Mit weit über 200.000 Zuschauern ist die Rallye Deutschland stets einer der Höhepunkte im hiesigen Motorsportkalender. In diesem Jahr findet das Rennen vom 22. bis zum 25. August im Saarland sowie in den angrenzenden Regionen Mosel und Hunsrück statt. Das spezielle Streckenprofil ist selbst für die Top-Leute eine Herausforderung.
Aus den Comics von Asterix und Obelix ist der Hinkelstein schon seit der ersten Episode nicht mehr wegzudenken. Er gehört zu Obelix so wie die Flasche mit Zaubertrank zu seinem kleineren Begleiter Asterix. Doch nicht nur in den Gallier-Geschichten gehören die Hinkelsteine seit Jahren zum festen Bestand: Auch die Rallye Deutschland wäre ohne sie nicht das, was sie ist.
Seit vielen Jahren führt der deutsche WM-Lauf unter anderem über den Truppenübungsplatz Baumholder in Rheinland-Pfalz. Die Wege auf dem Militärgelände sind gesäumt von großen Steinbrocken – eben den sogenannten Hinkelsteinen. Ihre ursprüngliche Aufgabe war es, Panzer zu stoppen. Doch bei der Rallye Deutschland haben die Steine noch eine andere Funktion: Sie zwingen die Rallye-Piloten zu einer sehr exakten Fahrweise, denn ansonsten kann die Fahrt schneller vorbei sein, als es einem lieb ist.
Im Jahr 2004 etwa krachte der Norweger Petter Solberg als amtierender Weltmeister bei vollem Tempo in einen der Hinkelsteine und schied aus. 2012 war es dann der Este Ott Tänak, der nach zwei überzeugenden Siegen in den ersten beiden Wertungsprüfungen des Tages in der dritten einen Hinkelstein touchierte, der seine Erfolgssträhne abrupt beendete. Kein Wunder also, dass mittlerweile Rallye-Fans auf der ganzen Welt das deutsche Wort „Hinkelstein" kennen.
Seit 1982 gibt es die Rallye Deutschland, seit 2002 gehört sie zum festen Programm der Rallye-Weltmeisterschaft. In diesem Jahr findet das Event vom 22. bis zum 25. August im Saarland sowie in den angrenzenden Regionen Mosel und Hunsrück statt. Es ist das fünftletzte Rennen der laufenden WM-Serie und jedes Mal ein Höhepunkt im deutschen Motorsportkalender. In der Vergangenheit säumten stets weit mehr als 200.000 Zuschauer die Strecke.
Stimmung wie auf einem Festival
Ganz besonders auf dem Truppenübungsplatz Baumholder herrscht dabei regelmäßig eine Atmosphäre wie auf einem Festival. Tausende Besucher versammeln sich an den verschiedenen Zuschauerzonen – dort gibt es Live-Übertragungen auf Großbild-Leinwänden, Gewinnspiele, Promotionsstände und viele weitere Attraktionen. Aber auch sportlich haben es die Prüfungen auf dem Militärgelände in sich, und das nicht nur wegen der Hinkelsteine. Auch der spezielle Bodenbelag mit Panzerplatten aus purem Beton und groben Steinen stellt eine enorme Herausforderung für Fahrer und Material dar. Selbst ein so erfahrener Pilot wie der Franzose Sébastian Loeb, mit neun Erfolgen Rekordsieger bei der Rallye Deutschland und mit neun Weltmeistertiteln der wohl erfolgreichste Rallyefahrer aller Zeiten, handelte sich dort 2011 einen Reifenschaden ein. Kaum weniger fordernd ist die „Gina". Eine fast schon legendäre Sprungkuppe, an der die Wagen rund 40 Meter weit durch die Luft fliegen. Es handelt sich dabei wenig überraschend um einen der beliebtesten Fotopunkte der gesamten Veranstaltung.
Erstmals werden am 24. August sämtliche Wertungsprüfungen auf dem Truppenübungsplatz an einem Nachmittag ausgetragen. Dabei werden sowohl der Panzerplatten-Sprint über knapp elf Kilometer als auch die 41 Kilometer lange Panzerplatten-Prüfung jeweils in entgegengesetzter Richtung als in den Vorjahren gefahren und enthalten zudem einige neue Passagen. „Auf die Teams kommt bei der Streckenbesichtigung also richtig viel Arbeit zu, denn sie müssen auf dem Truppenübungsplatz rund 50 Kilometer neu aufschreiben", sagt Rallye-Leiter Friedhelm Kissel. Traditionell führen im Rallyesport die Beifahrer das sogenannte Gebetbuch: ein kleines Heft mit Aufzeichnungen, mit dessen Hilfe sie dem Fahrer unterwegs wichtige Daten zum Verlauf der Strecke, Kurvenradius, Geschwindigkeit und zur Beschaffenheit des Belags übermitteln.
Es ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Neuerung. Die offizielle Eröffnungsfeier am 22. August findet in diesem Jahr zum ersten Mal im Servicepark am Bostalsee statt, von wo aus die Teams direkt zu einer komplett neuen Auftaktprüfung im St. Wendeler Land starten. „Mit der Eröffnungszeremonie im Servicepark haben die Teams nun auch einmal die Gelegenheit, mit ihrem kompletten Service-Personal und mit allen Helfern live dabei zu sein und mitzufeiern. Für die Zuschauer ergeben sich durch die Eröffnungsfeier im Servicepark erfreulich kurze Wege. Die Fans können tagsüber beim Shakedown sein, dann im Servicepark alle Teilnehmer auf der Bühne erleben und anschließend die erste Prüfung besuchen. Man kann früh sein Auto parken und den ganzen Tag Rallye genießen", sagt Kissel. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Teilnehmer die Strecke schon vor dem letzten Training vor der Rallye ausführlich kennenlernen konnten und daher entsprechend schnell unterwegs sein dürften. „Die Zuschauer dürfen sich also von der ersten Sekunde an auf ein besonders hohes sportliches Niveau freuen", prognostiziert Kissel.
Insgesamt fallen die 19 Wertungsprüfungen in diesem Jahr etwas länger aus, dafür sind die Verbindungsetappen etwas kürzer geworden. Am zweiten Tag (23. August) führt die Rallye Deutschland durch die Weinberge an der Mosel und durch das Ruwertal und erreicht mit der Prüfung zwischen Wadern und Weiskirchen erstmals saarländisches Territorium. Auch die Prüfungen am Samstagvormittag (24. August) werden zu großen Teilen im Saarland ausgetragen, ehe am Nachmittag der schon erwähnte Höhepunkt auf dem Truppenübungsplatz Baumholder ansteht.
Schlusstag durch die Weinberge
Am Schlusstag (25. August) führt die Strecke die Fahrer dann noch einmal zurück in die Mosel-Weinberge. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der letzten Wertungsprüfung, die als sogenannte Powerstage durchgeführt wird – dort geht es um wertvolle Sonderpunkte für die Rallye-WM. Nach der Zieldurchfahrt kehren die Teilnehmer für die Siegerehrung zurück zum Servicepark am Bostalsee. „Vergangenes Jahr waren wir am Schlusstag auch schon in den Weinbergen. Dass jetzt auch die Powerstage dort stattfindet, wird sicher eine Challenge. Die Weinberge sind schwierig. Man kann sich schnell einmal vertun bei einer Abzweigung. Die Straßen sind eng, und für uns Fahrer ist die Sicht verhältnismäßig gering, da es die ganze Zeit rechts-links geht und die Weinberge den Blickwinkel einschränken", sagt Vizeweltmeister Thierry Neuville (Hyundai).
Für den Belgier ist die Rallye Deutschland allerdings noch aus einem anderen Grund kein ganz alltägliches Rennen: Von seinem Geburtsort St. Vith sind es gerade einmal 80 Kilometer bis in die Rallye-Region – entsprechend groß ist dort jedes Mal die Unterstützung. „Die Rallye Deutschland ist mein Heimrennen", sagt er. „Es kommen immer sehr viele Fans aus Belgien, um uns zu unterstützen. Es ist eine Rallye, die ich schon immer sehr gemocht habe, bei der ich immer sehr schnell war und fast jedes Jahr mit um das Podium gekämpft habe. Außerdem ist es die Rallye, bei der ich meinen ersten WM-Sieg einfahren konnte. Das sind schöne Erinnerungen."
Mit 155 Punkten ist Neuville aktuell Dritter im WM-Klassement, drei Punkte hinter Titelverteidiger Sébastien Ogier (Frankreich/Citroën). Ganz vorn steht momentan Ott Tänak (Toyota/180 Punkte), der seine Führung in der Gesamtwertung durch den jüngsten Erfolg bei der Finnland-Rallye sogar noch ausbauen konnte. Dieses Trio wird den WM-Titel wohl unter sich ausmachen und zählt auch bei der Rallye Deutschland zu den Favoriten. Alle drei dürften dabei besonders motiviert sein: Neuville wegen der räumlichen Nähe zu seiner Heimat; Tänak, weil ihm nach den Siegen 2017 und 2018 der Hattrick gelingen könnte; und Ogier, weil es einer seiner letzten Auftritte in Deutschland sein wird, wo er ebenfalls viele Fans hat. Der Franzose wird nach der Saison 2020 aus der Rallye-Weltmeisterschaft aussteigen und will sich künftig auf seine Beraterrolle bei der Elektro-SUV-Rennserie Extreme E konzentrieren, die 2021 starten soll.
Nicht dabei ist in diesem Jahr Rekordsieger Sébastien Loeb: Das Hyundai-Team vergab das dritte Cockpit neben Thierry Neuville und Andreas Mikkelsen (Norwegen) stattdessen an den Spanier Dani Sordo, der 2011 schon einmal Dritter war. Auch er weiß jedoch um die besonderen Tücken der Hinkelsteine.