Ein Konvoi voll beladener Lkw von Kiel bis Innsbruck: So viel Kleidung landet jährlich im Container. Die Qualität der Wegwerfmode sinkt dabei kontinuierlich. Das bringt die Altkleiderbranche in Gefahr.
Doch, ja, auf jeden Fall – es lohne sich trotz allem noch, aussortierte Blusen, Hosen oder Jacken zum Altkleidercontainer zu bringen, sagt Thomas Ahlmann. Ahlmann ist Sprecher des Dachverbands Fairwertung, einem Netzwerk gemeinnütziger Altkleidersammler. Diese seien nach wie vor auf modische, gut erhaltene Kleidung für wohltätige Zwecke angewiesen. Nur: Die Branche steht vor einem ungeahnten Problem.
Die ausrangierten Klamotten haben schlicht eine zu schlechte Qualität. Das Baumwollshirt zum Schnäppchenpreis von 1,99 Euro hat sich nach ein paarmal Waschen verzogen und lässt sich nicht mehr secondhand anbieten. Das billige Polyesterkleidchen für 5,99 Euro lässt sich nicht einmal mehr zum Putzlappen ummodeln, ihm fehlt die Saugkraft.
Das Geschäftsmodell Fast Fashion: Was heute Trend ist, wird morgen schon wieder aussortiert. Früher habe es drei bis vier Kollektionen im Jahr gegeben, zu jeder Jahreszeit etwa eine, heute werfe manche Modekette fast im Wochentakt eine neue Kollektion mit anderen Schnitten, Farben und Designs auf den Markt, erklärt Ahlmann. Den Kunden werde immer öfter ein neues Einkaufserlebnis versprochen.
Der moderne Modezirkus hat nur noch wenig mit den Zeiten zu tun, als im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter die Regale je nachdem mal mit kurzen und mal mit langen Shirts aufgefüllt wurden. Allein 198 Millionen Jeans sind im Jahr 2018 nach Deutschland importiert worden. Im Schnitt kauft jeder Deutsche heute etwa fünf Kleidungsstücke im Monat, 60 im Jahr, trägt sie aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Weltweit habe sich die Textilproduktion in 15 Jahren, von 2000 bis 2015, verdoppelt, sagt Kirsten Brodde, Textilexpertin beim Umweltverband Greenpeace. So würden mittlerweile mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr hergestellt, was einem Umsatz von etwa 1,6 Billionen Euro entspreche. Brodde meint: „Das ist mehr Zeug, als alle Menschen auf diesem Planeten jemals auftragen können." Die meisten Menschen hierzulande zögen gut 40 Prozent der Klamotten selten oder gar nicht an. Kleidung sei zur Wegwerfware verkommen.
Pro Jahr entsteht viel mehr Kleidung, als man jemals tragen könnte
Nur eine kurze Zeit, dann muss ein neues Teil her und das alte weg. So steht die Altkleiderbranche „vor immer neuen Rekorden", sagt Ahlmann. Schon jetzt landeten pro Jahr etwa eine Million Tonnen Kleider in den Containern. Das entspräche bereits „den Ladungen einer Lkw-Schlange von Kiel bis Innsbruck". Doch die Mengen stiegen seit Jahren kontinuierlich. Mittlerweile komme bei seinem Netzwerk so viel an, teils auch von so schlechter Qualität, dass nicht alles wiederverwertet werden könne.
Wer sein Sommerkleid oder das T-Shirt in den Container steckt, geht zumeist davon aus, dass seine Sachen irgendwie weiter genutzt werden. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass der schnelle Modezyklus seinen Preis hat: Die Arbeiter bekommen oft nur geringe Löhne, die Umweltbelastung ist enorm. Doch kaum einer weiß, dass inzwischen die Aufbereitung nicht mehr rund läuft.
Eigentlich funktioniere das so, erklärt Jörg Lacher vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung: Der Großteil der Altkleider wird – auch wenn eine wohltätige Organisation sie sammelt – an Profi-Verwerter verkauft. Denn es kommt viel mehr zusammen, als etwa das Rote Kreuz vor Ort an Hosen und Shirts braucht. So sind also nicht die Kleider selbst die Spende; vielmehr werden mit den Einnahmen soziale Projekte finanziert.
Die Leute in den Sortierbetrieben schauen also jedes Teil genau an, suchen die gut erhaltenen Stücke heraus. Diese haben bislang etwa die Hälfte aller gesammelten Kleider ausgemacht und brachten die notwendigen Einnahmen, um das Recyclingsystem zu finanzieren und aufrechtzuerhalten. Die guten Stücke wurden weiterverkauft, als Secondhandkleidung vor allem in Osteuropa und in afrikanischen Ländern.
Nur nimmt der Anteil der noch tragbaren Teile ab. Nähte gehen zu schnell auf, Stoffe reißen schneller. Das mache das Geschäft nicht leichter, sagt Lacher. Ahlmann von Fairwertung wird deutlicher. Er sieht über „kurz oder lang eine Schieflage", das System könne sich irgendwann nicht mehr selbst finanzieren.
Der Weiterverkauf kann das Recyclingsystem nicht mehr finanzieren
Schon heute müssten die Sortierer zehn Prozent der Altkleider in den Müll werfen – und für deren Entsorgung sogar zahlen. Und aus den anderen rund 40 Prozent einer Sammlung entstünden derzeit Putzlappen für die Industrie, Malervlies, Dämmstoffe, weil es noch keine wirtschaftlich rentable Technik gebe, um aus einer alten Jeans wieder eine neue Jeans zu machen. Dieses sogenannte Downcycling sei aber „kaum kostendeckend".
Obendrein eigneten sich die modernen Stoffe häufig nicht einmal mehr als Putzlappen. Der neue Trend zur billigen Mode und der rasante Wandel sind nur möglich, weil der Polyesteranteil zunimmt, Synthetik-Mischgewebe sind vergleichsweise billig, Stücke ganz aus Polyester sowieso. Die Zahlen: Im Jahr 2000 wurden weltweit noch 8,3 Millionen Tonnen Polyester für Kleidung verwendet. Gut 15 Jahre später war die Menge um rund 157 Prozent angestiegen. Ahlmann sagt: „Aus Synthetik lässt sich aber kein Wischtuch machen, viele Stücke sind nur bedingt recyclingfähig, andere gar nicht."
Er fordert: „Modeketten müssen wieder qualitativ hochwertigere Kleidung produzieren, die langlebig ist und sich sinnvoll wiederverwerten lässt." Auch Lacher will weg von der Ex-und-hopp-Kleidung. „Sollte dies auf mittlere Sicht nicht geschehen, müsste man überlegen, inwieweit der Gesetzgeber Mindeststandards vorgeben könnte", sagt er. Und Brodde meint: „Ökologischer als jedes Recycling ist es, Kleidung wieder zu schätzen, mit ihr pfleglich umzugehen, sie zu reparieren, anders zu kombinieren und auch mal mit Freunden zu tauschen."