salvinis Kampagne gegen Brüssel.