Schulabschluss in der Tasche – und dann? Viele Jugendliche schwanken zwischen Angst und Überangebot, denn der Spieß hat sich inzwischen umgedreht: Betriebe und Hochschulen werben um Azubis und Studenten, wie auf der Messe „Job4u" in Bremerhaven.
Eigentlich ist so ein Samstagvormittag, an dem die Sonne vom Himmel über Bremerhaven brennt, kein Tag, um sich ernste Gedanken um Berufsaussichten zu machen. Eigentlich sollte man ans Meer fahren oder irgendwo im Schatten chillen. Der nüchterne Funktionsbau der Stadthalle taugt auch kaum zur Partymeile, aber es hilft ja alles nichts: Nur ein Mal im Jahr haben Schüler und Abiturienten in dieser abseits gelegenen Ecke der Republik die Möglichkeit, in direktem Kontakt mit kleineren und größeren Unternehmen ihre künftigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erkunden. Die Agentur für Arbeit dagegen hat schlechte Karten, sie riecht nach Hartz IV und Antragsformularen, vielleicht auch nur ein Vorurteil. Lokale Zeitungen, Radio Bremen und zahlreiche Firmen, die den Verein „Job4u" – übersetzt: ein Job für dich – tragen und finanzieren, haben für diese Messe in den Tagen davor ordentlich getrommelt. Kein Wunder. Wirtschaft, Behörden, Universitäten und Dienstleister suchen dringend junge, qualifizierte Arbeitskräfte und wollen sie dauerhaft in der Region halten. Doch weil die jungen Leute immer weniger konkrete Vorstellungen davon haben, was sie einmal werden wollen, und sich wenig um ihre berufliche Zukunft kümmern, war es eben der Verein, der ab 2009 im Nordwesten die Initiative ergriff.
Cool und lässig schlendern Gruppen von Jungen und Mädchen, mehrheitlich zwischen 16 und 19 Jahren alt, einem Seiteneingang der Stadthalle zu. Gefragt, ob sie denn vielleicht schon konkrete Vorstellungen und Absichten haben, bleiben die Antworten meist äußerst vage: ein bisschen gucken, mal paar Infos mitnehmen, irgendwas machen mit …
Hängenbleiben im „Hotel Mama"
Damit kommen sie aber nicht weit, wenn sie Iris Krause (56) in Empfang nimmt. Schon am Eingang erwartet die quirlig-resolute, stets freundlich lächelnde Vorsitzende von „Job4u" die Jugendlichen, um ihnen zu zeigen, wo es langgeht. „So, du spielst Fußball? Dann könntest du sicher auch gut ein Teamplayer sein", sagt sie. „Abi in der Tasche und jetzt studieren? Wofür interessierst du dich denn?" An ihr kommt keiner vorbei, ohne einen Lageplan der Aussteller oder einen konkreten Tipp bekommen zu haben. Mit circa 1.500 Besuchern rechnet sie an diesem Morgen, knapp die Hälfte davon sind Abiturienten aus Bremerhaven und dem weiträumigen Einzugsgebiet. Gerade die haben heutzutage die meisten Probleme. „Wenn man sieht, wie heute die Abi-Bälle als besondere Zeremonie für einen neuen Lebensabschnitt inszeniert werden, dann ahnt man, was Eltern, Lehrer und Mitschüler von ihnen erwarten. Sie stehen unter Druck, wollen niemanden enttäuschen und wurden sehr stark auf ein künftiges Studium getrimmt. Aber sie wissen eigentlich noch gar nicht, was sie wollen. Sie haben bei der Vielzahl der Studiengänge – etwa 9.000 gibt es mit Bachelorabschluss – keinen wirklichen Durchblick; und sie haben Angst zu scheitern. Also fällen viele von ihnen erst einmal gar keine Entscheidung und versuchen, ihr Dilemma irgendwie auszusitzen." Aber lamentieren gilt nicht. Im Zweifelsfall schiebt Iris Krause die Zögerlichen durch den düsteren Eingangstunnel direkt in die Messehalle.
Wo sonst bis zu 6.000 Zuschauer das Oktoberfest feiern oder das Irish Folk Festival besuchen können, haben an diesem Vormittag mittlere Betriebe ebenso wie Global Player ihre Stände aufgeschlagen: Aldi, Bundeswehr, Daimler, Eurogate, das Oberlandesgericht Celle – bis hin zu den Norddeutschen Seekabelwerken. Wer Ausbildung, Studium und Jobs sucht – hier wird er fündig.
In kleineren und größeren Gruppen schlendern die Jugendlichen durch die breiten Gänge, umrunden Stelltafeln, sacken Broschüren und Flyer ein. Manch einer der Aussteller scheint nicht weniger verunsichert als das junge Publikum. Er beobachtet und wartet ab. So aber wird das nichts mit einem erfolgreichen Anwerbungsgespräch, der zögernde Personalleiter ist fehl am Platz. Es sind Azubis und Studenten, die für ihren Betrieb und ihre Hochschule Werbung machen – sie sprechen die gleiche Sprache, verstehen die Fragen und gehen auf ihre Altersgenossen zu. Besonders taff agieren hier die jungen Frauen. Iris Krause weiß, warum: „Gerade unter den früheren Abiturienten gibt es leistungsstarke Frauen. Während die jungen Männer im Zweifelsfall so lange wie möglich im Hotel Mama hängen bleiben, haben die Mädchen irgendwann ein klares Ziel vor Augen. Die wollen was erreichen."
Frederieke Schons ist so eine. Das spürt man. Vorbeitrödelnden schenkt sie ein einladendes Lächeln, mit zwei Kommilitoninnen wirbt die 22-jährige Architekturstudenten für ihre Hochschule. Auch sie hat nach dem Abi rumgehangen, da war der Studienbeginn dann eine sehr gute Sache. „Ich habe das Gefühl, zu einer Generation zu gehören, die kein Ziel hat. Daran hapert es extrem. Wir haben eben alles. Selbst wenn ich nur chille, habe ich alles, was ich brauche." Auch ihr Weg an die Hochschule war nicht gradlinig: Nach dem Abitur reiste und arbeite sie ein halbes Jahr in Neuseeland, entdeckte ihre Freude an handwerklicher Arbeit und bewarb sich nach ihrer Rückkehr um eine Tischlerlehre. Mit einem Abi-Schnitt von 2,2 galt sie aber als überqualifiziert, und außerdem hatte sie das Gefühl, das falsche Geschlecht zu haben. Man habe sich für einen anderen Mitbewerber entschieden, hieß es lapidar in der Absage. Der sanfte Druck der Eltern, nun mal loszulegen und was zu machen, wurde stärker. Ihr wurde klar: „Es ist wichtig, Dinge einfach mal anzufangen und was zu machen und keine Sorgen zu haben, was passiert, wenn es vielleicht nicht klappt." Zusätzlich zum Faltblatt, das an sie an ihrem Stand den Jugendlichen in die Hand drückt, gibt sie den Orientierungslosen drei Ratschläge: „Erstens: Ignoriere deine Eltern und mach, worauf du selber Lust hast. Zweitens: Verlass dein Elternhaus, schau über den Tellerrand und probier was Neues aus! Drittens: Guck dir meine Hochschule an. Sie bietet viele Möglichkeiten und bietet dir Einblick in das, was dich erwartet."
„Dinge einfach mal Anfangen!"
Dass nach dem Abitur nicht zwangsläufig ein Studium folgen muss, davon versucht Isa Kuhlmann die Besucher der Jobmesse an diesem Vormittag zu überzeugen. Ihr Unternehmen bildet Gärtner aus, Umwelt, Natur, Nachhaltigkeit; das sollte eigentlich reizvoll sein. Doch bislang haben sich erst drei Jugendliche für ein Praktikum angemeldet. Und immer wieder macht sie auf solchen Messen die gleiche Erfahrung: „Wenn die jungen Leute in Begleitung ihrer Eltern hier vorbeikommen und gucken, sind es die Eltern, die sie von unserem Stand gleich wieder wegziehen. Gärtnern: Das ist nichts Ordentliches, meinen sie, körperlich zu anstrengend. Ihre Kinder sollen lieber einen sauberen Beruf haben, schnell ins Studium, schnell viel Geld und am besten gleich auf den Chefsessel." Sie schüttelt den Kopf. „Den Schulen fehlt die Vernetzung mit der Wirtschaft und den kleinen und mittleren Betrieben. Das Schulsystem ist eigentlich nur auf Akademisierung ausgerichtet, und die jungen Leute sind einfach zu satt. Die fallen immer weich, und gerade die Abiturienten informieren sich nicht über die Möglichkeiten in den Betrieben." Isa Kuhlmann klingt fast ein wenig verzweifelt. „Abiturienten haben bei uns eine immense Bandbreite an Weiterbildungsmöglichkeiten. Innerhalb kurzer Zeit haben sie die gleichen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten wie mit einem Bachelorabschluss." Aber ihr Betrieb wird auch weiterhin auf der Messe vertreten sein. „Wenn wir überhaupt Auszubildende gewinnen, dann zu 85 Prozent über solche Veranstaltungen."
Als sich die Stadthalle am späten Mittag langsam leert, knallt noch immer die Sonne vom Himmel. Höchste Zeit zum Chillen. Auch Iris Krause und Karoline Jerg packen ihren Stand zusammen. Und schon in nur wenigen Wochen steht die nächste Messe auf dem Programm. Die findet dann im niedersächsichen Oldenburg statt, und auch dort suchen Unis und Firmen nach geeigneten Bewerbern.