Wo sich in Berlin die Tradition eines englischen Tailor-Ateliers mit italienischer Moderness verbindet, wird nach Maß geschneidert. Wieso? Weil der Ruf nach langlebiger, hochwertiger Anzugskleidung wieder lauter wird.
Andreas M. Weidlichs Vater hat noch einen Koffer in Berlin. Eigentlich ist’s ein Reiseschrank, der voll mit Erinnerungen achtsam aufbewahrt im Keller eines Hinterhofs in Wilmersdorf steht. Die Geschichte, die sich in dem rechteckigen Kasten verbirgt, ist „maßgeblich" dafür verantwortlich, dass sich direkt über diesem Souterrain die Maßschneiderei Andrews & Martin (A&M) befindet. Der Name klingt very british, A&M ist aber weder in London oder Mailand, sondern im ruhigen Seitenflügel der Uhlandstraße 158 verortet. Das Kingdom of Berlin British’ness liegt mitten in der City West. Dort vermischt sich die Tradition des englischen Tailor Ateliers aus der Londoner Savile Row mit italienischer Moderness. Im integrierten Schneideratelier werden Änderungen und Anpassungen direkt von den drei A&M-Mitarbeitern vorgenommen. Genäht werden die feinzwirnigen Maß-Artefakte dann in deutschen und europäischen Ateliers.
Seit elf Jahren wissen Stammkunden, dass sich hier das 100 Quadratmeter große Salon-Atelier befindet. Kamin, Whiskyregal und die zentrale Edelledersitzecke vermitteln eine Wohnzimmer-Club-Atmosphäre. Der zertifizierte Maßkonfektionär Andreas Martin Weidlich setzt auf Individualberatung. „Im Gespräch erfahre ich mehr über meine Kunden als ihr Arzt", scherzt der 1,95-Meter-Mann, der seine Hemden mit 69-er „Über-Armlänge" trägt. Viele Kunden kommen mit speziellen Körperformen – groß, kleinwüchsig, breitschultrig oder mit kräftigen Oberschenkeln. Auch Anlass, Beruf oder Mobilität – ob jemand viel reist –, sind für die Schnitt- und Stoffwahl wichtig. Ob es sich beim Kunden um eine Persönlichkeit aus Politik oder Wirtschaft handelt, ist für den Berliner und ehemaligen Unternehmensberater und Coach nicht relevant. Es seien alles Menschen, die 100 Prozent stilvoll und individuell sein möchten oder sich für besondere Anlässe – A&M ist Hochzeits-Spezialist – vorbereiten. Diskretion ist dabei Ehrensache.
„Nehme Stoffe wie Schätze in Empfang"
Seine hochwertigen Stoffe bezieht Weidlich aus den besten Webereien Englands und Italiens. Durch seine Erfahrung genießt der galante und leidenschaftliche Maß-Konfektionär bei internationalen High-End Zulieferern wie zum Beispiel Ariston, Dormeuil, Holland & Sherry, Piacenza, Cerruti, Scabal oder Ermenegildo Zegna einen Vertrauenszuschuss. Er hat das Privileg die Stoffe in sogenannten Bundles, als kleinen Stoffmuster-Ballen und nicht am Meter zu beziehen. Das erlaubt ihm eine Auf-Lager-Auswahl von über 10.000 verschiedenen Stoffen (50 Prozent Italien / 50 Prozent England) in petto zu haben. „Ich möchte meine Kunden nicht überfordern, aber das Sichten von bis zu 60 Stoffen verkraften sie", so Weidlich, der 30 neue Edel-Textil-Bündel pro Saison erhält: „Ich nehme die Stoffe wie Schätze in Empfang, inhaliere und verinnerliche sie jedes Mal mit Freude." Am Ende müsse sich der Kunde bei einer Tasse Tee oder weich-mundigem Bourbon nur noch geschmeidig zwischen den übersichtlich zusammengestellten Passform-Modulen entscheiden. Alles zeigt sich im Detail: vom glänzend gesäumten Knopfloch bis zur exakten Rückenlänge, bis zum eleganten Knick des Hosenbeines auf dem Schuh. Das A&M-Emblem versteckt sich dabei im Innenleben der Jacketts oder prangt als klassisches Logo in den Wimbledon-Farben racing-dunkelgrün und lila oben auf Knöpfen und anderen Accessoires.
Auch das Innenleben ist entscheidend und setzt farbliche Akzente, die kurz hervorgeblitzt eine erstaunliche Wirkung haben können. Als echter „Insider" – im doppelten Sinne – wird bei A&M „Cupro Bemberg", eine Seiden-Alternative als Futter verwendet. Die mit Celluloseregeneraten aufgebaute Textil-Faser weist dieselben atmungsaktiven Qualitäten auf wie eine reine Naturfaser.
Die Stoffe stehen von klassisch zeitlosen und dezenten bis kräftigen Farben zur Auswahl. Auch die Saison bestimme Farbe und Stoffdichte. Im Sommer seien Pastelltöne wie ein frisches Hellblau, Rosé oder Mintgrün à la mode. Auch die Kombination aus farbigem Sakko und dunkler Hose kann edel aussehen. Das Sakko auf Maß gilt als vielseitiger und lässiger Allrounder, der zu allen Hosenformen – ob Anzug- oder Wollhose, Chino oder Jeans passe. Der Trend geht zum Zweiknopf-Format. Man merke sich die Faustregel: je weniger Knöpfe, je lässiger das Gesamtbild. Dafür schaut „Mann" am besten nach Italien – dort sind die „Giacca Camicia" in – aus Pullover- und Jerseystoffen gefertigte Soft-Sakkos, die sich wie Strickjacken tragen. Der Herbst kommt da natürlich schon eher mit warm-dezenten Erdtönen und edlen Dessinierungen daher. Und wer sich rechtzeitig für die fallenden Berliner Außentemperaturen wappnen möchte, der ordert am besten schon ein paar Wochen vor Saisonbeginn einen Pea-Coat-Kurzmantel mit „Loro Piana Featherlight Storm System" – ein Wind und Wasser abweisender 150-Wollstoff mit Seide und Elastan. Die Krönung ist natürlich, ein gutes Stück aus Wolle und Kaschmir im Schrank zu haben.
Auch die „Anatomie des perfekten Hemdes" ist eine Individualentscheidung. Mit 100 Kragenformen, glatten oder verdeckten Leisten, spitzen, schrägen oder runden Taschen wartet das Sortiment auf. Um das Handgelenk schmiegt sich eine passende Manschette, die an der Uhrenseite nach Wunsch sogar weiter gefertigt werden kann. Ergänzt wird das Sortiment durch Knöpfe, Krawatten, Schleifen, Plastrons, Einstecktüchlein, Manschettenknöpfe, Westen und sogar rahmengenähte A&M-Maßkonfektionsschuhe aus Belgien.
Maßanzüge gibt es sogar für Kinder
Für besondere Anlässe gibt Gentleman-Kenner Weidlich sogar auf Wunsch auch noch eine „Etikette-Beratung" (die wird neuerdings auch gern als Workshop für ganze Unternehmen gebucht). Stil im Allgemeinen lebt zwar von Tradition und Etikette, solle aber nicht altbacken, sondern modern interpretiert sein. Gerade in Berlin bekommt Weidlich auch mal ausgefallene Anfragen von Trendsettern, die den Stil-Bruch suchen und nach Camouflage oder wilden Typografie-Pattern fragen. „Der Berlin-Style ist tendenziell natürlich lockerer als in anderen Großstädten und mehr auf Look als auf Qualität fokussiert. Hier schließt das eine nie das andere aus", so Weidlich, der vorm Tragen von allzu kurzlebigen Fashiontrends, die der Figur womöglich wenig schmeicheln, abrät. Zu viel „Lockerness" kann irgendwann kippen. Natürlich pilgern neben Berlinern auch Kunden aus ganz Deutschland in die Uhlandstraße.
Weidlich möchte mit seinem Stilgefühl jede Kundin und jeden Kunden unterstützen. Und für die Ladys? Vom maßgeschneiderten Stadtmantel, Poncho, Anzug, Blazer, Kostüm im Chanel-Style bis zur Bluse kann sich auch die Signora von Berlin und dem Rest der Welt ein komplettes Outfit schneidern lassen. Hochwertige Capes und Jacken ergänzen. Auch für die Business-Lady hat A&M so einiges im Repertoire. Besonders gefragt ist das Signature-Piece der Kollektion: ein hochwertiges Etuikleid. A&M fertigt auch Chinos und Jeans. Maßanzüge für Kinder runden das Angebot ab.
Und am Ende die Frage: Welche Geschichte steckt denn nun im Reiseschrank, und wie kam Sir Signore Weidlich auf die Erfindung King Edward des VII.? Die Antwort: Das Bewusstsein für klassisch-elegante Mode habe er vom Vater – einem Handelsvertreter mit ehemaligem Sitz am feinen Ku’damm – geerbt. Jeden Tag trug der Vater einen anderen Anzug. Dafür brauchte es Koffervolumen. Weidlichs erstes Maßhemd-Set kaufte er 1986 als junger Mann in der New Yorker 5th Avenue – very american gab’s die Hemden nicht einzeln zu kaufen. 2009 folgte er dann endgültig seiner Leidenschaft, stieg aus seinem Job als Berater aus und eröffnete sein Maßatelier. Zu Recht ist er stolz, sich als Berliner Unternehmer bereits seit über einer Dekade am nicht immer einfachen Markt gehalten zu haben. Über so lange Zeit entdeckt und treu frequentiert zu werden, liegt auch an Charisma, empathischem Beratungstalent, sowie einem sicheren Geschmacksempfinden. „Ich bin eben wie ein guter Arzt, dem man treu bleibt", schließt Weidlich während er seine Manschetten in Position rückt. Seine Initialen AMW ruhen, für das Gegenüber kaum sichtbar mit einem Hauch von stilvollem Berliner Understatement zwischen Knopf 4 und 5.
Alle Infos: www.andrews-martin.de