In Ostwestfalen-Lippe gibt es seit 2017 ein Pilotprojekt mit dem Namen „STROKE OWL". Erfahrene Lotsen stehen Schlaganfallpatienten von der Akutstation bis zur Nachsorge unterstützend zur Seite. Ziel ist es, dass bald bundesweit Patienten diese Hilfe in Anspruch nehmen können.
Als Angela M. im August 2018 nach einem anstrengenden Arbeitstag als Altenpflegerin plötzlich höllische Kopfschmerzen bekommt, nicht mehr richtig sprechen und ihren rechten Arm nicht mehr bewegen kann, ruft ihr Mann den Rettungswagen. Im Krankenhaus sieht sich die 54-Jährige mit der Diagnose „Schlaganfall" konfrontiert. Zwar kann dieser dank des zeitnahen Notrufs des Ehemanns schnell im Klinikum Lippe Lemgo behandelt werden, doch die Mutter zweier Kinder ist erst einmal bettlägerig, der rechte Arm bleibt gelähmt. Die ganze Familie ist aus ihrem gewohnten Alltag herausgerissen. Angela M. weint viel, ist verzweifelt. Wie soll es weitergehen?
In dieser Zeit tritt Kathrin Engelage an ihr Bett, erzählt ihr, dass sie ausgebildete Schlaganfall-Lotsin ist und Angela M. die Chance bekäme, an einem Pilotprojekt der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in ihrer Heimatregion Ostwestfalen-Lippe teilzunehmen.
Dieses Schlaganfall-Lotsen-Projekt mit dem Namen „STROKE OWL" greift auf ein bewährtes System zurück, das viele aus der Schifffahrt kennen. In schwierigen Situationen ist selbst ein erfahrener Kapitän froh, wenn er sich zusätzlich auf fachkundige Lotsen verlassen kann, damit er sein Schiff sicher durch Untiefen lenken kann. Dieser Lotsen-Gedanke trieb auch die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe an, als sie im Oktober 2017 das Projekt „STROKE OWL" startete.
Die Stiftung möchte beweisen, dass ein Case-Management-System mit Schlaganfall-Lotsen die Lebens- und Versorgungsqualität der betreuten Patienten erhöht. Hierfür begleiten die Lotsen die am Projekt teilnehmenden Patienten beratend von der Akutstation bis zur Nachsorge im häuslichen Umfeld. Die Schlaganfall-Lotsen helfen den Betroffenen bei der Navigation durch das Gesundheitssystem und unterstützen so eine verbesserte Koordination der Nachsorgeleistungen. Ein Reha- und ein Hausbesuch und regelmäßige Telefonkontakte gehören zu den Eckpunkten der Betreuung durch die Lotsen.
Darüber hinaus soll das Projekt zeigen, dass sich durch die Hilfe der Lotsen auch präventiv die Zahl der Rezidive (erneute Schlaganfälle) reduzieren lässt. In Ergänzung zur Hausarztbehandlung und in enger Abstimmung mit den niedergelassenen Fachärzten helfen Lotsen den Betroffenen, ihre medikamentösen Behandlungen einzuhalten und einen gesünderen Lebensstil zu führen.
Insgesamt 34 Patienten betreut Lotsin Kathrin Engelage mittlerweile
„Diese Sekundärprävention soll sich auf das Wohlbefinden der Patienten sowie auch gesundheitsökonomisch positiv auswirken", erklärt Anja Kottmann von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Gemeint sind damit die Folgekosten einer Schlaganfallbehandlung für die Krankenkassen, die sich durch das Lotsen-Projekt langfristig reduzieren lassen durch schnelles Gesunden und langfristige Gesunderhaltung der Patienten. Das Projekt wird mit 7,1 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Bundes gefördert und von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe geleitet.
Angela M. ist eine der ersten Patienten, die seit Juni 2018 die Möglichkeit der gesonderten Betreuung durch speziell ausgebildete Schlaganfall-Lotsen erhält. Ihre Schlaganfall-Lotsin Kathrin Engelage verfügt über fundierte Kenntnisse in der neurologischen Akutpflege und im Gesundheitsmanagement und hat – wie alle Schlaganfall-Lotsen – ergänzend eine spezielle „Case-Management-Schulung" absolviert.
Die 39-jährige gelernte Krankenschwester hat sich bewusst für das Pilotprojekt gemeldet. Sie hat viele Jahre in der Intensivpflege gearbeitet, seit 2011 war sie verstärkt auf der neurologischen Station eingesetzt. „Ich finde den Fachbereich Neurologie sehr spannend, das Gehirn ist so komplex, man lernt immer wieder Neues. In dem zeitlich auf drei Jahre befristeten Pilotprojekt arbeite ich in Teilzeit sowie mit einem geringen Stundenanteil auf der Stroke Unit. Damit bleibt für mich der Kontakt zur regulären Stationsarbeit möglich." Mittlerweile betreut die Lotsin insgesamt 34 Patienten. In den ersten Tagen sind die Betroffenen oft überfordert mit der neuen Situation, auch die Angehörigen haben viele Fragen. Da tut es gut, wenn sie einen Ansprechpartner wie Kathrin Engelage vorfinden, die auf die wichtigsten, drängenden Fragen der Alltags-Organisation eine Antwort geben kann.
„Angela M. war eine meiner ersten ‚Fälle‘, deren Entwicklung mich sehr beeindruckt hat. Anfangs war die Patientin sehr niedergeschlagen. Die Bettlägerigkeit machte ihr zu schaffen. Drei Wochen nach der Diagnose Schlaganfall kam sie in eine stationäre Reha, lernte langsam wieder selbst aufzustehen, selbst zur Toilette zu gehen. Als ich sie Anfang Oktober, also fünfeinhalb Wochen nach dem Schlaganfall in der Reha besuchte, hat sie schon wieder gelacht. Ihre Mobilität kehrte Schritt für Schritt zurück", erzählt Engelage. Aber auch nur selbst ein Brötchen schneiden, konnte sie weiterhin nicht. Ihr rechter Arm sei immer noch stark eingeschränkt gewesen. „Bei den Hausbesuchen und in den Telefonaten mit der Patientin drehte sich viel um den Wunsch, doch bald wieder arbeiten zu können. Doch der rechte, immer noch eingeschränkte Arm machte ihr eine berufliche Rückkehr in die Altenpflege vorerst nicht möglich.
Ich bestärkte Angela M. in ihrem Ziel, wieder arbeiten zu wollen, jedoch hatte die Therapie bislang Priorität, um den Heilungsprozess zu unterstützen. Vor wenigen Tagen erzählte sie mir, dass ihre zweite Reha genehmigt sei und sie nun guten Mutes vorwärts blicke. Ich bewundere ihren starken Willen, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Diese Erfahrungen möchte ich als Lotsin nicht missen. Ich hoffe, dass das Projekt noch möglichst vielen Betroffenen hilft."
Eine Hoffnung, die auch die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe hegt. „Ziel unseres Pilotprojektes ist", so Anja Kottmann, „dass die Lotsen-Leistungen, die wir momentan nur bis zu 2.000 Patienten in unserer Region anbieten können, auch nach Abschluss des Projektes bald von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen werden. Zukünftig sollen alle Schlaganfall-Patienten bundesweit davon profitieren können."