Johnson und Salvini wollen mit Populismus und Nationalismus das Volk berauschen
Bundeskanzlerin Angela Merkel mag als Polit-Fossil mit unverrückbarem Ablauf-Datum gelten: Spätestens 2021 ist Schluss im Amt, ihre Gestaltungsmacht also begrenzt. Doch angesichts der Irrlichterei clownesker Politiker-Typen in den USA und in Europa erscheint Merkels unspektakulärer Trippelschritt-Kurs geradezu als Tugend. Die Kanzlerin verfolgt seit 2005 eine auslotende, auf Machbarkeit und Mehrheitsfähigkeit abzielende Kompromisslinie. Mit zwei Ausnahmen: Beim Aus für die Kernkraft nach dem Fukushima-Schock 2011 und bei der Willkommenspolitik im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 setzte Merkel auf schnelle Entscheidungen.
Das Gegenbild zur Berechenbarkeit der Kanzlerin ist derzeit in Großbritannien und Italien zu beobachten. In London schickte Premierminister Boris Johnson das Parlament in eine lange Zwangspause, weil es seine Marschroute eines harten Brexits mehrheitlich nicht teilt. In Rom hatte der ehemalige italienische Innenminister Matteo Salvini mehr als ein Jahr lang in einem beispiellosen Polit-Zirkus die Agenda bestimmt.
Der erratische Politikstil von US-Präsident Donald Trump ist damit in Europa angekommen. Der Trumpismus beruht auf drei Grundlagen. Erstens: Mit schrillem Egoismus versucht der Chef des Weißen Hauses, die politische Tagesordnung zu monopolisieren. Zweitens läuft Trump Sturm gegen die Institutionen. Er beleidigt die Opposition im Kongress, beschimpft die freie Presse und attackiert die unabhängige US-Notenbank. Drittens spielt Trump gnadenlos auf der Klaviatur von Populismus und Nationalismus. Er gaukelt seinen Landsleuten vor, mit einem Thema alle Probleme lösen zu können: „America First" – „America zuerst".
Das Trump-Muster dient auch als Blaupause für den britischen Regierungschef Boris Johnson. An Egozentrik lässt sich der 55-Jährige von niemandem überbieten. Bereits im Wahlkampf 2005 ging er mit dem bizarren Versprechen ins Rennen: „Wenn Sie konservativ wählen, wird das Ihren Frauen größere Brüste verschaffen und Ihre Chancen erhöhen, einen BMW zu gewinnen."
Noch bedenklicher ist allerdings Johnsons Brutalo-Taktik, das Parlament kaltzustellen. Die Zwangspause bis zum 14. Oktober soll die Volksvertretung lahmlegen, damit ein ungeregelter Brexit bis zum 31. Oktober durchgeboxt werden kann. Selbst das von der Queen unterzeichnete No-No-Deal-Gesetz, mit dem die Abgeordnetenkammer eine Verlängerung der Frist bis zum EU-Austritt Großbritanniens erreichen will, gilt nicht als sakrosankt. Man werde den Brexit mit der „Kettensäge" vollziehen, wird Johnsons Chefberater Dominic Cummings zitiert. Das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung steht zur Disposition.
Auch mit dem Fraktionsausschluss von gemäßigten konservativen Parlamentariern hat der Premier sein wahres Gesicht gezeigt. „Wer nicht für mich ist, ist wider mich", lautet das quasi-stalinistische Credo Johnsons. Derlei Säuberungsaktionen sind der Todesstoß für jede Debattenkultur, die dem demokratischen Willensbildungsprozess vorangeht.
Johnson hat nur ein Thema: Der Brexit soll sein Land zu einer neuen wirtschaftlichen und politischen Stärke führen. Dahinter steckt der nostalgische Traum von einer Renaissance des britischen Empires im 2.0-Format. Doch in Wahrheit ist es eine Flucht in die Vergangenheit, die den Grundsätzen einer auf Vernetzung ausgerichteten Welt der Globalisierung entgegenläuft.
Auch Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini trat mit seiner monothematischen Politik wie der Elefant im Porzellanladen auf. Seine radikale Abschottung gegen Flüchtlinge brachte ihm hohe Zustimmungsraten ein. Ansonsten hat er programmatisch nicht viel zu bieten. Wie Johnson trachtete er nach Neuwahlen – mit seinem Coup, die Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Giuseppe Conte zu beenden, verzockte er sich aber.
Trump, Johnson und Salvini sind rücksichtslose Vereinfacher. Sie verkaufen simple Lösungen für komplexe Probleme. Das Volk soll mit nationalistischen Heilsversprechen berauscht werden. Doch politischer und wirtschaftlicher Erfolg im 21. Jahrhundert funktioniert nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren: Da alles mit allem zusammenhängt, müssen auch die Interessen der anderen gewahrt werden. Merkel kämpft (noch) für diesen Multilateralismus. Den Populisten ist er ein Dorn im Auge.