Melanie Mittermaier ist Affären-Managerin: Die 45-Jährige aus dem bayerischen Bad Aibling hilft zum Beispiel Menschen, die betrogen wurden. Ein Seitensprung hat ihrer Meinung nach nicht unbedingt immer etwas mit Sex zu tun.
Frau Mittermaier, wofür braucht es eine Affären-Managerin?
Weil die meisten Menschen nie gelernt haben, wie man mit einer Affäre umgehen kann. Die meisten Paare hoffen, dass das Thema Fremdgehen in ihrer Beziehung nie aktuell wird und reden deshalb auch nicht darüber – was zur Folge hat, dass es sie kalt erwischt, wenn es dann doch dazu kommt. Zu mir kommen Menschen, die entweder kurz davor sind, eine Affäre zu beginnen, oder schon mittendrin stecken, oder die nach einer Affäre vor den Trümmern ihrer Ehe stehen. Ich höre dann oft: „Ach, hätte mein Partner doch vorher etwas gesagt." Aber in vielen Beziehungen gibt es diesen Spielraum gar nicht – stattdessen heißt es von vornherein: Wenn du mich betrügst, verlasse ich dich. Mein Tipp lautet deshalb, offen über die Möglichkeit zu sprechen, dass einer der beiden Partner fremdgeht und wie man mit einer solchen Situation umgehen würde. Eine offene Beziehung ist sicher nicht für jeden das richtige. Aber eine gewisse Offenheit im Kopf sollte jeder mitbringen.
Sie haben in einem Interview einmal gesagt, eine Affäre anzufangen, sei leichter, als eine Beziehung zu entwickeln. Weil es dabei hauptsächlich um den Sex geht?
Eine neue Liebe fällt immer leichter, weil uns die Hormone dabei unterstützen und der Sex wie von selbst leidenschaftlich und häufig stattfindet. Das gilt entsprechend natürlich auch für eine Affäre. Eine langjährige Beziehung und eine erfüllte Sexualität über Jahre hinweg weiterzuentwickeln und zu pflegen, ist dagegen bedeutend schwieriger, weil man sich dafür mit seinem Partner auseinandersetzen muss. Im Übrigen geht es bei einer Affäre aber nicht nur um sexuelle Bedürfnisse.
Warum suchen Menschen denn ansonsten eine Affäre?
Natürlich gibt es die Fälle, in denen jemand einfach sexuell frustriert ist. Aber die Gründe sind vielfältig und liegen oft sehr viel tiefer. Das kann der Wunsch nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung sein oder nach mehr Wertschätzung für die Arbeit, die man im Haushalt leistet. Aber es kann auch eine Identitätskrise dahinterstecken, wenn zum Beispiel jemand gerade seine Firma verloren hat oder der Job einen anderweitig nicht ausfüllt. Es geht also oft nicht nur ums Vögeln, sondern um ganz andere Bedürfnisse. Doch anstatt diese mit sich selbst und mit dem Partner zu klären, suchen viele stattdessen den Ausweg durch die Hintertür und stürzen sich in eine Affäre.
Machen Sie einen Unterschied zwischen Fremdgehen und einer Affäre?
Das Fremdgehen beginnt schon beim klassischen Seitensprung. Aber solange es eine einmalige Sache bleibt und dem Partner womöglich auch gleich gebeichtet wird, ist das noch lange keine Affäre. Eine Affäre hat drei wesentliche Merkmale: Sie ist heimlich; es besteht eine sexuelle Anziehung zwischen den beteiligten Personen; und es besteht vor allem auch eine emotionale Bindung. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass der Gang zu einer Prostituierten keine Affäre ist.
Das klassische Bild von einer Affäre sind ja zwei Arbeitskollegen, die beruflich ständig miteinander zu tun haben und sich irgendwann auch privat näherkommen. Oder noch klischeehafter: der Chef und seine Sekretärin. Ist der Arbeitsplatz ein Ort, an dem besonders häufig Affären beginnen?
Ja, das ist tatsächlich so. Die Menschen verbringen sehr viel Zeit am Arbeitsplatz, und es kann sein, dass sogar mehr Zeit mit Vorgesetzten oder Kollegen verbracht wird, als mit dem eigenen Partner. Gerade dort kann man sich sehr intensiv kennenlernen und eben auch verlieben. Zudem bietet die Arbeit viele Möglichkeiten, um Zeit zu „vertuschen", Geschäftsreisen vorzutäuschen (oder auch wirklich zu verbringen) und somit eine Affäre leichter geheim zu halten.
Gehen Männer häufiger fremd als Frauen?
Mittlerweile gibt es da zwischen den Geschlechtern keine allzu großen Unterschiede mehr. Seit die Frauen nicht mehr nur zu Hause bei den Kindern bleiben, sondern selbst arbeiten gehen und somit stärker am gesellschaftlichen Leben teilhaben, sind sie selbstbewusster geworden und gehen inzwischen genauso fremd wie die Männer. Bei den Frauen ist das allerdings noch ein relativ junges Phänomen, das jedoch zunimmt, während Männer schon seit Tausenden von Jahren fremdgegangen sind. Vielleicht wird eine Affäre von Männern deshalb auch immer noch eher als Kavaliersdelikt bewertet, während Frauen dafür allgemein nur wenig Verständnis entgegengebracht wird.
Männer sind beim Fremdgehen auf sexuelle Befriedigung aus, Frauen auf emotionale Erfüllung – ist das Wahrheit oder ein Klischee?
Ich erlebe tatsächlich, dass Frauen häufiger sagen, dass sie in einer Affäre nicht nur gevögelt werden wollen, sondern wirklich geliebt. Ich kenne viele Affären, bei denen sich die Frau da deutlich stärker hineingesteigert hat als der Mann. So war es auch bei mir persönlich. Ich bin eigentlich glücklich verheiratet, aber dann habe ich mich eines Tages doch in jemand anderen verliebt. Also so richtig, sodass man nicht mehr essen, nicht mehr schlafen und nicht mehr klar denken kann. Das war überhaupt erst der Anstoß, mich stärker mit dem Thema zu befassen.
Was ist damals in Ihrem Kopf vorgegangen?
Das war ein Gefühl von innerer Zerrissenheit. Auf der einen Seite die Sehnsucht nach dieser neuen Person, auf der anderen das schlechte Gewissen meinem langjährigen Partner gegenüber. Ich wollte meine Bedürfnisse ausleben, aber konnte sie mir gleichzeitig nicht eingestehen. Heute weiß ich, dass das ganz natürlich ist. Verliebtheit und Liebe passieren in ganz unterschiedlichen Gehirnregionen. Man kann sich also neu verlieben und gleichzeitig seinen Partner weiter lieben. Und nicht jede Liebe ist dazu gedacht, um ausgelebt zu werden.
Wer selbst betrogen wurde, sieht das eventuell anders. Bekommen Sie eigentlich viele Briefe von wütenden Ehemännern und Ehefrauen, die von ihrem Partner hintergangen wurden?
Das kommt schon manchmal vor. Allgemein sind Affären in unserer Gesellschaft immer noch verpönt. Viele Leute machen sich gar nicht erst die Mühe, hinter die Kulissen zu blicken und das ganze Bild zu betrachten. Das Opfer einer Affäre muss nämlich nicht unbedingt auch das Opfer in der Beziehung gewesen sein. Ich habe schon etliche Fälle erlebt, bei denen ich mir gedacht habe, dass es gute Gründe gab, den Partner zu betrügen. Aber die meisten Nachrichten, die ich bekomme, fallen doch eher positiv aus. Viele Paare schreiben mir, dass sie das Thema dank meiner Beratung jetzt mit ganz anderen Augen betrachten.
Hat eine Affäre demnach vielleicht sogar eine heilende Wirkung für eine kaputte Beziehung?
Für mich ist eine aufgeflogene Affäre wie kaltes Wasser ins Gesicht, wenn jemand schläft. Und manchmal braucht es das eben, um zu erkennen, was in einer Beziehung zum Teil seit Jahren falsch läuft. Das ist wie mit dem Benzinpreis: Solange dieser immer nur um einen Cent erhöht wird, gewöhnt man sich daran und fährt trotzdem weiter Auto wie bisher. Erst wenn er über Nacht auf einmal um zehn Euro steigen würde, sind wir auf einmal hellwach und protestieren. Und genauso ist es in einer Beziehung: Auch da scheint es irgendwann selbstverständlich, dass der Partner da ist. Die Leidenschaft verschwindet, man hört auf sich zu umwerben, meidet das Gespräch. Und erst nachdem eine Affäre auffliegt, wird plötzlich wieder vieles möglich, was vorher gefehlt hat: guter Sex, gute Gespräche, eine gewisse Innigkeit in der Beziehung. Der Partner wird wieder stärker begehrt, weil man erkennt, dass er eben nicht selbstverständlich ist, sondern auch weg sein kann. Wenn zwei Menschen es schaffen, eine Affäre jenseits aller Moral zu betrachten, kann ihre Partnerschaft deshalb sehr wohl davon profitieren.