Die deutschen Winzer konnten 2018 die größte Ernte seit 1999 einfahren. Nicht nur die Menge war überdurchschnittlich, auch die Qualität. Wie hat sich das auf den Weinmarkt ausgewirkt? Was bedeutet es für die Verbraucher?
esunken sind die Preise für den Wein nicht, das sei vorweg gesagt. Aber der Verbraucher kann sicher sein, dass er für dasselbe Geld mehr Qualität bekommt: Der 2018er Jahrgang ist im Verkauf, die großen Lagen kommen Anfang September auf den Markt. Dann laden die Prädikatsweingüter zur ersten Verkostung nach Berlin.
Von Rekordernten haben die Winzer geschwärmt, von idealen Lesebedingungen und perfekt gewachsenen Trauben. Jetzt hat auch das Statistische Bundesamt bestätigt, dass über eine Milliarde Liter Wein eingekellert wurde, ein Fünftel mehr als im Durchschnitt und sogar noch 38 Prozent mehr als im mäßigen Weinjahr 2017. Der Hitzesommer, unter dem ganz Deutschland im vergangenen Jahr gestöhnt hat, war für die Reben ein Segen. Für Schädlinge war es zu heiß, faulen konnte wegen der Trockenheit auch nichts, die Sonne jagte üppige Süße in die Trauben. Und die Rebstöcke reichten mit ihren langen Pfahlwurzeln in eine Tiefe, wo sie noch Feuchtigkeit aufnehmen konnten. Nur die jungen Weinstöcke brauchten Bewässerung. Ulrich Langguth vom gleichnamigen Weingut an der Mosel bestätigt: „Die Wärme und Trockenheit, die sogar bis in den Oktober anhielt, führte zu einer beispiellos frühen Lese bereits Mitte August und zu absolut gesunden Trauben. 2018 waren die Trauben im besten Zustand, den man sich denken kann."
Preisschwankungen sind unbekannt
Was haben die Winzer aus dem Jahrhundertjahrgang gemacht? Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut: „Die Wärme brachte höhere Öchslegrade und damit tendenziell alkoholreichere Weine. Es entwickelten sich fruchtbetonte Rieslinge, die Säure blieb moderat. Die Sonne tat den Spätburgundertrauben besonders gut, sie brachten üppige Rotweine mit einer starken Farbe hervor." In Grad Oechsle misst man das Mostgewicht, so wird der Fruchtzuckergehalt angezeigt. Zucker verwandelt sich bei der alkoholischen Gärung in Alkohol – je süßer der Most, desto höher später der Alkoholwert. Hohe Mostgewichte sind aber in Zeiten des Klimawandels zumindest beim Weißwein längst kein untrügliches Zeichen mehr für besondere Qualität. Die Kellermeister entwickeln lieber aromareiche Weiße, die einen niedrigeren Alkoholgehalt haben, dafür aber etwas über das Terroir aussagen, auf dem die Reben gewachsen sind – bei denen man also etwas schmeckt von Umgebung, Weinberg und Lage. „Wir haben 2018 viele Rebstöcke zurückgeschnitten, um den Ertrag nicht zu groß werden zu lassen und die Qualität zu steigern", sagt beispielsweise Maximilian Kallfelz vom Weingut Kallfelz in Merl an der Mosel. „Durch einen hohen Alkoholgehalt glänzen viele Weine leider nur kurzfristig." In Sachen Charakter setze man mehr auf das Terroir, den schonenden Ausbau sowie eine optimierte Lagerung. Preisschwankungen kennt man an der Mosel nicht: „Zu uns ist noch kein Kunde gekommen, der gesagt hat, ihr habt so viel geerntet, jetzt könnt ihr den Preis doch senken", sagt Maximilian Kallfelz.
Auf dem Margarethenhof in Ayl an der unteren Saar ist der 2018er schon seit einem halben Jahr im Verkauf. „Das Jahr war verrückt, wir befürchteten schon, dass die Trauben Stress bekommen, dann fiel zwischendurch ein anhaltender Landregen – und die Aromen schossen durch die Decke", erinnert sich Marketingleiterin Jasmin Blumenrad. Sie mussten Tanks dazukaufen, um die Fülle unterzubringen. Und nicht nur die frühe August-Lese sei bemerkenswert gewesen im vergangenen Jahr, auch die spätere Trockenbeerenauslese war von hervorragender Qualität. Doch bevor man die im Glas schmecken kann, wird es noch zwei, drei Jahre dauern. Jürgen Weber, Chef des Weinguts, nutzte die Fülle an Weinen zum Experimentieren. So kreierte er einen „Orange Wein", einen Weißwein, der im Rotweinverfahren ohne Schwefel ausgebaut hat. Oder den ebenfalls weißen „Lutz", eine Cuvée aus Rivaner und Elbling – einer Traube, die in Deutschland schon von den Römern angebaut wurde.
Die Weinmagazine feiern die Roten als die ganz großen Sieger des Jahrhangs 2018. Durch die Bank sprechen die Winzer von einem hervorragenden Rotweinjahrgang, so das Online-Magazin „Bonvinitas". Winzer, Genossenschaften oder Weinbauämter von der Saar über Rheinland-Pfalz bis nach Württemberg schwärmen von hohen Oechsle-Graden und der „wunderbaren intensiven Farbausprägung", die die Weine zu „richtigen Hinguckern" mit „attraktiver Mundfülle" machen. Manche sehen auf Deutschland bereits ähnlich günstige Klimabedingungen zukommen wie in Italien oder Frankreich, wo die großen Rotweine geerntet werden.
Hervorragende Qualität also – dennoch haben die Deutschen beim heimischen Wein bislang nicht mehr zugegriffen als früher, obwohl die Preise relativ stabil geblieben sind. Laut Statistischem Bundesamt ist der Liter nur um 2,2 Prozent teurer als im vergangenen Jahr. Ernst Büscher vom Weininstitut bestätigt: „Deutschland ist Weinimportland, darüber täuscht auch eine Rekordernte wie 2018 nicht hinweg. Wir importieren doppelt so viel wie wir produzieren." Der Konsum der Bundesbürger liegt seit Jahren konstant bei um die 20 Liter pro Kopf und Jahr – während beispielsweise die Portugiesen, europäische Spitzenreiter in Sachen Weingenuss, im Jahr mehr als 67 Liter trinken. Der relativ moderate Verbrauch führt auf dem hiesigen Weinmarkt zu einem harten Verdrängungswettbewerb. Heimische Erzeuger müssen sich nicht nur gegen Franzosen und Italiener, sondern auch oftmals sehr günstige Importe aus Südafrika, Chile und Neuseeland wehren. Das ist nicht einfach – für den Durchschnittskunden zählt hierzulande nämlich weniger die Qualität als der Preis. Vier von fünf Flaschen werden über den Einzelhandel oder Discounter verkauft. „Und dort kostet eine Flasche im Schnitt 3,08 Euro", so Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. „Zum Vergleich: Beim Direktverkauf ab Hof liegt der Durchschnittspreis bei 6,80 Euro."
Die Roten sind die großen Sieger
Drei Euro – so ein niedriger Preis hilft den deutschen Winzern nicht, er schadet eher dem Image der Erzeuger, die mit viel Mühe, Arbeit und perfektem Handwerk beste Tropfen hervorbringen, während die Discounter sich von automatischen Abfüllanlagen beliefern lassen. Die Ausnahme: Bei Lidl kamen unter dem Label „Junge Winzer" Weine ins Verkaufsregal, die das Handwerk repräsentierten. Der Preis lag allerdings dementsprechend höher.
Der Markt bleibt spannend. 2019 wird laut Büscher wieder ein „normaler" Jahrgang, wenn das Wetter hält und der September nicht zu nass wird. Obwohl man nie wissen kann, ob nicht doch ein Hagelsturm oder ein sich schnell ausbreitender Schädling die Ernte zunichtemacht, ist Bangemachen in der Weinbranche nicht angesagt. Dafür gibt es zu viele neue Talente und ungewöhnliche Ideen in den rund 16.000 Weinbaubetrieben. Wie die von Christoph Hammel, ein unorthodoxer neuer Winzer, der aber in einer langen Familientradition steht: Auf seinem Weingut in Kirchheim an der Weinstraße (Pfalz) experimentiert er mit klassischen und modernen Rebsorten. Da er viel herumkommt, auch China und Japan bereist, hat er sich überlegt, welche Weine zu typisch asiatischem Essen passen. Jetzt hat er einen Wein auf den Markt gebracht, der einen alten neuen Namen trägt: „Liebfraumilch". Eine kleine Provokation. Viele denken bei diesem Namen gleich an die früher bei den Briten beliebte süße Plörre. Hammels Liebfraumilch ist gerade noch feinherb, an der Grenze zur Süße. Den Asiaten scheint sein Wein zu schmecken.