In ihrer Heimat Bosnien-Herzegowina hatte Dijana Tufekcic keine Aussicht auf einen festen Job. So reiste die junge Frau kurzerhand nach Deutschland, um in der Europäischen Fachschule für Altenpflege (EFSA) in Quierschied eine dreijährige Ausbildung zur examinierten Pflegerin zu absolvieren.
Daheim in Bosnien-Herzegowina gehörte Dijana Tufekcic zu den Klassenbesten. Vor allem naturwissenschaftliche Fächer wie Chemie und Biologie fielen der jungen Frau besonders leicht. „Deswegen waren meine Verwandten auch so zuversichtlich, dass ich Abitur machen und anschließend studieren gehe würde", erzählt die frisch examinierte Altenpflegerin bei ihrer Absolventenfeier. Auch sie selbst strebte zunächst ein Medizinstudium in ihrem Heimatland an, legte ihre Abitur-Prüfungen mit Bravour ab. Dann holte sie die Realität ein. „Mir wurde einfach bewusst, dass ein Studium in Bosnien-Herzegowina keinen Sinn machen würde", bedauert die junge Frau. „Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit hätte ich nur eine sehr geringe Chance auf einen Job, egal wie gut ich bin." Da kam der Rat einer ihrer Freundinnen ganz gelegen, erzählt Dijana. „Sie meinte, ich soll mich in Deutschland umschauen und im Bereich der Altenpflege bewerben."
Im Gegensatz zu Bosnien-Herzegowina nimmt der Mangel an Pflegekräften in Deutschland immer weiter zu. Rund 40.000 Stellen in der Pflege sind bis heute unbesetzt. Der Anteil an älteren Menschen wird hingegen immer größer. Wirft man einen Blick in die Pflegestatistik der Arbeitskammer, wird es deutlich: Im Jahr 1999 belief sich die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen im Saarland auf 21.191. Im Jahr 2017 steigt sie bereits auf 45.582. Bei der ambulanten Pflege haben sich die Zahlen in dieser Zeitspannen sogar fast verdoppelt: Von 5.249 auf 9.871. Auch die Anzahl der Menschen in der stationären Pflege nimmt zu: von 7.397 auf 11.543 im Jahr 2017. Um die wachsende Nachfrage nach Pflegefachkräften zu decken, werben Politik und Unternehmen seit einigen Jahren zunehmend ausländische Kräfte an. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat sich ihre Anzahl von 2012 bis 2017 deutschlandweit fast versechsfacht, auf aktuell rund 8.800.
EFSA bietet mehrere Bildungsmöglichkeiten
Im Saarland wird auch um Fachkräfte aus dem Ausland geworben. Beispielsweise in der Europäischen Fachschule für Altenpflege (EFSA) in Quierschied. Vor drei Jahren gegründet, bietet die international ausgerichtete Altenpflegeschule gleich mehrere Ausbildungsmöglichkeiten an. Die ausländischen Schüler haben die Wahl zwischen einem dualen Bachelor-Studiengang an der Berufsakademie für Gesundheits- und Sozialwesen (BAGSS) oder einer dreijährigen Ausbildung zum examinierten Altenpfleger.
Die damals 20-jährige Dijana Tufekcic entscheidet sich für zweiteres. Zuvor war der Start eher holprig, rund 400 Bewerbungen schickte sie raus, bis die erhoffte Zusage der Quierschieder Schule gekommen ist. „Nach einem Telefoninterview, bei dem ich mich kurz vorstellen sollte, bekam ich meinen Ausbildungsvertrag zugeschickt", erzählt Dijana. „Alles ging relativ schnell und einfach. Da freut man sich umso mehr."
Sie gehört zu den ersten Schülern der EFSA, einer Azubi-Gruppe von 23 Personen. Die meisten kommen dabei, so wie die junge Frau, aus Bosnien-Herzegowina. Dijanas Mitschüler Adnan Halilovic, am Anfang der Ausbildung 31 Jahre alt, war beispielsweise schon sechs Jahre lang im Berufsleben, bevor er sich entscheidet, nach Deutschland zu gehen. „Ich habe in Bosnien-Herzegowina ein Studium abgeschlossen, war Wirtschaftswissenschaftler", erzählt der mittlerweile examinierte Altenpfleger. Ein Jahr arbeitete Adnan in einer Bank, dann fünf Jahre bei einer Firma. „Mein ganzes Leben drehte sich damals um Zahlen." Bis er an einem Punkt angekommen war, an dem es für den Bosnier nicht mehr weiterging. „Ich wollte raus und etwas ganz anderes machen", erklärt er seine Motivation, in die Pflege zu gehen. „Menschen zu helfen, die deine Hilfe brauchen, ist etwas sehr Schönes, das gibt mir unheimlich viel." Ihr Mitschüler Mirnes Hadzic, zu Beginn der Ausbildung 33 Jahre, war dagegen schon Altenpfleger in Bosnien-Herzegowina gewesen. „Nur hatten wir damals nichts mit der Vergabe von Medikamenten zu tun", zieht der EFSA-Absolvent einen Vergleich zu seiner ersten Ausbildung. Das sei natürlich anspruchsvoller als die vereinfachte Version in seiner Heimat, meint Mirnes. Der Rest ist aber sehr ähnlich. „Gute Laune funktioniert überall", weiß der examinierte Altenpfleger. „Das fängt ja schon damit an, wie ich die Tür aufmache und ins Zimmer reinkomme. Wenn ich dabei Spaß habe und die Bewohner anlächele, lächeln sie zurück." Die meiste Zeit verbringt Dijana während der Ausbildung mit Armin Tufekcic, einem Kommilitonen.
Kurse zur Auffrischung und Vertiefung des Fachvokabulars
Zur EFSA gehört ein Internat, die Wohnunterkünfte liegen somit auf dem Schulgelände. Bei den anstehenden Behördengängen seiner Schüler hilft die EFSA mit. „Die Schüler werden von uns begleitet, um sich in der neuen Umgebung schneller zurechtzufinden", erzählt der Geschäftsführer der EFSA, Rüdiger Linsler. Dazu zählt beispielsweise die Anmeldung bei der Gemeinde in Quierschied, die Eröffnung eines Kontos für das Ausbildungsgehalt, aber auch das Kennenlernen der lokalen Vereine und Freizeitangebote. Anschließend, wenn die Schüler angekommen sind, folgt ein vierwöchiger Intensivkurs Deutsch mit dem Schwerpunkt Pflege. „Zur Auffrischung der Sprache", erklärt Linsler. Dann geht es für die angehenden Altenpfleger auch schon mit dem Unterricht los. Haben die Schüler die Theorie durch, geht es in ihre praktischen Ausbildungsplätze für den nächsten Unterrichtsblock.
In dieser Zeit kommen sich Dijana und Armin näher. Beide pauken die schwierigen neuen Fachbegriffe aus dem Pflegebereich. „Wobei Armin natürlich etwas Vorsprung hatte", erzählt Dijana. Im Gegensatz zu ihr lebte der 27-Jährige in seiner frühen Kindheit in Deutschland, besuchte sogar die Schule. „Dann kam der Krieg in Bosnien-Herzegowina, und wir zogen zurück, um unserer Familie zu helfen", sagt Armin. Doch in der alten Heimat gab es für den jungen Mann keine großen Perspektiven. Er wollte wieder zurück. „Mittlerweile bin ich hier richtig heimisch geworden. Ich liebe meine Arbeit, komme mit allen supergut aus. Aber das Beste an meiner Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, ist meine Frau. Ich möchte mit ihr hier eine Zukunft aufbauen."
Insgesamt 20 der 23 Schüler schaffen die dreijährige Ausbildung zum examinierten Altenpfleger. Zwei davon mit einem Einser-Schnitt. 17 der Absolventen haben bereits eine Festanstellung in den Häusern, in denen sie zuvor in der praktischen Phase gearbeitet haben. Auch Dijana und Armin wurden übernommen. „Ich freue mich sehr darüber", sagt Dijana. „Allerdings bietet die EFSA auch Weiterbildungsmöglichkeiten an. Und das mit dem Studium, das habe ich für mich noch nicht abgeschlossen."