Jenseits der Grenze zu Tschechien dehnt sich ein riesiges Braunkohlegebiet aus. Auch hier soll es irgendwann um den Abschied von der Kohle gehen, doch es wird noch lange dauern, bis die Region so weit ist.
Dichte Wälder, tief eingeschnittene Täler, Berge – wer über die Labe (tschechisch Elbe) mit einem Ausflugsdampfer in die Böhmische Schweiz reist, findet sich von viel Natur umgeben. Umso krasser der Kontrast, wenn man in die Region gelangt, die sich direkt anschließt: das nordböhmische Kohlebecken – schwer gebeutelt von Braunkohletagebau, Schwerindustrie und Luftverschmutzung. Hier wird ein Großteil der tschechischen Braunkohle abgebaut, hier befindet sich ein Zentrum der Energiegewinnung des Landes. Von der Förderung der Kohle über die Aufbereitung bis zum Verkauf von Koks und der Erzeugung von Strom ist alles in der Region konzentriert.
Eigentlich hat das nordwestliche Böhmen, tschechisch Ustecky kraj, die gleichen Probleme wie die Lausitz auf der anderen Seite der Grenze. Und doch kann man die Erfahrungen nicht einfach übertragen. Ustecky kraj hat 820.000 Einwohner (Lausitz gesamt: 1,3 Millionen), Usti nad Labem, Sitz der Regionalverwaltung, 95.000. Die Einwohner in dieser Region sind nach der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg hier angesiedelt worden – es gibt also keine ungebrochene Kontinuität des Bergbaus wie in der Lausitz.
Sechs Braunkohletagebaue und ebenso viele Kraftwerke, sowie das Heizen der Häuser mit Braunkohle haben zu einer Luftverschmutzung geführt, die für die Einwohner oft unerträglich wurde. 1995 gab es einmalig Fördermittel für die Nachrüstung der Dreckschleudern. Es hat nicht gereicht, die Luft ist immer noch schlecht. Bis heute setzt der Staat auf Kohle (49 Prozent) und Kernkraft (32 Prozent) bei der Stromerzeugung. In der Lausitz sind die Kraftwerke dagegen längst entstickt und entschwefelt.
Für eine Ausweitung der Förderung
Die Regionalregierung, die Gewerkschaft und die Kohlekonzerne drängen alle auf eine Ausweitung der Braunkohleförderung, obwohl zwischen 1960 und 1990 schon 110 Dörfer weggebaggert wurden. Bisher hat die nationale Regierung in Prag eine Ausweitung nur für eine Mine gewährt. 2020 soll erneut über eine Ausweitung entschieden werden. Klar ist schon jetzt, dass einige Minen bis 2040 und darüber hinaus betrieben werden sollen. Insgesamt geht man aber bei den nationalen und regionalen Regierungsstellen davon aus, dass die Arbeitsplätze im Braunkohlesektor in den kommenden Jahrzehnten weniger werden. Wie in Deutschland richtet man sich darauf ein, dass das Kohlezeitalter irgendwann zu Ende geht – zum Ausgleich setzt Tschechien aber auf Kernkraft. Die erneuerbaren Energien, die in Deutschland immer mehr zur Energiegewinnung beitragen, sollen bis 2030 erst einen Anteil von 15 Prozent am Gesamtverbrauch erreichen. Umweltschützer kritisieren, dass man durchaus mehr erreichen könne, wenn der Staat sie mehr fördere.
Eine Diskussion über einen ökonomischen Neuanfang in der Region in einem Café in Usti nad Labem gibt Eindrücke von den Problemen. Martin Mata, Direktor des Innovationszentrums für den Bezirk, Typ Manager, berichtet von seinen Erfahrungen aus anderen Regionen, wie zum Beispiel der Industriestadt Ostrawa im Nordosten Tschechiens, wo vor ein paar Jahren die letzte Steinkohlegrube zumachte. Dort sei der Strukturwandel gelungen, die Region habe ihr Image aufbessern können. In der Usti-Region aber wühle „jeder in seinem Sandkasten". Mata will die Akteure an einen Tisch bringen. Nur wenn sie in der Region gemeinsame Projekte auf die Beine stellten, würden auch die EU-Fördergelder ausgezahlt.
Grüne werden schlecht gemacht
Das scheint nicht so einfach zu sein, wie aus den Worten von Lukas Blazej hervorgeht. Die Interessengruppen seien untereinander zerstritten. Der junge Mann ist Umweltaktivist und Mitglied des Stadtrats von Usti nad Labem. Er sagt, das Image der erneuerbaren Energien sei schlecht, in der Öffentlichkeit werde den Grünen Meinungsmanipulation und Fanatismus vorgeworfen. Brüssel, also die EU, sei von Ökoterroristen besetzt, so die Verschwörungslegende. Erderwärmung und Treibhauseffekt seien für viele Menschen in der Region Fremdworte. In Usti herrsche nicht nur die niedrigste Lebenserwartung wegen der Umweltbelastung, die Region habe auch das niedrigste Bildungsniveau in Tschechien.
In Deutschland dagegen werde schon lange über die Energiewende gestritten. „Man kann die deutschen Modelle nicht auf Tschechien übertragen", sagt er. „Der Staat tut nichts für die Region, der Tourismus steht ganz unten in der Prioritätenliste, vielleicht sollte die EU hier eingreifen, um zumindest die Bevölkerung besser zu informieren."
„Wir müssen uns selbst mehr anstrengen", betont Mata, „sonst wandern die Menschen ab." Er will Autozulieferer in die Region holen. Eine Teststrecke für das autonome Fahren für einen deutschen Autohersteller gibt es schon. Litvinov, eine 24.000-Einwohner-Stadt in der Region, hat begonnen, sich zu wehren. Die Stadt ist von drei Tagebau-Löchern umgeben. 4.300 Arbeitsplätze hängen am Bergbau und der Chemieindustrie. Die Arbeitslosigkeit liegt bei sieben Prozent. Kamila Bláhová, die energische Bürgermeisterin, hat dafür gekämpft, dass inzwischen ein Großteil der Bürger eine Verlängerung des Bergbaus ablehnt.