Die Autos in der Formel E fahren zwar langsamer als in der Formel 1, doch die Elektrorennserie ist längst ein ernstzunehmender Konkurrent der Königsklasse geworden. Mit BMW, Mercedes, Audi und Porsche sind nun erstmals alle vier Premiumhersteller aus Deutschland vertreten – ein Novum im Motorsport.
Im Spätsommer dreht sich das Fahrerkarussell in der Formel E immer besonders schnell. Auch in diesem Jahr sind wieder etliche Cockpits in der Elektrorennserie neu besetzt worden – so wechselte Maximilian Günther zu BMW, Antonio Felix da Costa dafür von den Münchenern zu DS Techeetah und André Lotterer von dort zum neuen Porsche-Team. Die wichtigste personelle Veränderung ereignete sich indes hinter den Kulissen. Mitte September wurde Jamie Reigle zum neuen Geschäftsführer der Formel E ernannt: Er tritt die Nachfolge von Alejandro Agag an, der stattdessen zum Vorstandsvorsitzenden der Rennserie aufsteigt. Zuletzt hatte Reigle in der National Football League (NFL) als exekutiver Vizepräsident die geschäftlichen Beziehungen der Los Angeles Rams geleitet, davor war er Teil des Vorstands des Fußballclubs Manchester United und als solcher maßgeblich am Aufbau der Marke des Clubs in Asien beteiligt.
Mit Reigle bekommt die Formel E einen Boss, der weiß, wie man ein Produkt entwickelt. Seine Ansprüche an den neuen Job sind hoch. „Wir wollen, dass die Formel E zu einer großen Plattform für die Nachhaltigkeit wird. Und wir möchten sie zur aufregendsten Serie des gesamten Motorsports machen", sagte er bei seiner Vorstellung.
Das sind forsche Töne, die sicher auch in der Formel 1 aufmerksam verfolgt wurden. Schon jetzt hat sich die Formel E zu einem ernstzunehmenden Rivalen der Königsklasse gemausert. Die vergangene Saison 2018/19 beendete die Serie mit einem neuen Umsatz- und Zuschauerrekord. Rund 411 Millionen Zuschauer verfolgten die Rennen im Fernsehen, ein Plus von 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr; hinzu kamen erneut über 400.000 Fans, die an der Strecke live dabei waren. Der Umsatz stieg derweil erstmals auf über 200 Millionen Euro. Auch die aggressive Social-Media-Kampagne machte sich bezahlt: Insgesamt folgten der Serie im Vergleich zum Vorjahr 212 Prozent mehr Personen in den sozialen Netzwerken. Die Interaktionsrate mit Inhalten der Formel E schnellte um fast 450 Prozent in die Höhe.
Neuer Umsatz- und Zuschauerrekord
Die wachsende Popularität der Elektrorennserie hat viele Gründe. Die Rennen werden in den Innenstädten und damit quasi vor der Haustür der Motorsportfans ausgetragen. Der fehlende Motorenlärm, der anfangs noch belächelt wurde, hat sich mittlerweile als großer Vorteil herausgestellt, um gerade auch Familien mit kleinen Kindern an die Rennstrecke zu locken, die später einmal die Formel-E-Fans der Zukunft werden sollen. „Es ist unglaublich zu sehen, wie sehr unsere Zuschauerschaft wächst – gerade bei den jungen Zuschauern", sagte Alejandro Agag. „Wir wollen zukünftige Generationen dazu inspirieren, sich sauberen Energieformen anzunehmen, und sie einen Schritt näher an den Kauf eines Elektroautos zu bringen. Das passt auch mit der Vision der Formel E zusammen. Wir wollen, dass sich die Welt schneller in die Richtung einer saubereren Zukunft bewegt."
Gerade in Zeiten von „Fridays for Future" und eines wachsenden Bewusstseins für den Klimawandel profiliert sich die Formel E als saubere Rennserie. Inzwischen gibt es etliche Nachahmer, auch andere Motorsportwettbewerbe werden zunehmend elektrisch ausgetragen. Nico Rosberg, Ex-Formel-1-Weltmeister und mittlerweile Anteilseigner an der Formel E, prognostizierte in diesem Jahr sogar schon, dass eines Tages auch die Formel 1 elektrisch fahren werde: „Wenn alle Welt Elektroautos fährt, macht es keinen Sinn, dass die Formel 1 noch Verbrenner verwendet. Vor allem, wenn die Technologie adäquat ist und die Performance darunter nicht leidet", sagte er der „Berliner Morgenpost".
Doch es sind nicht allein ethisch-moralische Beweggründe, weshalb die Formel E bei den Fans so beliebt ist. Vor allem wird dort auch richtig guter Rennsport geboten. Das Fahrerfeld zählt zu den stärksten im Motorsport – in der kommenden Saison werden allein mindestens sieben ehemalige Formel-1-Fahrer antreten, darunter Felipe Massa als vermutlich prominentester Name, 2008 im Ferrari Vizeweltmeister hinter Lewis Hamilton. 15 Jahre verbrachte Massa in der Königsklasse – dass er in der vergangenen Saison bei seiner Formel-E-Premiere trotzdem nicht über Platz 15 hinauskam (mit einem dritten Rang in Monaco als bestem Einzelergebnis), unterstreicht bloß, dass die Elektrorennserie selbst für erfahrene Piloten eine große Herausforderung darstellt. Denn sie müssen nicht nur Gas geben, bremsen und lenken, sondern vor allem mit der Energie haushalten, damit ihnen das Auto nicht vor dem Ziel liegenbleibt. Dafür stehen den Fahrern in der Formel E verschiedene Energierückgewinnungssysteme zur Verfügung.
Das Feld in der Formel E ist sehr viel ausgeglichener
Bislang sind die Formel-E-Boliden noch deutlich langsamer als die Formel-1-Flitzer. Auch die leistungsstärkeren Wagen der zweiten Generation, die sogenannten Gen2-Autos, kommen maximal auf 280 Stundenkilometer – in der Formel 1 wird dagegen mit Tempo 360 gefahren. Weshalb nicht nur Nico Rosberg forderte: „Die Formel E muss in den nächsten Jahren schneller werden!" In Sachen Spannung und Action hat die Formel E der Königsklasse aber bereits den Rang abgelaufen: Während dort nahezu jedes Rennen mit dem ewig gleichen Duell zwischen Mercedes und Ferrari aufwartet, ist das Feld in der Formel E sehr viel ausgeglichener. In den 13 Läufen der vergangenen Saison gab es neun verschiedene Sieger aus acht verschiedenen Teams. Damit durften am Ende tatsächlich drei Viertel aller angetreten Rennställe über einen Tageserfolg jubeln.
Es sind die besonderen Regularien der Formel E, die einen Rüstungswettlauf wie in der Formel 1 verhindern sollen und damit genau diese Ausgeglichenheit befördern. So muss jeder Hersteller anderen Teams zu einem festen Preis Motoren zur Verfügung stellen, sodass jeder die Chance hat, erfolgreich zu sein. Zudem sind viele Bauteile des Elektrorenners vorgegeben. Egal, wie viel Geld man auch in die Entwicklung stecken mag: In der Formel E lässt sich der Erfolg nicht einfach erkaufen.
Trotzdem wächst die Zahl der Hersteller, die sich in der Formel E engagieren, stetig. Zur neuen Saison, die am 23. und 24. November mit einem Doppelrennen in Diriyya (Saudi-Arabien) beginnt, sind auch Mercedes und Porsche neu dabei – damit werden erstmals zwölf Teams um die Meisterschaft konkurrieren. Mercedes wird damit der erste Autobauer, der sowohl in der Formel 1 als auch der Formel E antritt. Während Konkurrent Porsche in der Formel E komplettes Neuland betritt, schickte Mercedes in der vergangenen Saison bereits das Team von HWA Racelab gewissermaßen als Vorhut ins Rennen, das so schon einmal wertvolle Erfahrung sammeln und dem Unternehmen damit den Weg in die Elektrorennserie erleichtern sollte. Dennoch ist aufgrund der besonderen Umstände nicht davon auszugehen, dass die Silberpfeile nun wie in der Formel 1 gleich alles in Grund und Boden fahren. Mit Porsche und Mercedes sowie Audi und BMW gibt es in der neuen Saison gleich vier deutsche Teams. Erstmals sind alle vier Premiumhersteller aus Deutschland vertreten – das gab es im Motorsport noch in keiner Serie. Für die Hersteller ist die Formel E die ideale Plattform, um zu zeigen, was sie in Sachen Elektromobilität können. Hinzu kommt: Der Technologietransfer von der Rennstrecke auf die Straße ist nirgendwo so ausgeprägt. „Die Elektromotoren, die in der Formel E entwickelt werden, tauchen zwei Jahre später in den Autos auf, die wir auf der Straße fahren. Das hat es in diesem Ausmaß noch nicht gegeben", sagt Nico Rosberg.
Ideale Plattform für die Hersteller
Bei so vielen deutschen Herstellern war es fast logisch, dass die Formel E auch in dieser Saison wieder in Deutschland Station macht. Am 21. Juni kommt die Elektrorennserie nach Berlin, das damit als einzige Stadt in allen Jahren Bestandteil des Rennkalenders war. Insgesamt wird es in dieser Saison 14 Läufe geben. Nach drei Jahren Pause kehrt der London E-Prix wieder zurück, wo am 27. Juli 2020 das Finale der Serie stattfinden wird. Gänzlich neu im Kalender sind Seoul (Südkorea) sowie Jakarta in Indonesien. Gerade Jakarta als Hauptstadt des viertbevölkerungsreichsten Staates der Welt und des Landes mit der weltweit größten Anzahl an Muslimen ist auch unter Marketinggesichtspunkten ein äußerst lukrativer Standort. Die Formel 1 wird es vernommen haben.