Seit Monaten demonstrieren Schüler in ganz Deutschland und in aller Welt für eine Zukunft, in der die Umwelt geschützt wird. Im Saarland organisieren Susanne Speicher und Julius Groß Fridays for Future-Veranstaltungen – und sehen schon erste Fortschritte in der Politik.
Frau Speicher, Herr Groß, was macht Fridays for Future in den Ferien?
Speicher: Es gab den Sommerkongress in Dortmund, zu dem auch aus dem Saarland viele hingefahren sind, zwischen 15 und 20 aus unserem Ortsteam. Deutschlandweit gibt es um die 600 Ortsgruppen. Im Saarland selbst haben wir jede Woche Aktionen, Diskussionsrunden, Upcycling-Workshops, Planungstreffen und Treffen mit anderen Gruppen.
Es ging ja wahnsinnig schnell mit der Entwicklung, von ersten Demos bis zum großen Kongress. Wie funktioniert das intern?
Groß: Intern laufen die Absprachen beispielweise über Whatsapp-Gruppen. Wir treffen uns auch einmal die Woche, um zu besprechen, was wir über die Streiks hinaus machen. Das macht viel Arbeit, aber es macht auch Spaß. Die Motivation ist hoch, weil alle wissen, um was es geht.
Fridays for Future ist nicht wie eine Partei oder Gewerkschaft organisiert. Gibt es inzwischen eine Struktur?
Speicher: Deutschlandweit ist es so geregelt, dass die Ortsgruppen Delegierte wählen, die die Gruppe auf Bundesebene vertreten. Es gibt wöchentlich Telefonkonferenzen. Das ist sehr anstrengend, wenn da mindestens 200 Leute teilnehmen. Trotzdem ist das alles sehr gut organisiert. Es gibt vorher ein Pad, wo man Themen eintragen und sich dann vorbereiten kann. Daneben gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, etwa zu Struktur, Finanzen, oder Fachthemen wie Ernährung, Nachhaltigkeit. Also, insgesamt sehr gut vernetzt, aber auch sehr viel Arbeit.
Groß: Ein gewisses Maß an Struktur und Professionalität braucht man auch, wenn man etwas erreichen will.
„Die Politik" hat auf Fridays for Future unterschiedlich reagiert. Wie nehmen Sie selbst die Reaktionen wahr?
Groß: Es ist ja schön, dass zum Beispiel Saarbrücken den Klimanotstand ausgerufen hat. Die Frage ist nur, ob es bei dieser Geste bleibt, also bei reiner Symbolpolitik, die ankündigt, alle Entscheidungen unter einen Klimavorbehalt zu stellen – oder ob das auch umgesetzt wird, wenn es um konkrete Maßnahmen geht. Beispielsweise, ob und welche Maßnahmen getroffen werden, um bei einem Großereignis wie dem Saar-Spektakel Müll zu vermeiden und es insgesamt umweltfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten. Die Frage geht natürlich auch an die Bundesebene. Wenn Markus Söder (Bayerns Ministerpräsident, Anm. d. Red.) plötzlich grüner ist als die Grünen und das Thema für sich entdeckt hat, ist es erst einmal lobenswert, wenn er etwa die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrkarten abschaffen will. Die Frage ist, ob er es auch wirklich durchsetzt. Wenn ja, dann ist es toll, dass wir was erreicht haben. Wenn nicht, dann müssen wir weiter Druck machen.
Wieviel Symbolpolitik steckt in Forderungen, beispielsweise Klimaschutz in die Verfassung zu schreiben? Braucht es solche Symbole?
Speicher: Es wird immer über das Große und Ganze gesprochen, auch, dass man unseren Forderungen gerecht werden möchte. Aber ich glaube, vieles ist tatsächlich nur Symbolpolitik, um Wählerstimmen zu gewinnen. Man merkt immer an kleinen Aktionen, dass das Thema noch gar nicht richtig angekommen ist. Ich habe noch nicht das Gefühl, dass wirklich etwas bewegt wird. Das fängt mit einem Beispiel an: Wir werden jetzt öfter zu Diskussionen über Nachhaltigkeit eingeladen – und dann stehen Plastikflaschen auf dem Tisch. Das zeigt, dass man nicht versucht, es in den alltäglichen Kleinigkeiten umzusetzen. Und da müsste es eigentlich anfangen. Das zeigt auch, dass selbst die Leute, die uns entgegenkommen möchten, das Thema noch gar nicht richtig realisiert und sich die Frage gestellt haben: Was heißt das für mich persönlich, wie kann ich Vorbild sein, dass es auch authentisch ist? Nachhaltigkeit ist etwas Authentisches, nichts Aufgesetztes.
Mit den Änderungen im Alltag ist es so eine Sache. Die Grünen haben ihre Erfahrungen mit dem „Veggie-Day" gemacht. Auf der anderen Seite nehmen die Forderungen nach mehr Verboten erkennbar zu. Sind Verbote der richtige Weg?
Groß: Das ist schwierig. Natürlich wäre es schöner, es würde ohne Verbote funktionieren. Aber wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten gesehen, dass es, so wie bisher, nicht funktioniert. Der Klimawandel ist ja nichts, was 2015 erst bekannt geworden wäre. Bekannt ist das schon sehr viel länger. Menschen reagieren offensichtlich eher auf Verbote als auf positive Anreize. Es braucht wahrscheinlich beides. Einerseits, dass man belohnt wird für klimafreundliches Handeln. Andererseits drängt aber die Zeit so stark, dass wir wahrscheinlich nicht mehr die Zeit haben, nur mit positiven Anreizen zu arbeiten. Das heißt, um die Lebensgrundlagen, so wie sie sind, noch zu erhalten, müssen wir mit Verboten arbeiten.
Speicher: Wir sind wahrscheinlich auch nicht darauf sozialisiert, so zu denken und zu handeln. Viele werden geleitet von Angeboten und Werbung. Wir werden ja ständig damit bombardiert, was wir alles brauchen und womit wir uns identifizieren sollen. Da wird es schwierig, nur noch mit positiven Anreizen zu arbeiten. Wir haben nicht mehr die Zeit, um zu lernen und klein anzufangen und in zehn Jahren mal zu gucken, wie weit wir gekommen sind. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es zu spät sein.
Wie gehen Sie mit dem Vorwurf einer „Ökodiktatur" um?
Speicher: Das habe ich schon öfter gehört. Diktatur heißt, dass man Menschen zu etwas zwingt, aber nicht, um etwas besser zu machen, sondern aus dem Prinzip von Befehlen und Gehorchen, also Macht. Wenn man versucht, das Leben von allen zu schützen, kann man nicht von Diktatur reden.
Groß: Leute, die solche Vorwürfe machen, sehen in erster Linie einen Eingriff in ihre Freiheit. Was sie nicht sehen, ist, dass wir das wollen, um die Freiheit für alle zu erhalten, und zwar auf lange Sicht. Der Klimawandel wird die Freiheit ganz erheblich begrenzen und einschränken.
Speicher: Man darf auch nicht vergessen, dass wir in Deutschland sehr privilegiert sind. Wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden wie wir, in Bezug auf Mobilität, auf Ernährung, dann bräuchten wir etliche Planeten mehr. Wir haben aber nur eine Erde. Es kann nicht sein, dass Menschen in Deutschland für sich beanspruchen, auf großem Fuß zu leben, und gleichzeitig anderen absprechen, die gleichen Ansprüche haben zu dürfen. Das funktioniert nicht. Für mich ist das eine Anmaßung, bei der oft vergessen wird, welche Menschen wir damit bevormunden.
Groß: Es geht ja auch nicht um ein Leben voller Entbehrungen. Aber man muss sich schon Gedanken machen, beispielsweise darüber, ob ich meinen Urlaub unbedingt auf der anderen Seite des Ozeans machen muss, oder ob ich jeden Weg mit dem Auto unterwegs sein, oder ob ich jeden Tag Fleisch essen muss. Es wäre nichts, was unseren Lebensstandard so drastisch senken würde, dass es nicht vertretbar wäre, vor allem nicht mit Blick auf das, was Menschen in anderen Teilen durch die Folgen jetzt schon durchmachen müssen.
Wer nicht an menschengemachte Ursachen des Klimawandels glaubt, ist damit nicht zu überzeugen. Wie gehen Sie aber mit denen um, die das nicht leugnen, die Änderungen für nötig halten, nur bitte an anderen Stellen als dort, wo es mich direkt betrifft?
Speicher: Ich bevorzuge das persönliche Gespräch, weil vieles über die emotionale Ebene geht. Ich frage Menschen zum Beispiel: Was hast Du davon, wenn Du das so machst wie bisher, oder was ist das Schlimme, wenn Du das Verhalten ein bisschen änderst?
Es gibt ja das berühmte Windrad-Beispiel, an dem die Widersprüchlichkeit festgemacht wird.
Speicher: Viel hängt natürlich an Informationen. Das Internet ist voll mit Informationen, und voll mit Fehlinformationen. Man findet das, was man finden will. Bei Facebook bekommen Sie das angezeigt, was Sie sehen wollen, Sie sind also in einer Blase. Das beeinflusst natürlich, besonders auch Menschen, die unsicher sind.
Groß: Das Problem ist natürlich die Haltung: Klimaschutz ist super, aber bloß keine Einschränkungen meiner persönlichen Freiheiten. So kann es aber nicht gehen. Da müssen Sie klar machen, was das für Ihre Kinder und Enkelkinder bedeutet.
Im Journalismus gilt: Tiere und Kinder, diese Themen ziehen immer. Das scheint auch bei Greta Thunberg zu funktionieren. Wie wichtig sind solche Symbolfiguren?
Speicher: Ich glaube sehr wichtig, vor allem, weil Greta eine sehr authentische Person ist. Wenn das jemand wäre, der daraus eine Show machen würde, der genießen würde, im Rampenlicht zu stehen, wäre das eine ganz andere Sache. Greta kann man es tatsächlich abkaufen, dass sie voll und ganz dahinter steht.
Groß: Jede Bewegung braucht eine solche Figur. Man muss aber aufpassen, dass sie nicht darauf reduziert wird.
Mir ist aufgefallen, dass viel über Greta und deutlich weniger über das Anliegen geredet wird. Ein subjektiver Eindruck?
Speicher: Es ist sicher oft so, dass man nach kleinen Fehlern bei der Person sucht, frei nach dem Motto: So perfekt ist die ja auch nicht, und wenn die das macht, kann ich es auch machen. Ich erlebe das selbst auch: Es wird eher darauf geschaut, welche Fehler die Menschen haben oder machen, die in der Bewegung aktiv sind. Das hat jeder von uns schon erfahren.
Groß: Das ist das Problem, wenn sich alles auf einzelne Personen fokussiert. Das Ziel wird nicht schlechter, weil Menschen nicht perfekt sind. Aber es ist natürlich einfach, auf andere zu zeigen, die Fehler machen.
Sie sind inzwischen viel gefragte Diskussionspartner. Haben Sie nicht auch Sorge, allmählich vereinnahmt zu werden?
Speicher: Die Sorge habe ich eigentlich nicht. Natürlich muss man vorsichtig sein und aufpassen. Für mich ist immer wichtig, darauf zu achten, was Parteien nur versprechen und was sie wirklich realisieren. Wenn ich dann Kritik übe, besteht weniger die Gefahr, vereinnahmt zu werden.
Die Ferien sind zu Ende. Geht es also freitags weiter?
Groß: Für uns ist wichtig, den Fokus auf den 20.9. zu legen, der als globaler Streiktag geplant ist. Das ist das Ziel, die gesamte Gesellschaft mitzunehmen und zu zeigen, dass es kein reiner Schüler- und Studentenstreik ist. Es geht darum, dass auch Erwachsene an diesem Tag ihre Arbeit niederlegen sollen, um zu zeigen, dass sie hinter der Bewegung stehen und hinter den Zielen.
Speicher: Natürlich werde wir gleichzeitig weiter Workshops anbieten und Gespräche führen, um das Thema Nachhaltigkeit besser im Unterricht zu verankern. Da sind wir in gutem Kontakt mit dem Bildungsministerium und werden dort auch weiter nerven.
Sie kennen die Befürchtungen insbesondere aus der Industrie, dass zu viel klimapolitischer Ehrgeiz Arbeitsplätze gefährdet. Reden Sie darüber auch mit den Gewerkschaften?
Speicher: Wir sind insbesondere mit den Jugendorganisationen der Gewerkschaften im Gespräch. Da sind wir uns schon sehr einig, auch wenn wir die Sorgen sehr ernst nehmen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir auch lösen können. Eigentlich müsste niemand in Sorge sein, wenn wir das richtig anpacken.
Groß: Zusammen mit den Gewerkschaften hätte die Bewegung natürlich viel mehr Durchschlagskraft.
Kürzlich war World Overshoot Day, der Tag, an dem wir die Ressourcen für dieses Jahr eigentlich aufgebraucht haben. In Deutschland liegt das Datum dafür bereits im Mai, also viel früher. Warum ist ein solches Datum so wenig im Bewusstsein?
Speicher: Es wird ja schon viel mehr als früher in den Medien über solche Fragen berichtet. Das ist auch begrüßenswert. Es müsste aber noch viel stärker informiert werden, inwiefern unser Verhalten daran schuld ist und was das alles wirklich bedeutet.
Groß: Insgesamt glaube ich, dass das Problem den Menschen in Deutschland schon sehr klar ist. Es fehlt aber die Übertragung, was ich in meinem Alltag machen kann.