Paddler kommen bei den geführten Sea-Kayak-Touren rund um Rab, der grünsten Insel in der Kvarner Bucht in Kroatien, nicht nur ins Schwitzen, sondern auch ins Schwärmen. Und sie erreichen Buchten, in die sonst keiner kommt.
Sicher, die Umrundung der 22 Kilometer langen und bis zu elf Kilometer breiten Insel Rab schaffen Ambitionierte durchaus in zwei Tagen. Doch Joško Matušan, den alle nur Yogi nennen, plant für seine geführten Trips eher vier bis fünf Tage ein. „Die Tour soll zwar schon einen Abenteuer-Touch haben, aber vornehmlich Genuss sein und keine Schinderei", meint der 39-Jährige mit wenig Haupt-, aber üppigem Barthaar. Der Gründer von Sea Kayak Croatia, der seit 2007 mit Gästen aufs Wasser geht, hat dafür sogar ein Wort kreiert: Relaxploration. Wie entspannt die Inselentdeckung per Kajak sein kann, davon bekommt unsere überwiegend aus Kajaknovizen bestehende Kleingruppe noch am Ankunftstag eine Vorstellung. Schon nach wenigen Paddelschlägen in der weiten Eufemija-Bucht finden wir in den anfangs kippeligen Einsitzern die richtige Balance.
Mit den Füßen auf den Steuerpedalen und den Knien rechts und links gegen die Bordwände gestemmt, lassen sich Wackler rasch ausgleichen. Und: Uns hilft, dass die Wasseroberfläche so glatt ist wie ein frischer Block Margarine, mit der Yogi gern den Namen seiner mitpaddelnden Frau Sanel(l)a erklärt. Die liebreizende Kulisse der Raber Altstadt erklärt sich mit ihren vier markanten Kirchtürmen quasi von selbst.
Wasser: 23 Grad, Luft: 25 Grad und das bei wolkenlosem Himmel Ende Juni. So was nennt man eine ideale Kombination. Wen stören da Wasserflecken auf der Freizeitkleidung, die zwangsläufig entstehen, wenn man, so wie wir, herumalbert und etwa die Paddel waagrecht in die Höhe wirft, um sie dann wieder zu fangen – oder eben auch nicht. Zur heiteren Stimmung tragen auch die Episoden des ebenso redseligen wie unterhaltsamen Yogi bei. Mal handeln sie von der 90-jährigen Australierin, die neulich zum wiederholten Mal in einem seiner Boote Platz nahm, mal vom „Playboy", der ihm als nationalen Paddelpionier eine eigene Story widmete („aber nicht in der Nacktmodelstrecke", wie er grinsend anmerkt). Kurz: Der abendliche Zweistundentrip macht Lust auf die Mehrtagestour, die morgen starten soll.
Beim Landausflug geht’s über die alte Römerstraße
Doch dem Meer und dem Wind kann man nur begrenzt Menschenpläne aufzwingen. Ungewöhnlich für die Jahreszeit zieht nämlich die Bora auf, jener für die Region so typisch-tückische Fallwind aus den Bergen, zu dessen Begleiterscheinungen Regen und Böen bis zu 200 Stundenkilometern gehören können. „Eigentlich haben wir die Bora eher im Winter, aber ab und zu erwischt es uns eben auch im Sommer", erklärt Yogi. Angesichts des regengrauen Himmels und der weißkronigen Meereswellen beschließen wir, den Tag nicht auf dem Wasser zu verbringen, sondern Rab von Land aus zu erkunden. Doch es gibt Schlimmeres. Vor allem, da der Regen zunehmend von der Sonne verdrängt wird und wir mit jemandem unterwegs sind, der hier von Geburt an lebt und sich entsprechend gut auskennt. Zuerst chauffiert uns Yogi zum höchsten Gipfel der Insel, dem 408 Meter hohen Kamenjak, von dem aus man nicht nur den boratypischen „Moustache-Wolkenbart" über dem Velebit-Gebirge am gegenüberliegenden Festland erkennt, sondern auch einen Eins-a-Blick über ganz Rab genießt. Ein paar Serpentinen runter und einige in den Wald hinein, dann hält unser Minibus auf der einsamen Fruga-Hochebene. Zu Fuß folgen wir den Resten der alten Römerstraße bis zu einem Seerosenteich und laufen weiter bis zu einem steinigen Küstensteilhang. Hier werden Rabs zwei Gesichter erneut klar. „Im Norden sorgte die Bora für schroffe Mondlandschaften", doziert Yogi, „jenseits der nordöstlichen Bergkette hingegen entwickelte sich eine von der Sonne verwöhnte, üppige Vegetation, die dichter und bunter als die Windseite ist – und als auf anderen Inseln der Kvarner Bucht."
Bunter als anderswo geht es auch im touristischen Leben zu. Und freizügiger. Bestes Beispiel ist der FKK-Tourismus, der hier angeblich sogar erfunden wurde. Fakt: Der US-Sender CNN kürte 2011 gleich die ganze Insel zum weltbesten FKK-Ziel.
Tags darauf sind die Bora-Ausläufer zwar noch spürbar, doch wir wagen den Paddelaufbruch. Im nahen Küstenweiler Suha Punta laden wir zusammen mit Yogis Vater die Kajaks vom Dach des Renaults. Dann werden Wechselkleidung, Badesachen, Proviant und Zelte in den überraschend großen Stauräumen der Einmann-Kunststoffboote verladen, bevor es nach einem vorsichtigen Zuwasserlassen an der verdammt rutschigen Slipanlage endlich losgeht.
Schnell merken wir: Mit dem Kajak ist man der Kleinste und Langsamste unter den vielen Booten, die sich in den Gewässern tummeln. Schlauchboote mit Außenborder ziehen ebenso vorbei wie elegante Segeljachten und brüllende Speedboote, die Yogi regelmäßig zur Weißglut bringen, wenn sie mal wieder verbotenerweise viel zu nah am Ufer vorbeiheizen. Dann brüllt Yogi zurück, ob die Leute denn eigentlich wüssten, wie viele Schwimmer jedes Jahr bei Kollisionen ihr Leben ließen. Genau weiß Yogi das freilich auch nicht. Was er weiß: Dass er auf diese Art einen seiner besten Freunde verloren hat.
Den Kajaks werden die anderen Boote nicht gefährlich, nur ab und an sorgen Bugwellen für destabilisierende Momente. Nach einer Viertelstunde befinden wir uns ohnehin in ruhigerem Fahrwasser, wo man nur noch das Plätschern der Paddel hört. Aaaah, Relaxploration! Die Boote gleiten durch herrlich klares Wasser, die Augen schweifen umher: da Mufflons im Gebüsch, dort ein Gänsegeier über dem Wald, etwas weiter dann einige Kormorane, die misstrauisch zu den seltsamen Gesellen hinübersehen, die da auf Augenhöhe vorbeikommen.
Ein Wechsel der Perspektive
Und das ist auch die Erkenntnis der Stunde: Wer paddelt, wechselt die Perspektive. Der lässt sich herab zu den Wasservögeln, bremst runter auf Schritttempo, unterteilt den Weg in Tausende Paddelschläge. Und erlebt die Umgebung so viel eindrücklicher als andere. Etwa wenn sich das flirrende Sonnenlicht in den kleinen Wellen bricht und sich in kuriosen Mustern auf die Gesteinsformationen am Boden legt.
Toll ist es auch, wenn plötzlich ein Schwarm größerer Fische unter dem Boot durchtaucht. Theoretisch könnten wir sogar Delfinen begegnen, die sich zwischen Rab und Lošinj gerne blicken lassen. Yogi erzählt, er habe vor Rab einmal sogar zwei Stunden lang die Geburt eines Delfinbabys beobachten können. Und man glaubt ihm sofort, wenn er sagt: „Das war das Schönste, was ich je im Leben gesehen habe."
Auch ohne Delfine erleben wir sehr schöne Stunden. Einmal im Flow, genießen alle die Stille, das Geräusch des schwappenden Wassers, das Zirpen der Zikaden am Ufer. Ab und zu halten wir inne, lehnen uns zurück und konzentrieren uns auf das sanfte Schaukeln der Kajaks. Und erspähen immer wieder kleine Buchten mit teils steinigen, teils sandigen Stränden. In manchen liegen FKKler auf Sonnenliegen, andere sind menschenleer und laden zu einem erfrischenden Bad ein. Hotels, Ferienwohnungen, Touri-Spots? Fehlanzeige. Dank Naturschutzstatus dürfen hier im waldigen Südwesten Rabs ja kaum Autofahrer rein. Ein echter Matchpoint für Paddler! Entsprechend wenig los ist auch am kleinen Leuchtturm bei Donja Punta, wo wir die Boote an Land ziehen und uns mit frischen Tomaten, Oliven, Fladenbrot und Joghurt aus dem Kajakkofferraum stärken.
Die Pause ist allein deshalb angebracht, weil Yogi erst mal checken muss, wie es jenseits der Inselspitze zugeht, rein boratechnisch betrachtet. In der Tat präsentiert sich das Wasser zunehmend dunkler und unruhiger als bisher, die Wogen krachen auf die Uferfelsen. Ob wir dem gewachsen sind? Andererseits: Wer will schon den gleichen Weg zurückfahren? Die Abenteurer in uns jubilieren sowieso, aber Yogi trägt die Verantwortung. Er macht sich die Entscheidung nicht leicht und verkündet nach einigem Hin und Her: „Die Situation ist nicht ohne, aber wenn wir alle schön zusammenbleiben, könnte es gehen."
Ganz allein auf einem kleinen Eiland
Eilig wird das Gepäck noch einmal umverteilt und besonders sicher verstaut. Dann ziehen wir die Spritzdecken über, die verhindern sollen, dass zu viel Wasser ins Boot schwappt. Besonderes Augenmerk gilt freilich der Balance. Motto: Immer darauf achten, dass keine zu großen Wellen von der Seite kommen, lieber in die Wellen fahren. Gesagt, getan. Manchmal hebt es den Bug der Kajaks aus dem Wasser und er kracht hart zurück, dann wieder tauchen die Spitzen tief in die Wellen und werden vom salzigen Nass überspült. Schnell stellen wir fest: Dies hier ist ein deutlich sportlicheres Paddeln, aber Fun-Faktor und Adrenalinspiegel steigen angenehm an! Einzig mein rechtes Bein verkrampft sich immer wieder, was auch dem permanenten Drücken des Fußpedals geschuldet ist. Mehrmals habe ich den Impuls, die Beine aufstellen zu wollen. Und das Gefühl, dass dies (m)ein Knackpunkt sein könnte bei einer acht- bis 16-tägigen Paddelreise, die Yogi ebenfalls regelmäßig anbietet. Denn Beine aufstellen im Kajak ist schlicht nicht möglich. Doch es geht auch so und fast zwei Kilometer quer über die Kamporska Draga, eine offene Bucht. Rechts, links – gleichmäßig ziehen wir die Paddel durchs Wasser, gleichen die kurzen, harten Wellen aus, die von links vorn kommen. Auf den Oberarmen bildet sich eine weiße, salzige Schicht. Ich vergesse die Zeit und die anderen, und ziehe eine ruhige Bahn durchs bewegte Meer. Es fühlt sich großartig an.
Auf der anderen Seite der Bucht angekommen legen wir am Halbinselchen Dumići an und stoßen in einer Strandbar auf die bewegte Überfahrt an. Danach sind es nur noch 15 Minuten Paddeln, bis wir auf einer der vorgelagerten Inseln, Otok Maman, anlanden und unsere Zelte aufbauen. Wir sind die Einzigen auf dem Mini-Eiland, was die auf dem Benzinkocher gezauberten Penne all’arrabiata noch leckerer und den Sonnenuntergang noch romantischer macht. Bei einem Bier erzählt Yogi von weiteren potenziellen Übernachtungsplätzen, die wir aufgrund der fehlenden Zeit nicht mehr selbst erleben können: etwa von der ehemaligen Gefängnisinsel gegenüber Lopar und von einer Bucht an der Steilküste im Norden, dort, wo man überhaupt gar keine Bucht vermutet.
Am nächsten Morgen weckt uns der Duft von Abenteuerfrühstück, das Yogi in der Dämmerung zubereitet: Speck, Eier, Kaffee – die nötige Stärkung für die nächste Paddelstrecke, bei der wir noch mal eine ganz andere Art Relaxploration erleben. Eine mit hohem Omm-Faktor. Wenn man dann so im Sonnenaufgang an den schweigenden Motorbooten vorbeizieht und keine einzige Welle die flache See kräuselt, kann man es kaum fassen, dass auf der anderen Inselseite, gerade einmal fünf Kilometer jenseits des Berges, immer noch die Ausläufer der Bora sicht- und spürbar sind und uns mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Kentern bringen würden. Kein Zweifel, gerade sind wir auf der absolut richtigen Seite des Lebens.