Als auf der Wiese eines Bauern in den 30er-Jahren eine Bohrung statt des erhofften Erdöls Thermalwasser zutage förderte, ahnte niemand, was das für ein kleines Dorf in Bayern bedeutete.
Das waren noch Zeiten, als sich in den klassischen deutschen Badeorten Kaiser und Könige die Klinke in die Hand gaben. In Bad Kissingen Kaiser Franz Joseph von Österreich oder der Dauergast Fürst Otto von Bismarck. In Bad Pyrmont Zar Peter der Große und der Preußenkönig Friedrich oder in Bad Brückenau, wo sich der Bayernkönig Ludwig I. mit seiner Geliebten, der Tänzerin Lola Montez, verlustierte. Die meisten der ehemaligen Glanzlichter der Badekultur sind inzwischen verblasst und haben mehr oder weniger wirtschaftliche Probleme.
In Bad Füssing in Niederbayern ging es dagegen in den vergangenen 70 Jahren stetig nach oben. 2,4 Millionen Übernachtungen hatte man im vergangenen Jahr und ist damit zum größten Thermalbad Europas geworden. Und das ohne Tradition und Geschichte. Eigentlich beruht alles auf einem kuriosen Zufall. Im Jahr 1938, als Geologen in der Region Ölvorkommen vermuteten, wurde auf dem Grund des Landwirtes Franz Ortner eine Tiefbohrung gemacht. Aber statt Erdöl schoss 56 Grad heißes, schwefelhaltiges Thermalwasser an die Oberfläche. Damit konnte damals niemand etwas anfangen. Also lautete die Devise: Deckel drauf. Das war’s. Niemand ahnte damals, was daraus einmal werden würde. Der kleine Ort Saferstetten, der zum heutigen Bad Füssing gehört, blieb zunächst einmal, was er schon immer war: ein winziges Dorf mit sechs landwirtschaftlichen Anwesen und 38 Einwohnern. Über der verschlossenen Quelle ließ Franz Ortner eine Holzhütte bauen, die anschließend verschlossen wurde. Den Schlüssel übergab er zur Aufbewahrung seiner Frau.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erinnerte man sich daran, der Schlüssel wurde herausgesucht und das Häuschen wieder aufgeschlossen. Es war sozusagen das Schlüsselerlebnis für den späteren Badeort Bad Füssing.
Von der Arbeit geplagte Bauern kamen zu der heilenden Quelle
Landwirt Ortner ließ den Deckel entfernen, und das warme Wasser sprudelte munter in einen Badeteich, der sich schnell bildete. Zur Freude der Dorfjugend aber auch der älteren Anwohner und der ersten neugierigen Besucher, die schnell merkten, dass das Wasser gegen allerlei Zipperlein half. Die meisten Bauern hatten durch ihre schwere Arbeit Rückenschmerzen, und auch bei Muskelproblemen oder Rheuma stellte sich schnell eine Linderung ein.
Und da hatte der clevere Franz Ortner eine Idee: So etwas könnte man doch kommerziell vermarkten und als Urform eines Badeortes anbieten. Doch es gab ein Problem, denn an Wannen oder ähnliche Einrichtungen war 1946 nicht zu denken. Es musste also eine Lösung her, und die war zunächst ganz simpel. Aus welchem Grund auch immer lagen noch mächtige Betonrohre in der Nähe herum. Die ließ Ortner aufstellen, am Boden ausbetonieren und schon konnte er die ersten Sitzbadewannen anbieten. Schön waren sie zwar nicht, aber sie erfüllten ihren Zweck. Bald merkten auch amerikanische Soldaten aus einer nahe gelegenen Garnison, dass ein Bad im Thermalwasser gut für ihre kriegsmüden Knochen war. So bekam der Ortner Hof den ersten internationalen Touch. Danach begann eine rasante Entwicklung. Das Quellwasser wurde vom Freistaat Bayern ganz offiziell auf seine balneologischen Inhaltsstoffe untersucht, sodass auch amtlich dokumentiert werden konnte, dass besonders der Sulfidschwefel eine positive Wirkung bei allen Erkrankungen des Bewegungsapparates und auch bei Rheuma hat.
Damit hatten die Betonrohre ausgedient, und die Therme eins wurde gebaut. Da aber das Geld knapp war, musste nochmals improvisiert werden. Für den Boden der Therme nutzte man Panzerplatten aus Beton, die aus Kriegszeiten noch übrig geblieben waren. Auch das zugehörige Gebäude wirkte noch ziemlich schlicht, aber darauf kam es nicht an. Denn es sprach sich auch überregional immer mehr herum, dass eine Badekur in Bad Füssing sozusagen Wunder wirkte oder zumindest Linderung bei vielen Erkrankungen brachte. Das wiederum löste einen Boom beim Hotelbau aus. Damit gingen die Gästezahlen immer weiter nach oben.
„Das Wasser ist das wesentliche Alleinstellungsmerkmal"
Kurdirektor Rudolf Weinberger wirkt sichtlich zufrieden mit dieser Erfolgsgeschichte: „Es ist natürlich das Wasser als wesentliches Alleinstellungsmerkmal. Aber es gibt noch einen anderen Grund, denn unsere besseren Hotels haben schnell gemerkt, dass viele Gäste nicht mit ihren Badesachen zur öffentlichen Therme marschieren wollen, sondern die Bequemlichkeit und die Individualität eines hoteleigenen Thermalbades schätzen. Die Hotels sind über eine Ringleitung mit der Originalquelle verbunden." Die meisten verfügen inzwischen über luxuriös ausgestattete Inhouse-Thermen, zum Teil mit Hallenbädern, die mit Außenbecken kombiniert sind. Dazu eigene Spas mit diversen Saunen, Salzgrotten und anderen Wellnesseinrichtungen. „Man will sich etwas gönnen", betont Rudolf Weinberger. „Und dafür sind die Menschen auch bereit, Geld auszugeben, wenn das Angebot stimmt. 90 Prozent sind Privatgäste, die natürlich Ansprüche haben. Also haben wir das Ortsbild im Lauf der Jahre ständig verschönert; ein großer, wunderschöner Kurpark ist entstanden, und wir achten darauf, dass der ganze Ort einen gepflegten Eindruck macht."
Moderne Einrichtungen bieten Wellness auf hohem Niveau
93 Prozent der Gäste sind Wiederkommer, die Gästezahlen steigen seit 15 Jahren an. Hinter München und Nürnberg hat Bad Füssing die meisten Übernachtungen in Bayern. Inzwischen verfügt der Ort mit der Europatherme über eine weitere, sehr moderne Anlage. Übrigens mit einem Strömungskanal, in dem sich die Gäste im Thermalwasser treiben lassen können. Zur Geschichte von Bad Füssing gehört auch die Arztfamilie Zwick, die bereits 1964 in den Ort investierte und mit dem Johannesbad eine eigene Therme baute. Das Unternehmen hatte zeitweise seinen Sitz in Saarbrücken und betreibt immer noch die Johannesbad Fachklinik Saarschleife bei Orscholz. Auffällig sind in Bad Füssing die vielen Radfahrer. „Was andere anstreben, haben wir längst erreicht", so Kurdirektor Weinberger. „460 Kilometer Rad- und Wanderwege sind es heute und der Ausbau geht weiter." Das Konzept von Bad Füssing ist aufgegangen. Viele andere Badeorte in Deutschland haben zu lange auf die von den Sozialversichertenträgern finanzierte Kur gebaut. Aber die Zeiten, dass man sich alle Jahre so etwas verschreiben lassen konnte, sind längst vorbei. Die Krankenkassen und die Rentenversicherung füllen nach Möglichkeit ihre eigenen Sanatorien und Reha-Einrichtungen. Für die klassischen Kurorte ist es außerdem schwierig, umzusteuern und neue Gesundheitsurlauber anzusprechen. Viele Hotels sind dort in die Jahre gekommen und entsprechen nicht mehr den Ansprüchen gut betuchter Selbstzahler. Hier hat es ein Ort wie Bad Füssing, der auf der grünen Wiese entstanden ist, mit seinen modernen Einrichtungen und Neubauten leichter. Wenn dann das Gesamtkonzept, also die Kombination von natürlichen Gegebenheiten mit Wellness-Angeboten auf hohem Niveau, stimmt, ist der Erfolg vorprogrammiert. Das gilt nicht nur für die Zielgruppe der älteren Menschen, sondern auch für Jüngere, die bei steigendem Stress im Berufsleben immer mal wieder eine Auszeit für die Gesundheit nehmen.