Was lange als lästig galt, ist mittlerweile zum Trend geworden: Aufräumen. Das liegt nicht zuletzt an der Japanerin Marie Kondo, die mit ihrer Methode das Zuhause vieler Menschen ordentlicher und sich selbst zur Millionärin machte.
In jeder Klasse gab es den Streber, den Klassenclown und den Sunnyboy. Die Japanerin Marie Kondo sagt von sich, sie sei der „Ordnungstyp" gewesen. Kennen Sie nicht? Hier eine kurze Beschreibung: „Der Ordnungstyp bezeichnet ein unauffälliges, stilles Persönchen, das sorgsam mit Dingen umgeht und lieber in der hintersten Ecke des Klassenzimmers das Bücherregal aufräumt, als mit den anderen auf dem Schulhof zu spielen." Die Regale, die Tafel, der Papierkorb und die Schließfächer auf dem Gang – nichts sei vor der kleinen Marie und ihrer Ordnungsliebe verschont geblieben.
Diese kleine Charakterstudie und jede Menge Tipps zum richtigen und langfristigen Aufräumen gibt die Japanerin in ihrem Buch „Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert" preis. Das Erstlingswerk verkaufte sich weltweit über eine Million Mal. Ihm folgten vier weitere Bücher, allesamt Weltbestseller. Seit 2019 kommt auch an den Bildschirmen niemand mehr an Marie Kondo vorbei. Der Streamingdienst Netflix hat sie für die Show „Aufräumen mit Marie Kondo" verpflichtet. Seither schaut man ihr in zahlreichen Wohnzimmern rund um den Globus dabei zu, wie sie Menschen dabei hilft, ihr Hab und Gut auszumisten und neu zu ordnen. Der Zuschauer sieht sie Häuser begrüßen, T-Shirts falten und Socken rollen. In den USA ist aus ihrem Namen längst ein Verb geworden, „we kondo" sagen die Amerikaner nun, wenn sie vorhaben auszumisten und aufzuräumen. Das „Time Magazine" zählt die zierliche 34-Jährige mittlerweile zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Geschätztes Vermögen: acht Millionen Dollar.
Wie wurde der Ordnungstyp Marie Kondo zur Millionärin und was fasziniert so viele Menschen an ihrer Aufräum-Methode? Die Liebe zur Ordnung dominierte das Leben von Marie Kondo auch abseits der Schule früh. Sie war die Ordentliche in ihrer Familie, räumte ihr Zimmer auf, die Schränke mit den Haushaltswaren und hielt die Zimmer ihrer Geschwister sauber. Unordnung schien für sie schwer tolerierbar. Sie setzte sich mit verschiedenen Aufräum-Methoden auseinander. Stückchenweise aufräumen, nach Zimmern aufräumen, radikales Wegwerfen – am Ende herrschte doch immer wieder Unordnung und Kondo war mit den Nerven am Ende. Wie konnte es sein, dass sie jeden Tag aufräumte und trotzdem wieder das Chaos herrschte? Nach jahrelangem Herumprobieren und einer Ausbildung zur Aufräumberaterin entwarf sie ihre eigene Methode, die sognannte KonMari-Methode. Dabei geht es ihr darum „in einem Rutsch, in kurzer Zeit und perfekt" aufräumen – und danach nie wieder. Denn das Problem, das die Menschen mit dem Aufräumen hätten, rühre daher, dass sie es nie richtig gelernt hätten, und einfach zu viele Dinge besäßen, sodass sie überhaupt keinen Überblick mehr hätten.
Sie setzte sich mit verschiedenen Aufräum-Methoden auseinander
Deshalb beginnt das Aufräumen nach der KonMari-Methode auch immer mit dem Ausmisten. Entrümpelt wird in einer bestimmten Reihenfolge: Erstens Kleidung, Taschen und Schuhe, zweitens Bücher, drittens Unterlagen und Dokumente, viertens restlicher Kleinkram wie Haushaltsgeräte und Zubehör und erst an fünfter und letzter Stelle kommen Erinnerungsstücke. Diese Reihenfolge hält die Japanerin für wichtig, weil es mit aufsteigender Kategorie schwerer wird, die Dinge wegzuwerfen, weil man mit Erinnerungsstücken etwa oft wichtige Erlebnisse verbinde. In einem ersten Schritt kommen dann alle Dinge einer Kategorie auf einen Haufen. Im Falle der Kleidung bedeutet das also: alle Kleidungsstücke raus aus dem Kleiderschrank, die Taschen aus dem Flurschrank, die Sporttasche aus dem Keller, die Schuhe aus den Regalen – wo auch immer sich die entsprechenden Teile befinden, alles soll auf einen Haufen. Dadurch schaffe man sich einen Überblick und realisiere erst, wie viel Besitz man angehäuft habe.
Dann folgt der zweite Schritt. Er ist so etwas wie das Kernelement der KonMari-Methode. Der Aufräumende soll jedes Stück in die Hand nehmen, es genau betrachten und sich die Frage stellen „does it spark joy?", also bringt mir dieser Gegenstand Freude. Lautet die Antwort nein, wird das entsprechende Teil gespendet oder entsorgt. Das Glücksgefühl ist laut Kondo deshalb so wichtig, weil sie den wahren Sinn des Aufräumens darin sieht, zu entscheiden, was für ein Leben man nach dem Aufräumen führen will. Am besten also eines, bei dem man sich nur noch mit Dingen umgibt, die einem Freude bringen. Ihre Arbeitshypothese ist, dass sich das klare Entscheiden im Haushalt bald auf alle Arbeitsbereiche ausdehnen wird. Das gelte für Ernährung, Termine, Finanzen, alte Gewohnheiten oder sogar Beziehungen zu Menschen. Was nicht glücklich macht, kann weg. Was Freude bringt, wird aufmerksam gepflegt. Es ist genau diese Philosophie, die bei den Leuten ankommt und wahre Aufräumorgien rund um den Globus entstehen lässt. Die Sehnsucht nach einem aufgeräumten Leben mit weniger Besitz, umgeben von Dingen, die einem wirklich gut tun. Und auch das verspricht Marie Kondo: die Luft nach dem Aufräumen werde klarer, über die Seele lege sich eine völlig neue Klarheit. „Durch das radikale Aufräumen in einem Rutsch wird ein drastischer Bewusstseinswandel ausgelöst", lautet einer ihrer Merksätze.
Youtube-Video millionenfach angeklickt
Wenn also entschieden wurde, was bleiben darf und was weg kann, geht es ans richtige Aufbewahren. Auch hierfür gibt es klare Regeln. Allen Gegenstände, die der Aufräumende behält, wird ein fester Platz zugewiesen. Wird ein Gegenstand benutzt, wird er danach umgehend auf eben diesen Platz zurückgestellt. So soll die Wohnung auch zukünftig ordentlich bleiben. Für die Kleidung hat Marie Kondo einen besonderen Tipp: T-Shirts, Hosen und Co. sollen so gefaltet werden, dass sie in den Schubladen stehen. So könne man zum einen sehen, welche Kleidungsstücke man besitze, und vermeiden, dass man bei der Suche nach einem bestimmten Stück Unordnung schaffe. Auch für das korrekte Falten gibt es eine eigene Methode. Das Youtube-Video, in dem sie die Methode erklärt, wurde bereits über neun Millionen mal angeklickt.
Langfristig erfolgreich kann mit der KonMari-Methode sein, wer auch künftig nur noch Dinge kauft, die Freude machen. Und so ist es zwischen all dem Sockenrollen, Kleiderfalten und Schränke entrümpeln eigentlich die Sehnsucht nach Glück und der Frage, was dafür nötig ist, womit man sich umgeben will, kurz: welches Leben man eigentlich führen will, die Marie Kondo zu stellen vermag. Bei Netflix kann man sehen, wie sie nach wochenlangem Aufräumen die Häuser der Menschen nur noch halb so voll und völlig geordnet hinterlässt. Die These: auch das Leben der Bewohner.
Doch mit dem Erfolg der Japanerin kommen auch erste Zweifel an ihrem modernen Märchen. Will Sie tatsächlich nur das Leben der Menschen aufgeräumter und schöner hinterlassen? Andere mit ihrer Liebe zur Ordnung anstecken? Vor ihrem Bestseller-Buch „Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert" soll sie in Japan einen Kurs belegt haben. Der Titel: „Wie ich Bestseller schreibe, die auch in zehn Jahren noch geliebt werden." Auch den Verleger des Buches soll sie nicht mit ihrem Schreibtalent überzeugt haben. Zum Zeitpunkt des Deals soll noch keine einzige Textzeile gestanden haben. Der Verleger aber habe in ihr jemanden gesehen, der im Fernsehen eine gute Figur machen würde.
In Deutschland bisher vier Beraterinnen
Ob geplant oder ungeplant: rund um die zierliche Japanerin ist mittlerweile ein erfolgreiches Unternehmen entstanden. Konmari Media Inc heißt es. Kondo ist dort sowohl als Gründerin als auch als Chief Visionary Officer gelistet, der für visionäre Ideen zuständig ist. Das operative Geschäft leitet Kazuma Yamauchi, eine japanische Managerin, die zuvor für die US-Investmentbank Goldman Sachs und Advent International gearbeitet hat, einen der weltweit größten Private Equity Fonds. Der Kondo-Kosmos umfasst neben der Netflix-Serie und ihren Büchern auch das Ausbilden neuer Konmari-Berater. Ihre Methode hat die Japanerin schützen lassen, und so darf nur der jenige anderen Menschen mit der KonMari-Methode beim Aufräumen helfen und daraus ein Geschäft machen, der zuvor von Kondo oder ihren Mitarbeitern ausgebildet wurde. 252 Berater gibt es laut ihrer Website derzeit weltweit. Die meisten von ihnen bieten ihre Dienste in den USA an – in Deutschland sind bislang vier Beraterinnen gelistet. Teilnehmen darf an den Ausbildungsseminaren nur, wer vorher sein eigenes Zuhause akribisch nach der KonMari-Methode aufgeräumt hat. Mit Fotos muss der Anwärter dies belegen. Es folgt ein dreitägiges Seminar für 2.700 Dollar, bei dem die Teilnehmer Kondos Falttechniken und den Umgang mit schwierigen Kunden lernen. Wer das Seminar erfolgreich absolviert, muss an zehn Test-Terminen mindestens zwei Kunden beim Aufräumen helfen und darüber schriftliche Berichte abgeben. Besteht der Bewerber dann auch noch einen Onlinetest mit Multiple Choice-Fragen, winkt ihm die Auszeichnung als KonMari-Berater. Erst einmal drin im Beraterteam, kann man sich hocharbeiten. Je mehr Kunden man beim Aufräumen geholfen hat, desto höher die Auszeichnung. Mit 1.500 Aufräum-Stunden wird man zum Aufräum-Master. Jährlich zahlen die Berater dafür 500 Euro Lizenzgebühr.
Patricia Knötzsch aus Hamburg ist eine solche KonMari-Beraterin. In Deutschland, sagt sie, seien die Menschen zurückhaltender, sich mit der KonMari-Methode helfen zu lassen als in den USA. Die Deutschen hätten das Gefühl, versagt zu haben, wenn sie nicht selbst mit ihrer Unordnung fertig würden, erklärt es Knötzsch. Manchen ist es aber auch schlicht zu viel Brimborium, sie halten Kondo für zwanghaft und rigoros.
Selbst in ihrer Netflix-Serie gibt es zwischen überglücklichen und erleichterten Menschen die ein oder andere kritische Stimme. So sagt eine amerikanische Mutter, bei der Kondo kompromisslos ausgemistet hat: „Sie wirken lieb, sind aber eigentlich hart." Die Japanerin selbst wirbt für ein gewisses Maß an Disziplin, denn nur so könne man richtig aufräumen und vor allem dauerhaft Ordnung halten.