In ihrem Alltag sind sie Anwälte, Lehrer, Richter und Banker. Doch ihre Freizeit gehört der Fantasiewelt. Auf dem saarländischen Fantasy- und Rollenspielkonvent (Fark) erzählen die verkleideten Gäste, wie sie ihre beiden Leben vereinen.
Glühende Mittagssonne ist nichts für Orks. Sie verkriechen sich lieber ins Zelt, fläzen sich auf den verstaubten Kissen und warten auf die Dämmerung. Dann greifen die willigen Vollstrecker des Bösen zu den Speeren und streifen durch die Wälder. „Auf der Suche nach Fleisch", zischt ihre Anführerin Zirpa. Wie viele Menschen Zirpa alias Franziska Tausch auf dem Gewissen hat, kann die blutrünstige Kämpferin gar nicht mehr zählen. Hunderte, vielleicht sogar Tausende? Die Zahl spielt für die Kriegerin keine Rolle. „Dafür kann ich mich gut daran erinnern, wie ich meinen Opfern das Fleisch von den Knochen nagte und sie sich vor Schmerz nur so wanden."
Ein martialisches Bild, mit dem das echte Leben von Franziska Tausch rein gar nichts gemein hat. Fernab des saarländischen Fantasy- und Rollenspielkonvents (Fark) arbeitet die zierliche Frau in der Nähe von Gießen als sozialpädagogische Familienhelferin. „Hauptsächlich mit Jugendlichen", plaudert sie an der Schwelle zum Ork-Lager. Geht’s um das Privatleben, ändert sich ihr Stimmklang. Vom ursprünglich bedrohlichen Zischen ist nichts mehr zu hören. „Ich helfe Familienmitgliedern dabei, wieder zueinanderzufinden und anschließend ein besseres Verhältnis aufzubauen." Sie bietet Konfliktlösungen an, gibt auch Erziehungstipps für den Umgang mit Teenagern. „Ich sage mal so", schildert Franziska alias Zirpa ihre beiden Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten: „Weil ich im sozialen Bereich arbeite, ist es schön, auch mal total asozial zu sein. Also gegen den gesunden Menschenverstand zu arbeiten. Deswegen fahre ich zu solchen Rollenspiel-Konvents wie beispielsweise der Fark. Hier bekomme ich die Chance, mich ganz anders auszuleben. So, wie ich im realen Leben nie sein werde."
55.000 Besucher aus der ganzen Welt
Dafür gibt Franziska auch ordentlich viel Geld aus. Allein die Gesichtsmaske kostet die Ork-Anführerin um die 600 Euro. Das Ergebnis wirkt überzeugend echt. Nicht so wie die preiswerten Variationen, die man in den Abteilungen für Faschingsbedarf bekommen würde. Ihr „zweites Gesicht" – schwarze Silikonhaut mit tiefen Furchen und einer Hakennase – passt sich perfekt ihren echten Gesichtszügen an und greift auch die Mimik auf. Mit dem Ork-Gewand wird es für Franziska übrigens noch kostspieliger. Um die Tausend Euro investierte die Hobby-Kriegerin schon in ihre Kleider, „und ich bin noch lange nicht fertig." Schließlich gehen die Kleider bei Schaukämpfen öfter mal kaputt und müssen wieder ersetzt werden. Oder Franziska entdeckt einen neuen Stofffetzen, der ihr Kostüm vervollständigen soll. „Dann greife ich auch gerne zu, um meine Fantasy-Figur noch authentischer erscheinen zu lassen."
Die Authentizität ist übrigens auch ein Grundgedanke der Fark. „Im Gegensatz zu einer Faschingsveranstaltung geht es bei uns nicht darum, Alkohol zu konsumieren, um anschließend angetrunken zu feiern", erzählt Gründer und Veranstalter Benjamin Kiehn. „Im Fokus unseres Events stehen Kunst, Kostüme und ein friedliches Miteinander." Vor sechs Jahren organisierte der studierte Diplom-Verwaltungswirt und Fantast aus Leidenschaft die erste Fark in Illingen, mit ungeahntem Erfolg. „Es kamen einfach so viele Teilnehmer und Gäste, dass wir schon beim zweiten Event auf einen größeren Standort ausweichen mussten." Die Wahl fiel auf das ehemalige Grubengelände in Landsweiler-Reden. Hier, inmitten der kaskadenartig angelegten Wassergärten auf einer Fläche von über 20.000 Quadratmetern fand die Veranstaltung auch ein neues Zuhause. Seitdem ist sie richtig groß geworden. Dieses Jahr lockte das Event beispielsweise über 55.000 Fantasy-Fans aus der ganzen Welt an. Die weiteste Anreise hatten zwei Kanadier, erzählt der Veranstalter. Auch Gäste aus Italien und Spanien sind extra ins Saarland gereist, um Teil des Fantasy-Konvents zu werden. „Viele Besucher kamen auch aus Österreich, der Schweiz, Luxemburg, Frankreich und Belgien, um mit uns drei Tage lang in eine andre Welt einzutauchen", weiß Kiehn.
Bei der Frage, ob es sich bei den Gästen um Nerds oder Geeks handelt, winkt der Fark-Erfinder ab. Natürlich gab es eine Zeit, in der Begriffe wie Nerd oder Geek als Beleidigung genutzt wurden. Diese Zeit sei allerdings schon lange vorbei, sagt Kiehn. „Gehen Sie einfach mal in irgendeinen Laden, egal in welchen, und schauen sich das Sortiment an. Es gibt Batman-T-Shirts, Spider-Man-Tassen und Star-Wars-Bettlaken. Was früher Madonna gewesen ist, ist heute Batman. Batman ist absolute Pop-Kultur geworden." Das spiegelt auch die Vielfalt der Teilnehmer wider. „Wir haben hier Handwerker, Richter, Ärzte, Anwälte. Die Liebe zu Fantasy zieht sich durch alle sozialen und auch durch alle Altersgruppen." Die älteste Besucherin sei beispielweise stolze 93 Jahre, die jüngste kaum zwei Wochen alt. „Somit sind Fantasy und Rollenspiel kein Freak-Thema, sondern absolut salonfähiger popkultureller Mainstream."
Benjamin Lorenz ist übrigens auch dieser Meinung. Auf die Frage, ob er sich zu den Freaks zählt, bricht der attraktive, gut gebaute Bayer in schallendes Gelächter aus. „Nein", prustet er los, „Sehe ich etwa so aus?" Auf der Fark verkörpert Benjamin einen Raider aus dem Endzeit-Lager. Im echten Leben hat der Marketing-Kaufmann natürlich nichts mit Plünderungen und Raubzügen zu tun. „Meine Freizeit verläuft nicht anders als bei den meisten Menschen. Ich gehe mit meiner Frau ins Kino, wir kochen gemeinsam, gehen spazieren und laden Freunde ein", erzählt er von seinem Privatleben. „Wenn meine Freunde in den Urlaub fliegen – nach Griechenland zum Beispiel – fahren meine Frau und ich zu einem Konvent. Sie machen dann Urlaub am Meer und wir in einer Fantasiewelt. Mehr Unterscheide gibt es eigentlich nicht."
Freier Eintritt, dafür Spenden
Außer vielleicht noch, dass Benjamin nähen kann. Sein Kostüm schneiderte der Endzeitkrieger bis auf ein Paar kleine Details selbst. „Die Lederjacke, die ich gerade trage, ist eine original Fliegerjacke aus dem Zweiten Weltkrieg", erzählt der Fark-Teilnehmer und schaut an sich herunter. Er verpasste seiner Jacke einen Used-Look, peppte sie mit Nieten auf. „In meinem Gewand stecken mindestens tausend Euro", schätzt der Bayer, „wenn nicht noch mehr." So wie übrigens auch im Gewand seiner Frau und Endzeitkriegerin Sabine. Zehn Jahre lang versuchte Benjamin seine Partnerin davon zu überzeugen, sein Hobby zu teilen. Erst mit der selbst gebauten sexy Kluft gelang es dem Fantasy-Raider sie zu begeistern. „Seitdem begleite ich meinen Mann zu den unterschiedlichsten Events", ergänzt Sabine etwas schüchtern. Im Gegensatz zu Benjamin steht Sabine nicht gern im Mittelpunkt. Ob die Fark dann die passende Veranstaltung für sie sei? „Ja, auf jeden Fall. Hier wird ja keiner zu irgendetwas gezwungen", weiß Sabine. „Und wenn ich mal von dem Trubel genug habe, kann ich mich auch zurückziehen."
Einen Eintrittspreis verlangen die Veranstalter nicht. „Die Fark ist kostenlos", erzählt Kiehn, „damit auch wirklich jeder daran teilnehmen kann." Dafür bittet das Veranstalter-Team um Spenden. „In diesem Jahr haben wir beispielsweise 107.579 Euro gesammelt", sagt Kiehn stolz. Das ganze Geld kommt Hilfsorganisationen wie „Herzenssache" und „Sternregen" zugute. Ein Teil wird an die Feuerwehr, Deutsches Rotes Kreuz, Technisches Hilfswerk, ASB, Wünschewagen, Hoffnungsbaum e.V. und drei Schulen im Landkreis Neunkirchen fließen. „Diese Tatsache hebt die Fark meiner Meinung nach von anderen Fantasy-Konvents ab", erzählt Kiehn, der sich seit Jahren als Vorsitzender von Fit 4 Charity (FFC) für wohltätige Zwecke engagiert. „Die Gäste können sich hier nicht nur ausleben, sondern parallel auch etwas Gutes tun. Das ist der wichtigste Baustein der Fark."