Tausend Studenten im Hörsaal und ein Professor am Rednerpult? Im „dualen Studium" an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) ist so etwas längst überholt. Stattdessen kombiniert das Studium Theorie und Praxis.
Donnerstagmorgen im Bezirk Lichtenberg im Osten von Berlin. Die Sonne scheint, die Temperaturen sind angenehm warm. Doch die Stimmung an der Straße Alt-Friedrichsfelde ist eher trist. Acht Spuren Bundesstraße schlängeln sich hier durch in die Jahre gekommene Plattenbauten. Das angesagte Berlin mit seinen hippen Clubs, schicken Straßencafés und geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten scheint weit entfernt. Wer zur Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), Campus Lichtenberg will, nimmt am besten den Bus bis zur Haltestelle Bildungs- und Verwaltungszentrum – modern oder innovativ? Danach klingt das nicht.
Das ändert sich schlagartig beim Ortstermin in Gebäude fünf, Etage vier. Gut gelaunt öffnet Thorsten Kurzawa die Tür zu seinem Büro: „Kommen Sie rein, hier erfahren Sie, wie Studium im Jahr 2019 funktionieren kann!" Kurzawa muss es wissen. Er ist seit 1999 Professor und Dekan des Fachbereichs Duales Studium Wirtschaft und Technik an der HWR. „Bei uns sind Theorie an der Hochschule und Berufspraxis eng verzahnt", erklärt er. „Außerdem bieten wir eine kurze Studiendauer, Studienphasen im Wechsel mit Praxisphasen und kleine Lerngruppen." Auch für die Auswahl der Professoren und Dozenten gelten strenge Richtlinien. Kurzawa: „Wer bei uns Professor werden will, muss mindestens fünf Jahre Berufserfahrung nachweisen. Zusätzlich müssen die Kandidaten mindestens drei Jahre außerhalb einer Hochschule gearbeitet haben. Das garantiert Praxisbezug."
Strenge Richtlinien auch für Professoren
Praxisbezug, so wie ihn Frauen wie Silke Bustamante dann in die Hochschule mit einbringen: Nach Studium und Promotion arbeitete sie mehrere Jahre als Consultant bei einem der großen Unternehmen für strategische Unternehmensberatung. Heute ist sie an der HWR Berlin Professorin, Prodekanin und Fachleiterin Dienstleistungsmanagement. „Die Zeit der praktischen Berufserfahrung ist essenziell. Neben dem Wissen um Abläufe und Prozesse in Unternehmen knüpft man da ja auch umfangreiche Kontakte in die Industrie, die für unsere Arbeit extrem wichtig sind." Denn die gut 2.000 Studienplätze im dualen Studium werden in Kooperation mit rund 700 Unternehmen im ganzen Bundesgebiet vergeben. Dazu zählen unter anderem die Deutsche Bahn, die Berliner Flughäfen, Vattenfall oder Bombardier. Bustamante: „Auch die Studieninhalte werden eng mit den Unternehmen abgestimmt. Es ist ja wichtig, dass wissenschaftliche Arbeit und Praxis verzahnt sind."
Die Wirtschaft ihrerseits habe ohnehin großes Interesse daran, bei den Inhalten mitzusprechen, da sie die dualen Studiengänge gezielt zur Nachwuchsförderung einsetzt. Dekan Kurzawa: „Die dualen Studenten erhalten einen festen Studienvertrag bei den einzelnen Unternehmen und werden dann für diese Zeiten an der Hochschule freigestellt." Und es gebe einen weiteren Vorteil für Hochschule und Arbeitgeber. „Die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter fördern, suchen ja meist die kompetentesten heraus. Sie stehen mit beiden Beinen im Leben und haben eine hohe Kommunikations- und Sozialkompetenz."
Wie ein solches duales Studium konkret aussieht, erklärt Jörg Soller. Der 65-Jährige ist Professor für Tourismus-Betriebswirtschaft. „Das, was wir machen, hat mit einem Studium, wie man es von früher kennt, gar nichts mehr zu tun." Das beginne schon bei den Studienzeiten: „Unsere rund 30 Studentinnen und Studenten pro Jahrgang im Fachbereich Tourismus wechseln alle drei Monate zwischen Arbeit in der Praxis und Studium an der Hochschule. Und dabei legen wir auch in den Studienphasen extremen Wert auf Praxisbezug." Da könne es schon mal vorkommen, dass die Studierenden gar nicht an der Uni sind, sondern bei einem der zahlreichen Kooperationspartner aus der Tourismusbranche forschen und arbeiten. Wenn die Studierenden für den Verband Seenland Oder-Spree oder die Thermen in Bad Saarow zum Beispiel neue Marketingmaßnahmen entwickeln oder neue Hotelstandorte evaluieren, ist das natürlich ganz in deren Interesse. Und es ist konkrete Arbeit. Bei solchen Studienprojekten kommt Soller zugute, dass auch er vor seiner Berufung zum Professor in verschiedensten Führungspositionen in der Tourismusbranche gearbeitet hat. So ist er mit zahlreichen Führungskräften aus Hotels, Tourismusverbänden, Airlines und Reiseveranstaltern bestens vernetzt.
Alle drei Monate wird gewechselt
Am Ende sämtlicher Studiengänge haben die gut 2.000 Dual-Studierenden an der HWR Berlin nicht nur ihren Bachelorabschluss in der Tasche, sondern werden in aller Regel auch von den Unternehmen weiterbeschäftigt und können ihr Wissen gleich anwenden. „Viele von unseren ehemaligen Studenten arbeiten heute in Führungspositionen oder haben sich erfolgreich selbstständig gemacht", sagt Silke Bustamante.
Durch den ständigen Austausch zwischen der Hochschule und den Unternehmen verändern sich die Studiengänge an der HWR regelmäßig. Aktuelles Projekt: „Ab diesem Jahr bieten wir viele Studiengänge auch in englischer Sprache an", erzählt Jörg Soller. Damit seien die Studenten noch besser für den Arbeitsmarkt aufgestellt – gerade auch im Tourismus. „Viele Studierende zieht es aber auch einfach für Jobs in die weite Welt. So sind sie bestens gerüstet. Unser Studium im Bereich Tourismus trägt deshalb längst den Untertitel: Studierte Weltenbummler." Aber auch sonst versucht man an der HWR „am Puls der Zeit" zu bleiben. Silke Bustamante: „Wir haben den Berliner Dialog für Digitalisierung ins Leben gerufen." In diesem Gesprächskreis treffen sich Hochschullehrer, Experten und Vertreter der Unternehmen, um über Themen zu reden, die in der Zukunft in der Berufswelt wichtig werden. Bustamante: „Da kommen viele Impulse von der Industrie, die wissen ja am allerbesten, was für sie relevant wird. Und durch den Dialog gelingt es uns, neue Studieninhalte schnell zu integrieren. In aller Regel dauert dies nur ein bis zwei Jahre."
„Studierte Weltenbummler"
Auch wenn die dualen Studiengänge an der Hochschule für Wirtschaft und Recht längst zu den attraktivsten Studienangeboten in Berlin gehören, sollten Interessierte einiges bedenken. „Durch die kurze Studienzeit und den ständigen Wechsel zwischen Theorie und Praxis werden die Studenten natürlich ständig beansprucht", sagt Dekan Thorsten Kurzawa. „Man muss wissen, auf was man sich da einlässt. Außerdem sind gute mathematische Fähigkeiten in allen Bereichen von großer Bedeutung."
Wer sich dem Druck stellt, kann sich aber zumindest an der HWR Berlin auf ein „ganz besonderes Studienklima freuen". Silke Bustamante; „Wir stehen zu 100 Prozent hinter der Idee. Und alle Professoren hier brennen für ihren Job!"