Franz von Papen ist eine bis heute umstrittene Persönlichkeit der deutschen Geschichte. Er war Reichskanzler der Weimarer Republik, wenngleich er kein Freund der Demokratie war. Und er ebnete Adolf Hitler und dessen NSDAP den Weg zur Macht.
Als Adeliger und Monarchist bekämpfte Franz von Papen die Weimarer Republik, scheiterte nach einem kurzen Intermezzo als Regierungschef und ebnete dem Anführer der Nationalsozialisten den Weg ins Kanzleramt. Er diente dem Hitler-Regime über die Ermordung enger Mitarbeiter hinaus und widersprach auch nicht den Judendeportationen. Nach Kriegsende gerierte er sich dennoch vor Gericht – selbstgerecht und ohne Schuldbewusstsein – als Vertreter des „anderen Deutschland". Franz von Papen war ein Opportunist von bemerkenswertem politischem Unverstand, wie es der Historiker Rudolf Morsey formulierte. Sein folgenreichstes Fehlurteil war der Irrglaube, einen Reichskanzler Adolf Hitler „zähmen" zu können.
Franz von Papen stammte aus altem westfälischem Adel. Er durchlief eine Ausbildung zum Berufsoffizier und heiratete eine Erbin der saarländischen Keramik-Dynastie Villeroy & Boch. Das verschaffte ihm beträchtlichen Reichtum, gute Kontakte zur Schwerindustrie und die finanzielle Unabhängigkeit, seiner Leidenschaft für den Pferdesport zu frönen. Darum verspottete man den Politiker später als „Herrenreiter". Von Papen bekannte sich zum Reitsport als Schule politischer Charakterbildung. Als ob, wie Joachim C. Fest anmerkte, „eine Schwierigkeit, gleich einem Hindernis, schon überwunden sei, wenn man nur flott und beherzt darüber hinwegsetze."
Von 1913 bis 1915 wirkte von Papen als Militärattaché in Washington, dann fand er militärische Verwendung an der Westfront und in der Türkei. 1919 nahm er als Oberstleutnant seinen Abschied aus der Armee. Nun bewirtschaftete er ein gepachtetes Gut in Westfalen und engagierte sich in der katholischen Zentrumspartei, wo er als preußischer Landtagsabgeordneter bis Sommer 1932 eine Außenseiterrolle spielte.
Keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung
Von Papen predigte wie viele seiner konservativ-agrarischen Standesgenossen die Rückkehr zum untergegangenen Kaiserreich. Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 votierte er gegen den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx und für den erzkonservativen, aber populären Feldmarschall aus dem Ersten Weltkrieg, Paul von Hindenburg. Der siegte, wurde 1932 wiedergewählt und übertrug am 30. Januar 1933 Adolf Hitler das Kanzleramt. Papens große Stunde hatte am 2. Juni 1932 geschlagen, als ihn Reichspräsident Hindenburg überraschend und zum Entsetzen der Zentrumspartei zum Reichskanzler ernannte.
Der breiten Öffentlichkeit war der damals 53-jährige Westfale so gut wie unbekannt. Man wusste lediglich, dass er Titel und adelige Etikette schätzte, antidemokratisch eingestellt war und zur Selbstüberschätzung neigte. Papens Förderer war sein alter Militärkamerad General Kurt von Schleicher, der damals einflussreichste Berater Hindenburgs. Freunden gegenüber räumte der Kanzlermacher ein, Papen sei zwar „kein Kopf, aber ein Hut." Man glaubte, in ihm ein gefügiges Werkzeug für die eigenen Pläne gefunden zu haben, für den Zusammenschluss der „nationalen Rechten" – einschließlich der NSDAP – und den Umbau der Republik zu einem autoritären Staat.
Es gelang Papen jedoch nicht, das Zentrum einzubinden. Durch Austritt kam er dem Ausschluss aus seiner Partei zuvor. Papens „Kabinett der Barone", ausschließlich aus Deutschnationalen und parteilosen Konservativen bestehend, war allein von der Gunst des Reichspräsidenten abhängig. Es besaß keine Bindungen zum Reichstag, keinen Rückhalt in der Bevölkerung, kurz: „Eine Regierung ohne Volk", wie Morsey es nennt.
Die Regierung sah sich mit enormen Problemen – etwa Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit – konfrontiert, derer sie nicht Herr wurde. Nutznießer waren die Republikfeinde links (KPD) und rechts (NSDAP). Papen hob das von seinem Amtsvorgänger Brüning verfügte SA- und SS-Verbot auf. Dies verschärfte das innenpolitische Klima. Das erhoffte Entgegenkommen der Hitlerpartei blieb aus. Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen forderten in den ersten acht Monaten des Jahres 1932 an die 155 Todesopfer. Auch das von Brüning vorbereitete Ende der Reparationszahlungen am 8. Juli 1932 konnte den Vormarsch der NSDAP nicht bremsen.
Seit Juli 1932 verfügte die Partei über 230 statt bisher 107 Reichstagssitze. Und Papens Staatsstreichplan – Verfassungsbruch durch Ausschaltung des Reichstags – scheiterte, weil Schleicher fürchtete, die Reichswehr könne in einen Bürgerkrieg verwickelt werden. Kurt von Schleicher, der bisher die Fäden gezogen hatte, übernahm nun selbst die Regierung. Papen reagierte tief gekränkt und nutzte seinen unverminderten Einfluss am Präsidentenhof, indem er in Geheimgesprächen der Übernahme der Kanzlerschaft durch Hitler den Weg ebnete.
Fehlende politische Intelligenz?
Am 30. Januar 1933 wurde dieser zum Reichskanzler ernannt. Papen sollte als Vizekanzler die Rolle des „Bremsers und Aufpassers" (Morsey) übernehmen. Sein Plan war, Hitler durch die konservative Mehrheit in seinem ersten elfköpfigen Kabinett, dem nur drei Nationalsozialisten angehörten, „einzurahmen" und zu zähmen, die Macht aber selbst auszuüben. Papen selbstbewusst: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht." Ein grandioser Irrtum. Hitler steuerte zielstrebig und rücksichtslos die Diktatur an. Im „Ermächtigungsgesetz" vom 23. März 1933 entmachtete der Reichstag sich selbst und versetzte der Republik den Todesstoß. Der Historiker Rudolf Morsey hält es nur für „schwer glaubhaft", dass von Papen die Zielsetzungen Hitlers nicht erkannt habe, will es aber angesichts seiner „unterentwickelten politischen Intelligenz" nicht ganz ausschließen. Die Konservativen in Hitlers Kabinett sahen sich sehr bald an den Rand gedrängt.
Das vom Vizekanzler ausgehandelte Reichskonkordat mit dem Vatikan vom 20. Juli 1933 war ein Achtungserfolg für die Regierung. Die Vizekanzlei half in zahlreichen Einzelfällen verfolgten und bedrängten Regimegegnern. Dies war Morsey zufolge weniger ein Verdienst Papens als das seiner wenigen Mitarbeiter.
Einer von ihnen war der Rechtsanwalt Edgar J. Jung. Er hatte von Papens berühmte Marburger Rede vom 17. Juni 1934 verfasst. Diese setzte der von Teilen der NS-Basis geforderten „zweiten Revolution" das Konzept der „konservativen Revolution" entgegen. An die Stelle der parlamentarischen Demokratie mit ihrer angeblichen „Herrschaft der Minderwertigen" sollte die Herrschaft der Eliten treten. Bei der Gelegenheit geißelte Papen zwar auch Ausschreitungen von Parteigängern des NS-Regimes, übte aber keine Kritik an Hitler selbst.
Die Rede hatte blutige Folgen. Papens Ghostwriter Edgar J. Jung, wurde – wie auch sein Pressechef Herbert von Bose – Ende Juni 1934 im Zuge der Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putschs ermordet. Papen selbst stand einige Tage unter Arrest, legte sein Amt als Vizekanzler nieder, blieb aber weiterhin in Hitlers Diensten: Zunächst als Sondergesandter in Wien, wo er den 1938 erfolgten „Anschluss" der Alpenrepublik vorbereitete und dafür mit dem „Goldenen Parteiabzeichen der NSDAP" geehrt wurde, dann 1939 als Botschafter in Ankara.
Nach dem Krieg behauptete von Papen vor dem Nürnberger Tribunal, 10.000 Juden aus der Türkei in Frankreich vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrt zu haben. Dem widerspricht von Papens Biograf Reiner Möckelmann: „Kein einziges Mal" habe sich dieser gegen solche oder ähnliche Maßnahmen gewandt. Schlimmer noch, er befürwortete sogar mehrfach eine pauschale Ausbürgerung türkischer Juden. Das hätte diese ihres letzten völkerrechtlichen Schutzes beraubt und dem Verderben ausgeliefert.
In Wallerfangen im Saarland begraben
Papens Diplomatenzeit endete 1944 in der Türkei. Er stand auf der 400 Namen umfassenden „Liste der führenden Nazis", die 1942 für US-Präsident Roosevelt erstellt worden war. Im April 1945 wurde der Mitakteur des NS-Regimes von amerikanischen Truppen in Westfalen verhaftet. Beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde Papen zwar freigesprochen, im anschließenden Spruchkammerverfahren jedoch verurteilt: zu achtjähriger Lagerarbeit, zum Vermögenseinzug und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.
Nach Abmilderung dieser Strafe 1949 verbrachte Franz von Papen die zwei letzten Jahrzehnte seines Lebens im badischen Obersasbach als freier Mann. Seine überwiegend negativ aufgenommenen Memoiren („Der Wahrheit eine Gasse", München 1952), nannte der Politikwissenschaftler und Historiker Karl Dietrich Bracher ein „penetrantes Rechtsfertigungsbuch". Franz von Papen starb am 2. Mai 1969. Er wurde in Wallerfangen/Saar beigesetzt. Seine öffentlichen Auftritte als Buchautor, bei Pferderennen und Katholikentagen hinterließen bis zuletzt den faden Beigeschmack eines geltungssüchtigen Menschen ohne Einsicht in eigenes politisches und moralisches Versagen.