Die Benes-Dekrete und das Atomkraftwerk Temelin: Zwei Beispiele für das problematische Verhältnis zwischen Tschechien und Österreich. Zwei Länder, die über Jahrhunderte in einem gemeinsamen Staat vereint waren, scheinen nicht wieder zueinander gefunden zu haben.
Nach dem Ersten Weltkrieg schlugen sie getrennte Wege ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Eiserne Vorhang nieder, und man wusste über Jahrzehnte kaum mehr etwas voneinander. Seit 30 Jahren sind die Grenzen wieder offen, doch richtig näher gekommen ist man sich in dieser Zeit nicht.
Immerhin haben sich nun Historiker zu beiden Seiten der Grenze zusammen gefunden und miteinander ein mehr als 400 Seiten dickes Buch über die Geschichte Tschechiens und Österreichs vom Mittelalter bis zur Gegenwart geschrieben. Es ist das Ergebnis einer Kommission, die 2009 von den beiden Staaten ins Leben gerufen wurde, der „Ständigen Konferenz österreichischer und tschechischer Historiker zum gemeinsamen kulturellen Erbe", kurz: SKÖTH. 27 Historikerinnen und Historiker aus beiden Ländern haben das Gemeinsame und das Trennende in der Geschichte gesucht. Jeweils paarweise sind sie in zwölf Kapiteln den jeweiligen Epochen österreichischer und tschechischer Geschichte nachgegangen.
Dass diese Form der Zusammenarbeit auch eine Herausforderung für die Herausgeber war, klingt bereits im Vorwort zum Buch an. Dennoch ist es nicht zum Historikerstreit gekommen. Zumindest die Wissenschaftler sind sich einig in der Beurteilung der gemeinsamen Geschichte. Bei den Bewohnern der zwei Länder ist es noch nicht so weit.
Das Werk mit zahlreichen Fotografien liest sich flüssig und vermittelt einiges Neues, weniger aus der hohen Politik als aus dem Alltag, dem Selbstverständnis der Gesellschaft.
Das tschechisch-österreichische Geschichtsbuch will nicht als Schulbuch verstanden werden, sondern wendet sich an die interessierten Leser. Derzeit wird es auf Tschechisch (rück)übersetzt und wird demnächst auch in Tschechien erhältlich sein.