Mehrfach berichtete FORUM über teils gravierende Umweltverstöße im grenznahen Lothringen. Nun werden neue Versäumnisse der Chemieplattform Carling bekannt. Auch die Neuansiedlung eines Biochemie-Konzerns lässt nichts Gutes hoffen.
Ein neuer Akteur auf dem Markt der organischen Säuren auf biologischer Basis": Mit diesem Spruch wirbt die Firma Afyren für ihren neuen Standort in Lothringen. In der jüngsten Sitzung der Begleit-Kommission (CSS) der Chemieplattform Carling stellte der selbst ernannte „grüne Chemie-Konzern" kürzlich seine Pläne vor. In der Kommission sind auch das saarländische Umweltministerium sowie die Stadt Völklingen und die Gemeinde Großrosseln vertreten. Ab 2021 will die Firma Bioabfälle wie zum Beispiel Rübenschnitzel in organische Säuren umwandeln. Die Produktionskapazität betrage 16.000 Tonnen jährlich, wenigstens 50 Arbeitsplätze sollen so entstehen.
Abnehmer gebe es beispielsweise in der Lebensmittel-, der Pharma- und der Kosmetikindustrie. Aber es gibt Bedenken. Auch wenn „grüne" Bio-Chemie nach weniger Gift klingt: „Auch die sogenannte Bio-Chemie kommt nicht ohne Umweltverschmutzung aus", erklärte der französische Umweltschützer Jean Marie Bonnetier. Bonnetier ist Chef der Umweltschutzvereins Adelp in Longeville-lès-Saint-Avold. Die Anlage solle schließlich nicht ohne Grund von der französischen Umweltschutzbehörde Dreal überwacht werden, sagt Bonnetier. Sicher müsse man erst abwarten, bis die Anlagen anliefen, um die Folgen auf Mensch und Natur zu bewerten. Klar sei aber schon jetzt, dass man beispielsweise die in diesem Zuge geplante Produktion von Buttersäure schnell riechen werde, so der Chemiker. Ihm vorliegende Unterlagen schienen vor allem darauf ausgerichtet, die noch ausstehenden Genehmigungen der Behörden zu ergattern.
„Fünf Jahrzehnte menschliches Abenteuer": So wirbt die Firma Total für ihre „dynamische Plattform", die „unverzichtbare Alltagsgegenstände" herstelle und Hunderten Menschen eine Arbeit biete. Seit einiger Zeit brüsten sich Total und die anderen Betreiberfirmen mit ihren Bemühungen im Sinne der Umwelt. Immer wieder betonen sie dabei den gesunkenen CO₂-Ausstoß der Anlagen. Und tatsächlich: Allein zwischen 2014 und 2017 hat sich der Wert von 360.000 auf nunmehr 182.000 Tonnen fast halbiert. Das geht aus Zahlen des französischen Umweltinformationsportals „Géorisques" hervor.
Es zeigt sich jedoch, dass es bei einigen Schadstoffausstößen zu temporären Erhöhungen kam. Sogenannte flüchtige organische Verbindungen (VOC), die sowohl dem Klima als auch der Gesundheit schaden können, werden dabei vermehrt in die Umwelt geblasen. Sowohl Arkema als auch Total erhöhten zuletzt ihre Ausstöße. Arkema hält beispielsweise seinen Fluorkohlenwasserstoff-Ausstoß seit Jahren konstant hoch. Das Unternehmen erklärte dazu auf Anfrage, die jüngsten Werte ließen sich durch „eine vorübergehende Störung einer Anlage im Jahr 2017" erklären. Im Übrigen sei der Grenzwert nicht überschritten worden. Total Petrochemicals France teilte mit, dass laut eigenen Messungen allein zwischen 2015 und 2016 die VOC-Ausstöße, zu denen auch CO₂ gehört, um drei Viertel zurückgegangen seien. Die Inbetriebnahme neuer Anlagen im Jahr 2017 habe lediglich zu einem geringen Anstieg geführt.
Afyren baut Werk in Carling
Noch gravierender jedoch ist der Umgang mit Benzol. Sowohl Umwelt-aktivisten als auch Experten der französischen Wasserschutzbehörde Agence de l’Eau Rhin-Meuse mahnen die Plattform-Betreiber seit Jahren eindringlich an, weniger Schadstoffe in die Merle abzulassen, da diese nur unzureichend verdünnt über die Rossel ins Saarland gelangten. Nach wie vor Probleme bereiten teils krebserregende Benzol-Verbindungen. Wie im Begleitausschuss bekannt geworden ist, wurde in der plattform-eigenen Kläranlage im Februar dieses Jahres ein drei Tage andauernder Umweltalarm ausgelöst. Bei einem Unwetter waren zahlreiche Schadstoffe in die Merle gelangt. Beim Benzol wurde der Grenzwert um das 60-fache überschritten, bei der Benzol-Verbindung Xylol um das 50-fache, bei Ethylbenzol um das Zehnfache. Im Begleitausschuss erklärte Total dazu, dass die Havarie nur von kurzer Dauer gewesen sei und die Wasserqualität der Merle kaum beeinträchtigt wurde. Umweltschützer Bonnetier: „Anwohner hatten uns damals auf üble Gerüche aufmerksam gemacht."
Fraglich ist auch der Umgang der Plattform mit dem historischen Benzol-Erbe im Grundwasser (FORUM berichtete mehrfach). Nach Expertenschätzungen schwimmen schließlich bis zu 100 Tonnen krebserregendes Benzol unter der Plattform Carling, ein Erbe der alten Kokerei. Schon 2011 erinnerte das Straßburger Verwaltungsgericht den größten Plattformbetreiber Total daran, dass Studien eine „großflächige Ausbreitung" des Benzols ins Grundwasser außerhalb der Plattform belegt hätten. Das von der Firma angewandte Modell der „hydraulischen Kammer", bei dem das Benzol vereinfacht gesagt durch ständiges Pumpen an Ort und Stelle gehalten werden soll, sei „nicht ausreichend", um ein Ausbreiten der Verschmutzung zu verhindern, kritisierte auch die Präfektur wenig später.
Die behördlich angeordnete Benzol-Dekontaminierung ist bereits über ein Jahrzehnt verschleppt worden. Jean Marie Bonnetier befürchtet gar: „Die hydraulische Kammer wird so lange bestehen wie die Chemieplattform." Eilig haben es die Unternehmen damit scheinbar wirklich nicht. Arkema erklärt auf Anfrage, gemeinsam mit den anderen Unternehmen die „hydraulische Kammer" in Absprache mit der Dreal weiter zu betreiben. Total erinnerte daran, dass an insgesamt 55 Messpunkten die Höhe und Qualität des Bodenwassers gemessen werden könne. Somit könne eine Ausbreitung der Schadstoffe verhindert werden.
Mittlerweile beschäftige die Abteilung Dekontaminierung sechs Mitarbeiter, so Total. Testweise würden diese bereits Benzol und andere Schadstoffe aus dem Boden entfernen. Konkrete Zahlen nannte das Unternehmen allerdings nicht. Der Chemiekonzern unterstrich aber: „Im vergangenen Jahr haben wir sechs Millionen Euro für den Umweltschutz und die Bereinigung der Böden ausgegeben. In diesem Jahr ist dafür sogar ein Budget von sieben Millionen Euro vorgesehen." Ein Mentalitätswandel ist dennoch nicht zu erkennen: Im März dieses Jahres verhängte die Präfektur in Metz ein Bußgeld gegen Total. Es war herausgekommen, dass die Firma 24 Hochdruck-Rohre nicht wie vorgeschrieben kontrolliert hatte.
Auch kleinere Firmen in der Kritik
Wenn es um die Chemieplattform geht, stehen vor allem Total und Arkema im Zentrum der Kritik. Da fallen Versäumnisse kleinerer Firmen schon mal unter den Tisch. Dabei ist vor allem das Chemieunternehmen Protelor mit rund einem Dutzend Mitarbeitern den Umweltkontrolleuren immer wieder negativ aufgefallen. Im September vergangenen Jahres stellte die zuständige Präfektur in Metz einen Missstand in der Firma fest und verhängte eine Strafzahlung. Der Grund: Bereits vor fünf Jahren hatte die Behörde gefordert, ein Gas-Reservoir zu entleeren. Bei einer Kontrolle sei nun aufgefallen, dass das noch immer nicht passiert sei. Im Oktober monierten die Beamten dann, dass die von dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Gefahrenanalysen „nicht ausreichend" seien, um die von den Anlagen ausgehenden Risiken zu bewerten.
Seit Bestehen ist die Firma rund 20- mal wegen Umweltvergehen in Verzug gesetzt worden. Hier kommt nun eine Auswahl weiterer Kritikpunkte: Die Zusammenarbeit mit den Kontrollbehörden sei mangelhaft, es gebe Löcher im Dach eines Schadstofflagers, Löschwasseranlagen seien im Winter eingefroren und damit unbrauchbar und die Mitarbeiter für Krisensituationen nicht geschult. Die genannten Beispiele stammen allesamt aus den vergangenen zehn Jahren.
Das ist besonders erschreckend, wenn man bedenkt, was am 15. Juli 2009 geschah. Durch eine Explosion bei der Firma Total in Carling kamen an diesem Tag der 21-jährige Lehrling Maximilien Lemerre und der 28-jährige Arbeiter Jérôme Griffoul ums Leben. Jahre später verdonnerte ein Gericht das Unternehmen zu einer Geldbuße von 200.000 Euro. Die Richter kritisierten, dass die Firmenleitung trotz eines über die Maßen erhöhten Explosionsrisikos Sicherheitsroutinen schon vor Jahren abgeschafft hätten. Ihr Fazit: „Ein unentschuldbares Fehlverhalten".