So wie es aussieht, werden Brandenburg und Sachsen zukünftig im Bundesrat keine politische Rolle mehr spielen. Sowohl CDU als auch SPD müssen mit empfindlichen Verlusten rechnen, die Große Koalition im Bund wird damit noch instabiler.
Bereits vor den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen ist ausgerechnet Katja Kipping in Alarmstimmung. „Bei uns laufen die Vorbereitungen auf Bundestagsneuwahlen bereits auf Hochtouren", gibt die Chefin der Linkspartei freimütig zu Protokoll. „Wenn die im Bund regierenden Parteien CDU und SPD tatsächlich derart herbe Verlust hinnehmen müssen, wie in den Umfragen prognostiziert, übersteht die große Koalition auf keinen Fall den Herbst."
Kippings Blick überrascht, gilt die 41-Jährige doch eher als kühle Analytikerin denn als Heißsporn. Eines ist aber klar: Die beiden jetzt anstehenden Wahlgänge im Osten werden die politische Landschaft in der ganzen Republik empfindlich unter Druck setzen. Bereits Anfang September dürfte das Regieren in der Merkel-Regierung noch schwieriger werden, als es bislang ohnehin schon ist. Denn, wenn die Prognosen nicht völlig danebenliegen, werden sowohl die CDU, als auch die SPD erheblich gerupft aus den Urnengängen in Brandenburg und Sachsen herauskommen.
Aus Sicht der SPD ist es aber für den Showdown für die große Koalition ohnehin noch zu früh. Denn noch wird die Partei ja kommissarisch geleitet, erst parallel zum Wahltag in den beiden Ostländern am 1. September endet auch die Bewerbungsfrist für den Vorsitz in der zukünftigen SPD-Doppelspitze. Im Anschluss stellen sich die Kandidaten auf Regionalkonferenzen vor, danach folgt die Abstimmung. Das aufwendige Prozedere dauert: Der SPD-interne Wahlgang ist Mitte November abgeschlossen, pünktlich zum Nikolaus am 6. Dezember ist der Bundesparteitag zur Wahl der Doppelspitze angesetzt. All das durch einen Regierungsbruch und durch womöglich folgende Bundestagsneuwahlen zu überlagern, würde nicht nur potenzielle Wähler überfordern. Das große Stühlerücken im Bund einzuläuten macht aus SPD-Sicht frühestens nach der dritten Ost-Wahl – der zum thüringischen Landtag Ende Oktober – Sinn. Zumindest um eines müssen sich die Genossen in Anbetracht von Umfragewerten von 12 bis 14 Prozent nicht mehr kümmern: Die Frage nach einem Kanzlerkandidaten hat sich von selbst erledigt. In die nächste Bundestagswahl, wann immer sie kommt, geht die SPD wohl nur noch mit einer Doppelspitze, so wie Linke und Grüne.
Unkenrufe: Kommt es zum Groko-Bruch?
Geht es nach der Union, kommt diese Bundestagswahl tatsächlich erst im September 2021. An vorgezogenen Neuwahlen hat die CDU überhaupt kein Interesse. Schließlich stünde man momentan noch ohne Kanzlerkandidat oder -kandidatin da. Egal, wie desaströs in den kommenden Wochen die Landtagswahlen im Osten ausgehen, die CDU muss also bemüht sein, das Ganze als politisches Randproblem herunterzuspielen. Auch falls die AfD in allen drei Ländern die 20-Prozent-Marke geknackt hat.
Steigt die SPD tatsächlich im Herbst aus der großen Koalition aus, ist es sehr wahrscheinlich, dass Bundeskanzlerin Merkel im Zweifelsfall am Ende des Jahres mit einer Minderheitsregierung allein weitermacht. Zwar wäre sie dann innenpolitisch weitgehend gelähmt, aber zumindest würde Merkel dann auf jeden Fall noch in den Genuss der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 kommen – ihr erklärtes Ziel. Außerdem wäre sie nach dieser Durchhalte-Zeit noch Kanzlerin, wenn Ende 2020 der Bundeshaushalt für das darauffolgende Jahr verabschiedet wird.
Kritiker mögen an dieser Stelle monieren, das wäre ein Jahr politischer Leerlauf, doch der droht ohnehin. Nicht nur in der Bundesregierung wird nach den Landtagswahlen zwischen Elbe und Oder das Regieren noch schwieriger, sondern auch im Bundesrat. In der Länderkammer sind schon seit Jahren die Mehrheiten fließend und über den klassischen Parteienproporz nicht mehr erklärbar. Die 16 Bundesländer haben zusammen 69 Stimmen im Bundesrat, vertreten sind derzeit elf verschiedene Regierungskoalitionen – von Baden-Württembergs grün-schwarzer Landesregierung über Rot-Rot-Grün in Berlin bis zu Schwarz-Rot in Sachsen oder dem Linkspartei-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gemeinsam mit SPD und Grünen in Thüringen. Noch sind es nur fünf Länder, die in einer Dreier-Koalition die Macht ausüben und es entsprechend schwieriger haben, einen Kompromiss zu finden. War dies unmöglich, mussten sich die fünf bei Bundesrats-Abstimmungen enthalten. Das kam öfter vor als bei den Ländern in Zweier-Bündnissen. Die Sache wird noch dadurch verkompliziert, dass Enthaltungen im Bundesrat wie ein „Nein" wirken, da Entscheidungen hier laut Grundgesetz mit absoluter Mehrheit getroffen werden müssen. Diese werden daher künftig immer schwieriger.
Schon nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen Anfang September könnte die Zahl der Länder mit mehr als zwei Regierungsparteien wachsen und die Mehrheitsverhältnisse noch mal ein ganzes Stück komplizierter machen: In beiden Ländern sieht es derzeit danach aus, dass dort womöglich nur noch Regierungsmehrheiten mit vier Koalitionspartnern möglich sind.
Weg vom politischen Blockdenken
Bislang sind Brandenburg und Sachsen noch kalkulierbare Partner in der Länderkammer. Auf Brandenburgs rot-roter Regierung unter SPD-Ministerpräsident Woidke war im Lager der SPD-regierten A-Länder immer Verlass. Um Sachsens große Koalition unter Michael Kretschmer (CDU) mussten sich die B-Länder unter CDU-Führung keine Sorgen machen. Das wird sich wohl ändern: In Brandenburg wird zukünftig vermutlich zwar eine linke Regierung unter Dietmar Woidke (SPD) die Geschicke leiten, allerdings mit der bürgerlichen Unterstützung der CDU. In Sachsen bliebe Michael Kretschmer (CDU) laut letzten Umfragen Ministerpräsident, allerdings nur, wenn er sich durch die Linke tolerieren lässt. Beide Male sozusagen eine demokratische Front gegen die AfD. Sowohl Woidke als auch Kretschmer werden also, wenn überhaupt, auf mehrere Parteien zur Unterstützung angewiesen sein. Und womöglich selbst als Unterstützer althergebrachter Lager im Bundesrat ausfallen.
Schon jetzt haben die Parteien der großen Koalition im Bundesrat mit 30 statt der geforderten 35 Stimmen keine Mehrheit. Wenn zukünftig Rot-Schwarz noch weniger Gewicht hat – auszugehen ist von nur noch 26 Stimmen –, müssten bei jeder Entscheidung weitere Landesregierungen in völlig anderen politischen Konstellationen von einem Regierungsprojekt/Gesetz überzeugt werden. Damit wird nach den Landtagswahlen im Osten nicht mehr im Kanzleramt, Bundestag und Bundesrat regiert, sondern womöglich zu einem guten Teil im Vermittlungsausschuss der Länderkammer. Dort wird jeweils noch mal verhandelt, unter welchen Bedingungen sich noch nicht überzeugte Bundesländer mit einer Entscheidung zufrieden zeigen könnten. Da kann es durchaus auch mal um klingende Münze gehen: Legendär für so einen Bundesrat-Schacher ist der Kompromiss zwischen Bayern und Thüringen im März 2017. Der linke Ministerpräsident Ramelow stimmte für die umstrittene Pkw-Maut seines bayerischen CSU-Kollegen Horst Seehofer. Dafür finanzierte jener Ramelow die Sanierung einer Bahnstrecke in Thüringen. Wie so etwas zukünftig mit nicht nur einem, sondern drei zu überzeugenden Partnern aussehen wird, ist fraglich – womöglich wird auch der Bundesrat umlernen müssen, wenn das politische Blockdenken nicht mehr funktioniert.