Madita Oeming hat einen ungewöhnlichen Job: Die Amerikanistin erforscht die Wirkung und Wahrnehmung von Pornografie und unterrichtet Studierende im Fach „Porn Studies". Im Interview erzählt sie, was es damit auf sich hat.
Frau Oeming, Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin mit Pornografie. Wie viele Ihrer E-Mails landen im Spamordner?
Das passiert tatsächlich immer wieder. Es wird vor allem dann zum Problem, wenn das Wort in der Betreffzeile auftaucht – und das passiert oft. Da habe ich leider noch keine Lösung gefunden, wie ich das meinem E-Mail-Programm erklären kann (lacht).
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, zu Pornografie zu forschen?
Die Frage wird mir häufig gestellt. Da besteht wohl die Hoffnung, dass es eine „dirty little story" gibt (lacht). In Wahrheit bin ich rein zufällig darauf gestoßen. In meinem Studium hatte ich mit diesem Forschungsfeld leider nie zu tun, aber bei meiner Recherche zu einer Hausarbeit über „Moby Dick" bin ich immer wieder auf pornografisches Material gestoßen. Irgendwann habe ich auf einen dieser Links geklickt und war verloren im Wissensdurst.
Was war denn daran so spannend?
Ich hatte zuvor noch nie mit meiner wissenschaftlichen Gehirnhälfte einen Porno angeguckt. Auf einmal hatte ich Tausende Fragen. Und ich habe gemerkt, dass auch andere Menschen dazu forschen – allerdings eher im amerikanischen Raum. Die Wiege der „Porn Studies" liegt in Kalifornien, begründet durch die Filmwissenschaftlerin Linda Williams. Dort handelt es sich mittlerweile um ein etabliertes, wenn auch kleines Feld, das an vielen Universitäten auftaucht.
Und in Deutschland? Sind Sie hier die Einzige?
Nein, die Einzige bin ich nicht, aber es sind wenige, vor allem in den Geisteswissenschaften. Und es macht natürlich einen Unterschied, ob man einmal einen Artikel zu dem Thema publiziert hat oder, wie ich, ganz klar den Forschungsschwerpunkt darauf legt. Eine Person, die sich rundum als Pornowissenschaftlerin identifiziert, habe ich in Deutschland bislang nicht getroffen.
Wie muss man sich ein Uni-Seminar im Fach „Porn Studies" vorstellen, das Sie unterrichten?
Wenn 40 Studierende mit der Dozentin zusammen Pornos gucken, ist das natürlich erst mal merkwürdig. Aber man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran. Die Atmosphäre spielt dabei eine wichtige Rolle: Ich achte darauf, dass ich mit etwas einsteige, was leichter zu verdauen ist. Wir sitzen auch nicht einfach nur in einem dunklen Raum und schauen 90 Minuten lang schweigend Pornos. Ich verpacke es in zumutbare Häppchen, die wir gemeinsam analysieren.
Sie forschen unter anderem zu feministischen Pornos. Können Sie das kurz erklären?
Die meisten Pornos werden von Männern für Männer gemacht. Aus feministischer Sicht geht es dabei hauptsächlich um männliche Lust. Der männliche Orgasmus, der sogenannte Money Shot, ist der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Ein feministischer Porno versucht das umzudrehen und mehr weibliche Selbstermächtigung zu zeigen.
Warum sind pornografische Filme eigentlich so beliebt?
Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Wenn wir alle unsere sexuellen Fantasien ausleben würden, hätte Pornografie keine Wirkungsmacht mehr." Auch Hollywood-Filme agieren nach diesem Ansatz: Sie bringen uns in eine Welt, die anders ist als unsere Lebensrealität. Pornos machen das gleiche. Aber man kann die Frage natürlich auch pragmatischer beantworten: Wir schauen sie, um uns schnell zu erregen und zu masturbieren. Oder um etwas über Sexualität zu lernen.
Dafür braucht es Pornos? Ist Sex in unserer heutigen Gesellschaft nicht präsenter denn je?
Das denkt man schnell, aber je spezifischer es wird, desto weniger verbreitet sind fundierte Informationen. Wenn ich wissen möchte, wie ich mit einem Strap-on [Dildo zum Umschnallen, Anm. d. Red.] richtig penetriere, ist es gar nicht so leicht, etwas Hilfreiches zu finden. Das geht im Porno wesentlich schneller – auch wenn ein Porno natürlich nie dafür gemacht wurde, Aufklärungsarbeit zu leisten. Und das wiederum ist ein großes Problem.
Warum?
Weil es selbst heutzutage und selbst hierzulande keine ausreichende Sexualkunde gibt, die junge Menschen nicht nur über die Gefahren, sondern auch die Lust beim Sex aufklärt. So werden Pornos in diese Rolle gedrängt, sind dafür aber überhaupt nicht geeignet. Pornos sind Unterhaltung, Fantasie, Fiktion. Sie sollten keinen Bildungsauftrag haben.
Haben sich Pornos im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Ja und nein. Das Grundthema ist natürlich gleich geblieben. Ansonsten hat sich vieles sehr stark diversifiziert, insbesondere, wenn man sich anschaut, wer Pornos produziert. Es gibt heute viel mehr nicht-männliche Personen hinter der Kamera und am Set. In den Filmen werden deutlich mehr sexuelle Identitäten sichtbar. Auch die Digitalisierung hat zu Veränderungen geführt. Heute werden oft nur kurze Clips und Ausschnitte geschaut, meist auf dem Handy. Mit dem Feature-Film der 70er-Jahre, der im Kino gezeigt wurde, hat das nichts mehr zu tun.
Heute muss niemand mehr in die Schmuddel-Ecke der Videothek gehen, um an Pornos zu gelangen. Hat diese bessere Verfügbarkeit auch etwas verändert?
Ja, aber nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch vonseiten der Produktion. Es wird schneller Nachschub verlangt, daher wird viel mehr produziert, und das geht natürlich auf die Qualität. Außerdem kann heute jeder, der ein Smartphone besitzt, einen Porno drehen. Die Amateurbranche boomt.
Was bedeutet das in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Darsteller?
Es gibt heute nicht mehr zwingend das klassische Porno-Star-Modell, also eine Person, die unter Vertrag ist und damit endlos viel Geld verdient. Viele Performende bedienen nebenbei ihre privaten Snapchat-Kanäle und laden Videos auf Plattformen hoch. Dadurch gibt es mehr Einnahmemöglichkeiten und auch mehr Kontrolle, was die Inhalte angeht. Die Digitalisierung ist also nicht unbedingt etwas Schlechtes.
Ist Porno-Darsteller denn ein Job, von dem man gut leben kann?
Das ist extrem unterschiedlich. Die Zahl derjenigen, die nur diesen Job haben und davon leben können, ist verschwindend gering. Außerdem macht es einen Unterschied, ob man bei einer amerikanischen Mainstream-Firma unter Vertrag ist oder ob man sich hin und wieder als Amateur etwas hinzuverdient. Das ist eine riesige Branche mit allen Facetten.
Nun können Pornos auf jedem Smartphone angeschaut werden. Die Gesellschaft ist übersexualisiert. Und doch haben die Deutschen, wenn man Umfragen glaubt, immer weniger Sex. Wie passt das zusammen?
Die Frage wäre zunächst einmal, ob da überhaupt ein Zusammenhang besteht. Gucken wir lieber Pornos, statt echten Sex zu haben? Das lässt sich momentan überhaupt nicht nachweisen. Und selbst wenn es so wäre: Wäre das ein Problem? Wie bewerten wir das? Und wo kommen überhaupt diese Zahlen her? Man muss immer extrem vorsichtig sein, wenn man sich Statistiken zu menschlicher Sexualität ansieht. Ich weigere mich zu glauben, dass der Zusammenhang so simpel ist.
In Ihrer Doktorarbeit beschäftigen Sie sich mit Pornosucht. Was genau untersuchen Sie?
Ich versuche darzustellen, dass sie ein kulturelles Konstrukt ist, ein Mythos. Da geht es mir um den Diskurs: wie wir über Pornos sprechen, welche Ängste damit verbunden sind.
Das heißt, es gibt gar keine Pornosucht?
Das ist natürlich eine steile These, die ich so nicht aufstellen kann. Ich bin keine Ärztin. Aber als Kulturwissenschaftlerin kann ich sagen, dass wir es mit Panikmache zu tun haben, mit einem pseudo-medizinischen Ansatz, mit konservativen Moralvorstellungen, wie Sex zu sein hat. Das merkt man allein daran, wie stark sich die Kirche und rechtslehnende Gruppen in die Debatte einmischen, vor allem in den USA, wo das Thema schon allgegenwärtig ist.
Was meinen Sie?
Wenn ich Berichte von Menschen lese, die sich als pornosüchtig beschreiben, sind die eigentlichen Probleme fast immer Scham und fehlende Kommunikation. Sie berichten, heimlich Pornos zu schauen. Oder online Sehnsüchten nachzugehen, die sie sich nicht trauen auszusprechen. Das tut natürlich keiner Beziehung gut, aber daran sind nicht die Pornos schuld. Das Thema ist wahnsinnig komplex, aber die öffentliche Unterhaltung darüber geht in die falsche Richtung.
Was würden Sie denn jemandem raten, der exzessiv Pornos schaut?
Helfen könnte man vermeintlich Betroffenen mit einem offenen Dialog über Sex – damit, ihnen zu sagen, dass sie völlig normal sind, statt sie als krank zu labeln und Masturbationsabstinenz zu verschreiben, wie es gerade viel passiert.
Ist Pornografie noch ein Tabu?
Sie ist definitiv noch tabuisiert. Es wird oft von der Pornofizierung des Alltags gesprochen, aber alleine an den Reaktionen auf mein Forschungsgebiet sehe ich, dass das nicht stimmt. Wenn es wirklich normal wäre, über Pornos zu sprechen, würden die Menschen nicht auf die Weise reagieren, wie sie es tun.
Wie reagieren sie denn?
In einer Bandbreite von amüsiert bis schockiert – auf jeden Fall überrascht, dass man sich damit überhaupt wissenschaftlich beschäftigen kann. Es passiert etwas mit den Menschen, wenn man das Wort „Porno" benutzt: Scham, Angst, Neugierde, Aufregung. Da will ich die Kolleginnen und Kollegen im akademischen Bereich nicht ausnehmen. Für viele ist es eben nicht normal, über Pornografie zu forschen.
Sind Pornos für Sie nur noch ein wissenschaftlicher Gegenstand?
Nein, auf keinen Fall. Es gibt zwei verschiedene Seh-Modi, so wie in jedem Fachbereich. Natürlich kann man die wissenschaftliche Brille nie ganz abschalten und wird auch im Urlaub zwischendurch den Textmarker zücken.
Also gibt es Porno-Sucht eben doch – bei Ihnen selbst?
(lacht) Porno-Wissenssucht! Das definitiv.