Ferrari-Doppelsieg in Singapur mit der Wiederauferstehung von Sebastian Vettel, Mercedes-Doppelschlag in Russland mit Sotschi-Zar Lewis Hamilton – die Formel 1 bot vor dem Japan-GP am Sonntag beste Unterhaltung mit Taktik-Theater und Funk-Farce.
Um Sebastian (Vettel, Anm. d. Red.) braucht man sich keine Sorgen zu machen. Der wird noch in diesem Jahr stark zurückkommen. Das Fahren hat er jedenfalls nicht verlernt. Wer viermal Weltmeister war, der hat gezeigt, was er kann." Klaus Ludwig weiß, was er sagt und wovon er spricht. Der Rheinländer, der am 5. Oktober 70 Jahre alt wurde, ist Deutschlands erfolgreichster Allround-Pilot. Im Telefongespräch mit dem FORUM-Autor machte der Bonner klar, dass man einen Fahrer vom Kaliber eines Sebastian Vettel nicht abschreiben darf und auf der Rechnung haben muss, auch wenn es bei dem Ferrari-Piloten in dieser Saison nicht immer gut gelaufen ist und das springende Pferd öfters bockte. „Aber er wird auf die Siegerstraße zurückfinden", prophezeite Ludwig vor dem Rennen in Singapur. Und er sollte Recht behalten.
In der Tat, Sebastian Vettel ist beim Flutlicht-Krimi in dem Stadtstaat der ersehnte Befreiungsschlag gelungen. 392 Tage nach seinem letzten Sieg (26. August 2018 in Belgien) beendete der viermalige Weltmeister seine Endlos-Durststrecke. Nebenbei bemerkt: Mit 23 sieglosen Rennen endete Vettels zweitlängste Erfolglosigkeit. Bereits in der Saison 2016 wartete er vergebens auf einen Triumph. 27 Rennen dauerte es von Singapur 2015 bis Australien 2017. Mit dem nötigen strategischen Glück und seinem fünften Erfolg auf dem Marina Bay Circuit in Singapur hat es der Deutsche seinen Kritikern gezeigt. Nicht wenige hatten ihn schon als Nummer zwei bei Ferrari abgestempelt, nachdem Team-Kollege Charles Leclerc in Spa und Monza zwei Siege in Folge eingefahren hatte.
„Die letzten Wochen waren nicht einfach"
Sehr befriedigend war der 53. Sieg für Vettel allerdings nicht. Der Ferrari-Pilot ist Realist und weiß: „Man muss den Glauben an sich selbst behalten. Die letzten Wochen waren nicht ganz so einfach für mich. Ich habe viel Energie aus der Unterstützung und den Aufmunterungen der Fans gezogen. Aber ich habe auch nicht an mir gezweifelt, es ist ja nicht das erste Mal, dass ich da durch musste oder muss. Wird wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal sein, das ist Teil des Spiels." Eine Selbsterkenntnis, die aufhorchen lässt. Er habe immer den Anspruch, ganz vorn zu sein und die besten Leistungen abzuliefern. „Und wenn das nicht klappt, dann ist es auch in Ordnung, wenn man mich kritisiert", erklärte der Singapur-Sieger und stellte klar, dass er in den vergangenen Wochen „insgesamt" kein großes Problem gehabt habe. Sein Stallgefährte Charles Leclerc, der Ferrari mit Platz zwei den ersten Doppelsieg seit dem Ungarn-GP 2017 bescherte (damals gewann Vettel vor Ferrari-Teamkollege Kimi Räikkönen), hatte allerdings ein Problem – zwar ebenfalls nicht in den vergangenen Wochen, doch aber mit und nach Platz zwei.
Gestärkt und mit viel Rückenwind nach seinem Premieresieg in Belgien und dem anschließenden Erfolg im Vollgas-Tempel Monza, präsentierte sich der 21-Jährige angriffslustig in Singapur. Der Ferrari-Kronprinz wollte unbedingt seinen dritten Triumph in Folge. Die Chancen auf dieses Vorhaben standen als Polesetter (der Fahrer, der vom vordersten Platz startet) gut. Doch die Ferrari-Strategen machten ihrem Wunderknaben dann einen Strich durch die Rechnung. Der Monegasse fühlte sich von seinem Kommandostand hintergangen, zumal er bis zu seinem Boxenstopp das Feld anführte. Leclerc ging davon aus, dass er vor Vettel an die Box beordert wird. In der Regel bekommt das erste Auto die bessere Strategie. Doch mit Vettels vorgezogenem Reifenwechsel lotsten die Strategen den Heppenheimer zum Sieg. „Was zur Hölle soll das", polterte Leclerc am Funk. „Ich verstehe diese Strategie überhaupt nicht", beschwerte er sich bei seiner Box. Widerwillig hielt sich der Heißsporn an die Anweisungen, „nichts Dummes" zu tun. „Aber ich brauche schon noch ein paar Erklärungen, warum diese Entscheidung getroffen wurde", forderte der rote Kronprinz. Der enttäuschte Leclerc: „Wir hatten die Strategie vorab festgelegt, und ich habe mich an den Plan gehalten. Aber manchmal geht es eben so. Es ist immer schwierig, einen Sieg zu verlieren, aber unterm Strich ist es ein Doppelerfolg und darüber freue ich mich." Vettel machte dem schmollenden Jungstar unmissverständlich klar: „Du irrst dich gewaltig, bist auf dem Holzweg wenn du jemals denkst, dass du größer als dieses Team bist."
Mercedes war auf dem winkligen Kurs mit seinen 23 Kurven der Favorit, hatte sich aber mit einer fehlerhaften Taktik verzockt. Lewis Hamilton wurde hinter Max Verstappen (Red Bull) Vierter, Valtteri Bottas im zweiten Mercedes Fünfter. So reiste Sebastian Vettel nach seiner etwas glücklichen Wiederauferstehung mit der besseren Strategie nach seinem fünften Singapur-Sieg (Hamilton hat vier) als alleiniger Rekordhalter bei der Mutter aller Flutlichtrennen aus der asiatischen Wirtschaftsmetropole zum Russland-GP nach Sotschi.
Leclerc zum vierten Mal in Serie auf Pole
Zum sechsten Mal seit 2014 gastierte die Formel 1 am Schwarzen Meer. Und das Sotschi Autodrom rund um die Winter-Olympiastätten kann ebenfalls einen alleinigen Rekordhalter vorweisen: In diesem Jahr siegte das Mercedes-Team zum sechsten Mal in der beliebten Badestadt, dabei fuhr es seinen vierten Doppelerfolg ein (2014 Hamilton vor Rosberg, 2015 Hamilton vor Vettel, 2016 Rosberg vor Hamilton, 2017 Bottas vor Ricciardo (Red Bull), 2018 und 2019 Hamilton vor Bottas). Die Konkurrenz ging auf dem Mercedes-Territorium immer baden. Dabei schien es in diesem Jahr, als würde die rote Welle nach dem jüngsten Doppelschlag in Singapur die silberne Konkurrenz überrollen. Das schwarze Ferrari-Pferd strotzte nur so vor Selbstvertrauen.
Als erster Ferrari-Pilot seit Michael Schumacher startete Charles Leclerc zum vierten Mal in Serie von der Pole Position in ein Formel-1-Rennen. Vettel aber war der Gewinner des Sprints. Mit einem fulminanten Raketenstart von Platz drei überrumpelte er zunächst Hamilton auf Rang zwei, schlüpfte in den Windschatten und pfeilte an Leclerc vorbei. Vettel sollte den Monegassen wie „abgesprochen" wieder vorbeilassen. In Runde sechs hatte ihn Teamchef Mattia Binotto dazu aufgefordert. Vettel aber verstand diese Ansage nicht und fuhr stattdessen eine schnellste Rennrunde nach der anderen, baute seinen Vorsprung aus und ließ Leclerc orientierungs- und verständnislos zurück. Da war doch wieder eine Stallorder im Spiel, die für jeden Fan und Zuschauer ruchbar war. Wieder künstlich herbeigeführter Zoff zwischen den zu Marionetten umfunktionierten Alphatieren Vettel und Leclerc?
Den Positionstausch regelte Ferrari am Kommandostand. Leclerc wurde von Platz zwei als Erster in Runde 22 zum Reifenwechsel an die Box kommandiert, während sie Vettel mit abbauenden Gummiwalzen auf der Strecke verhungern ließen. Vier Runden später kam Vettel zum Reifentausch, wird kurz nach seinem Boxenstopp langsamer, rollt in Runde 28 mit einem Motorproblem aus. „Nach meinem etwas späten Boxenstopp hatte ich keine Leistung mehr von der Batterie zur Verfügung, ich glaube es fehlten 160 PS", so Vettels erste Einschätzung. Eine spätere Untersuchung ergab, dass sein Ferrari unter Strom stand. „Wir wussten nicht ganz genau, wie der Zustand ist. Aus Sicherheitsgründen haben wir Sebastian angewiesen, das Auto sofort abzustellen", begründete Teamchef Binotto den Ausfall. Während Vettels Ferrari geborgen wurde, nutzte Hamilton die virtuelle Safety-Car-Phase, die Ferrari den Sieg kostete, zum Reifentausch und übernahm in Runde 32 die Führung, die er locker bis zum Schluss verteidigte. Nach drei Rennen ohne Sieg gewinnt der Weltmeister wieder einen Grand Prix und erlöst Mercedes. Es ist sein neunter Triumph im 16. Saisonrennen und insgesamt sein 82. GP-Sieg. Damit liegt der Brite in der ewigen Bestenliste nur noch neun Erfolge hinter Michael Schumacher (91). Sein Adjudant und treuer Vasall Valtteri Bottas wird Zweiter und beschert Mercedes den 52. Doppelerfolg in der Formel 1. Leclerc komplettiert als Dritter das Podium. Ferrari erlebte nach einem kurzen Aufschwung ein neuerliches Debakel, während Hamilton als Sotschi-Zar auf Wolke sieben schwebt und seinem sechsten WM-Titel unaufhaltsam entgegensteuert.
„So kannst du deinen beiden Fahrern nur schaden"
Mit diesem Rennen hat sich Ferrari wieder einmal selbst in die Knie gezwungen, ist mit dem schnellsten Auto gestartet, hat den Sieg verschenkt und Mercedes den Doppelerfolg auf dem Silbertablett serviert, weil die Roten zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Aber noch schlimmer: Mit einer fragwürdigen Stallorder-Regie hat Ferrari seine eigenen Alphatiere gegeneinander aufgebracht und eine Endlos-Diskussion und unvermeidbare Teamorder-Debatte ausgelöst. „Das ist Kindergarten. Es gibt für Ferrari keinen Grund, hier so steuernd einzugreifen. So kannst du deinen beiden Fahrern nur schaden, wenn du sie mit solchen Anweisungen belastest", spricht RTL-Experte Christian Danner Klartext. „Das ist ein Autorennen, und da soll jeder für sich fahren. Wenn Sebastian vorne ist, muss Charles sehen, wie er vorbeikommt. Basta", so der Ex-Profi zum Taktik-Theater der Roten.
Stinksauer reagierte Vettel: „Ich habe meinen Teil der Absprache mit dem Team eingehalten. Ich habe nicht verstanden, warum ich Leclerc zu diesem Zeitpunkt schon so früh vorbeilassen sollte. Ich wusste nicht, was da los war. Ich habe versucht, mein Rennen zu fahren, wozu ich ja da bin, was ja auch bis dahin geklappt hat. Aber das werden wir noch intern regeln", so der sehr verschnupfte Ferrari-Pilot gegenüber RTL. Leclerc war nicht minder stinksauer und klärte auf: „Die Absprache war: Ich muss Seb am Anfang Windschatten geben und in Kurve zwei vorbeilassen, und dann tauschen wir wieder die Plätze. Das ist aber nicht passiert. Wir haben das dann erst später beim Boxenstopp gemacht." Teamchef Binotto räumte im RTL-Interview die abstruse Taktik so ein: „Leclerc bot Vettel gar nicht bewusst Windschatten, Sebastian hat ihn sich einfach geholt. Dann interpretiert man die Sachen natürlich anders." Dennoch habe sich sein Team entschieden, an der ursprünglichen Absprache mit den Fahrern festzuhalten und Leclerc dann mit einem früheren Boxenstopp an Vettel vorbeizulotsen. Im Prinzip hat Ferrari den Sieger vor dem Rennen bestimmt.
In Suzuka aber kann Mercedes schon am Sonntag – fünf Rennen vor Saisonschluss – den Sack zumachen, Fahrer- und Marken-WM aus eigener Kraft eintüten. Die einfachste Art wäre ein Doppelsieg – wie schon achtmal in diesem Jahr.