500 Tiere, 140 Arten, ein Arzt: Mark Eichelmann behandelt im Neunkircher Zoo alle Tiere – vom Greifvogel Aguja bis zum Zebra. Dabei sieht er sowohl sich als auch die Einrichtung vornehmlich dem Tierschutz verpflichtet.
Was ist eigentlich ein Großtier? Einfach nur ein körperlich großes Tier, etwa ein Elefant? Oder bereits ein Nutztier, etwa eine Ziege oder ein Schaf? Die werden als Wiederkäuer oft dazu gezählt, sind aber teils kleiner als große Haustiere wie Schäferhunde – und wiegen auch weniger. Wo ein Bernhardiner-Rüde bis zu 90 Zentimeter groß werden und bis zu 120 Kilogramm auf die Waage bringen kann, erreicht eine Hausziege nur etwa 60 Zentimeter, aber immerhin ein ähnliches Gewicht. „So klar sind die Grenzen also nicht", sagt Mark Eichelmann. Er ist seit rund einem Jahr Tierarzt im Neunkirchen Zoo und behandelt die mehr als 500 Tiere – groß und klein – aus 140 Arten auf dem rund 20 Hektar großen Gelände.
Der Tag beginnt normalerweise damit, dass die Pfleger ihre Rundgänge durch die Gehege machen und Eichelmann dann mitteilen, welche Tiere augenscheinlich gesund sind. Der Großteil der Zootiere lässt sich natürlich nicht gerne anfassen. Eine Giraffe, so putzig sie auch ausschaut und so tapsig sie sich auch bewegen mag, ist eben ein wildes Tier. Mit einem Tritt und der Berührung der festen Klaue kann sie sogar einen angreifenden Löwen töten, erklärt der Tierarzt. Generell sei sie aber ein Fluchttier, also nicht unbedingt auf Konfrontation aus.
Auch eine Giraffe kann gefährlich werden
Falls ein Tier krank ist, öffnet er also seinen Koffer, in dem sich Schmerzmittel, Antibiotika, Besteck zur Blutabnahme, Urin-Teststreifen und vieles mehr befindet – auch das Pusterohr mit Narkosemittel. Nach der Ruhigstellung kann er dann operieren, beispielsweise Zähne ziehen wie bei Hyänen-Weibchen Kati, die mit ihren 16 Jahren „eine echte Omi" ist. Die mit den Katzen verwandten Raubtiere können mit ihrem kräftigen Gebiss extrem gefährlich sein. Noch neu sind die madegassischen Raubtiere Fossas. Hier gilt es, im Falle eines Falles das Risiko einer Narkose gegen den Stress für die Tiere abzuwägen, ohne jedoch die Angestellten zu gefährden.
Wie bei uns Menschen ist selbstverständlich auch bei den Tieren das Alter zu spüren. Braunbärdame Sophie etwa ist bereits im hohen Seniorenalter, hat ebenfalls schon eine Zahn-OP hinter sich. Sie knackt bald die 40 Jahre und ist ein „echtes Charaktertier", wie Mark Eichelmann erzählt. „Das Leben bringt es mit sich, dass es irgendwann endet. Wir im Zoo sind in der glücklichen Position, eingreifen zu können, um ein eventuelles Leiden abzukürzen."
Doch ganz klar stellt er fest: „Wir lieben alle Tiere. Wir sind sehr stark am Tierwohl interessiert. Tierschutz ist Berufsdefinition." Damit grenze er Tierschützer deutlich von Tierrechtlern ab, die beispielsweise die Haltung von Tieren in zoologischen Einrichtungen generell ablehnen und verdammen. Was dabei ganz gerne vergessen werde: Die Zootiere haben längst nicht so oft mit Infekten zu kämpfen wie ihre Artgenossen in der Freiheit. Auch haben sie den Druck nicht, sich mit natürlichen Feinden zu bekämpfen. Und auch ihre Kinder werden von diesen nicht gefressen. „Die biologische Natur ist einfach gnadenlos", sagt er.
Stattdessen könne man in einem Zoo etwas anderes feststellen, was den Tieren mitunter zu schaffen macht: Langeweile. Was machen die Tiere mit dem ganzen Platz, der ihnen zur Verfügung steht? Sie müssen nicht nach Nahrung suchen, nicht vor Angriffen davonlaufen. Deswegen sei auch weniger die Größe einer Anlage wichtig, sondern deren Qualität. „Die Gehege müssen so strukturiert sein, dass sie abwechslungsreich sind. Diese Ansprüche können von Tierart zu Tierart natürlich ganz unterschiedlich sein."
„Weniger die Größe einer Anlage ist wichtig, mehr die Abwechslung"
Eines merkt man beim Gespräch mit dem 35-Jährigen, der in Ludwigshafen geboren ist: die absolute Faszination für das Tierreich. Nicht nur hält er selbst privat zehn Vogelspinnen, eine etwa 80 Zentimeter lange Königspython und einen Axolotl – ein Schwanzlurch – auch „seine Patienten" haben es ihm angetan. So erzählt er von Orang-Utans, die sich mit regelrecht „strategischem Geschick" an Puzzlekisten zu schaffen machen. Einmal habe er miterlebt, wie eine Affendame einen herumliegenden Stoffrest als eine Art Lasso benutzte, um etwas aus einer Baumkrone zu schlagen. „Dass sie es geschafft hat, hat sie unglaublich gefreut."
Der Wunsch, in einem Zoo zu arbeiten, habe schon immer in ihm geschlummert, erzählt er. Dennoch sei er zum Studium der Tiermedizin in Gießen, das er 2010 abschloss, mehr oder minder zufällig gekommen. Beim Stöbern bei der Agentur für Arbeit sei ihm die Erläuterung des Berufes aufgefallen, und er dachte nur: „Leute, das ist es!"
Da es nicht wirklich viele Arbeitsplätze in Zoos gibt, absolvierte er bereits in seiner Studienzeit viele Praktika, reiste viel, besuchte Konferenzen, netzwerkte. Fast hätte es ihn sogar nach Südafrika verschlagen, doch dort wurde sein Abschluss nicht anerkannt. In Karlsruhe wurde er befristet engagiert, als 2010 nach dem Großbrand im Elefantenhaus Personal benötigt wurde, um die verletzten Rüsseltiere zu verarzten.
Seit Oktober 2018 ist er nun also in Neunkirchen, wo er viel Spaß bei der Arbeit hat. Im Gegensatz zur Arbeit in einer Tierarztpraxis – „das ist schon was anderes" – habe er hier viel mehr Verantwortung und müsse regelrechtes Management betreiben. Er bestellt Medikamente, achtet auf den Besatz der Apotheke und muss auch immer mehr Zeit für den Verwaltungsaufwand in puncto Dokumentation verwenden. Zudem ist er dank seiner Zusatzqualifikation „Reptilien" Kurator der Bereiche Huftiere und Terrarien. Damit passte er genau ins Anforderungsprofil, nachdem 2017 die Quarantäne- und Exoten-Auffangstation eröffnet wurde.
Die Anzahl der Tiere in der Einrichtung bezogen auf die Größe der Anlage und mit Einbeziehung der Anzahl der Mitarbeiter empfindet Mark Eichelmann als sehr groß. Als „Perle" unter den animalischen Bewohnern benennt er den rund 50 Zentimeter langen Taubwaran. Die Echse stammt aus Borneo und wird in lediglich fünf Einrichtungen des Europäischen Zoo- und Aquarien-Verbandes (EAZA) gehalten. Neunkirchen war 2017 der erste deutsche Zoo, der daran teilnahm.
Als „Grenzerfahrung" bezeichnet er den Tumult um die Paviane. Wegen angeblicher Überbevölkerung mussten 30 der etwa 100 Tiere nach China überführt werden. Doch alle hätten im Endeffekt gut zusammengearbeitet, und alles sei im Sinne der Tiere gut ausgegangen. Ein Lieblingstier hat er jedenfalls nicht. Auch wenn er Elefanten-Dame Kirsty fantastisch findet, die wegen ihrem Sinn für Humor einen Platz in seinem Herzen hat. „Sie macht richtig originelle Scherze", sagt er bewundernd.
Kommende Veranstaltungen im Zoo Neunkirchen:
Halloween, Donnerstag, 31. Oktober, 13 bis 17 Uhr
Weihnachtsmarkt, Freitag bis Sonntag, 20. bis 22. Dezember, 15 bis 21 Uhr
Weitere Infos: www.neunkircherzoo.de