Die US-Wirtschaftspolitik kehrt zurück in eine Zeit, in der das Recht des wirtschaftlich Stärkeren herrschte. Und demoliert damit das bislang erfolgreiche, auf Anti-Diskriminierung bedachte Welthandelssystem der WTO.
Oberflächlich betrachtet, ist es ein nicht ungewöhnlicher Vorgang in den vergangenen Jahren: Die USA blockieren derzeit Richterkandidaten am Appellationsgericht der Welthandelsorganisation. Nicht ungewöhnlich deshalb, weil die Blockadehaltung des US-amerikanischen Präsidenten in vielerlei wirtschaftspolitischen Bereichen Normalität geworden ist. In diesem Falle aber könnte sie die etablierte Welthandelsordnung demolieren.
Was war geschehen? Seit Jahrzehnten liegen die EU und die USA überkreuz, was die Produktion von zivilen Flugzeugen angeht. Es geht um staatliche Subventionen, die Airbus auf dieser Seite des Atlantiks und Boeing auf der anderen von staatlicher Seite erhalten sollen. Beide Seiten klagten vor der Welthandelsorganisation (WTO). Im Streit um die Subventionen auf Airbus-Flugzeuge hat die WTO den USA nun Recht gegeben. Diese verhängen Strafzölle in Höhe von 7,5 Milliarden US-Dollar auf EU-Produkte. Allerdings: Auch die Europäische Union hat Recht bekommen, auch die USA subventionieren durch Steuervergünstigungen im Bundesstaat Washington die dortige Boeing-Produktion. Auch sie darf voraussichtlich im kommenden Jahr Strafzölle erheben. Doch EU-Wettbewerbskommissarin Cecilia Malmström steht dieser Maßnahme skeptisch gegenüber. Sie wolle sich mit den USA „hinsetzen und klären, wie wir mit unseren Luftfahrt-Subventionen umgehen". Bisher hat Washington auch dies abgelehnt.
Strittige Fälle wie dieser landeten bisher vor sogenannten Appellationsgerichten der WTO. Sie sorgen seit 1995 dafür, dass die Interessen von stärkeren wirtschaftlichen Staaten und schwächeren ausgeglichen werden. Nach Ansicht der USA kommen sie bei den Urteilen der Gerichte aber zu kurz – Donald Trump verlangt, das System der WTO zu reformieren, weil die USA für seinen Geschmack zu oft in den Urteilen benachteiligt würden.
USA blockieren neue WTO-Richter
Blockieren die USA die Kandidaten weiterhin bis Ende des Jahres, werden Teile der WTO dadurch spätestens 2020 handlungsunfähig. Was danach passiert, ist unklar. Doch es gibt Hinweise. Denn bevor es jene WTO-Gerichte gab, bestimmten diejenigen, die den Handel dominierten, wer Gewinner und wer Verlierer des Welthandels war, frei nach dem Motto: Der Stärkere hat recht. Und auch damals waren dies die USA. Unbestreitbar sind die Vereinigten Staaten, trotz ersten Anzeichen wirtschaftlicher Schwäche, heute noch immer eine der beiden dominierenden Welthandelsmächte, zusammen mit China. Wäre das bis 1995 bestehende weltweite Zoll- und Handelsabkommen GATT noch in Kraft, würde es die beiden Handelssupermächte bevorzugen. Einen Kompromissvorschlag zur Reform der WTO haben die USA bereits abgelehnt. Er wurde unter anderem von der EU und China vorgelegt.
In einer Rede vor dem unabhängigen australischen Thinktank Lowy Institute sagte Alan Wolff, stellvertretender Generaldirektor der WTO, dass der Stein, auf dem die WTO stehe, zerbröselt. Dieser Stein sei die Nichtdiskriminierung von Staaten. „Es mag sein, dass diese Norm immer noch auf den größten Teil des internationalen Handels angewendet wird, aber sie ist nicht die Richtung, in die sich die Regierungspolitik bewegt. Der Schwerpunkt liegt derzeit auf dem Abschluss von Präferenzabkommen auf bilateraler oder regionaler Basis. Dies gilt in unterschiedlicher Weise für alle drei größten Handelsmächte – die Vereinigten Staaten, China und die Europäische Union."
Um sich gegen die neue Form der US-amerikanischen Zölle zu wappnen, will die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun sogar eine
EU-Richtlinie ändern – und damit im Falle von US-Strafzöllen auf europäische Autos noch höhere Zölle auf US-Produkte erlauben, als von der WTO abgesegnet. Eine „Anti-Trump-Bazooka", schreibt das Magazin „Politico", für den Fall des langsamen Todes der WTO.