Familienunternehmer bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Einer von 1.300 Marktführern unter den Familienunternehmern in Deutschland zieht sich nach 40 Jahren aus dem Tagesgeschäft zurück: Prof. Edwin Kohl, Gründer von Kohlpharma.
Prof. Kohl, Sie tragen eine Smartwatch, gelten als technikbegeistert. Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrem Unternehmen?
Die Digitalisierung hat uns sehr früh dorthin gebracht, wo wir heute sind. 1986 haben wir die E-Mail eingeführt, Desktop-Publishing, um eigene Werbung im eigenen Haus zu gestalten, die erste Digitalkamera, Excel 1.2 und Ragtime. Dadurch haben wir es geschafft, schneller zu sein als unsere Mitbewerber. Wir mussten Hunderte Zulassungen beim damaligen Bundesgesundheitsamt stellen – für jedes Arzneimittel, das wir importierten. Diese Formulare, damals achtfache Durchschläge, habe ich dann selber nachgebaut in Ragtime, damit das Ausfüllen schneller geht. Damit haben wir das Prinzip Copy-Paste eingeführt. Dadurch hatten wir einen uneinholbaren Vorsprung vor der Konkurrenz. Mittlerweile sind wir ein hochdigitalisiertes Unternehmen, sparen dadurch Kosten, woraus wir auch einen Teil unserer Gewinne erwirtschaften.
Können Sie Ängste von Angestellten, die um Ihren Job durch die Digitalisierung fürchten, nachvollziehen?
Nein. Digitale Geräte müssen entwickelt und noch immer bedient werden. Wir schaffen dadurch neue Jobs.
Sie haben jetzt ein Fitnessprogramm im Unternehmen initiiert – warum, weil das Rentenniveau steigt?
Die Belegschaft muss nach den Rentenplänen der Politik immer länger arbeiten. Für mich als Familienunternehmer heißt das, ich muss dafür sorgen, dass meine Belegschaft so fit bleibt, dass sie dies auch kann. Deswegen habe ich hier eine Fitnessbewegung ins Leben gerufen, zwei Drittel der Belegschaft macht mit: in der Laufgruppe, beim Krafttraining, Yoga oder Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Bei einem Trainer können sich die Leute anmelden, dann wird gemessen, wie viel Fett, wie viel Muskelmasse sie aufweisen und viele Indikatoren mehr. Dann kann man sich überlegen, ob man etwas ändern möchte oder nicht. Jeder sollte wissen, was im Alter auf ihn zukommt.
Machen Sie mit?
Ich habe mich sogar als Model für die Anleitungen zur Verfügung gestellt. Zum Beispiel die „Plank" – ich mache sechs verschiedene Planks à zwei Minuten, Yoga und Krafttraining. Ich habe es selbst erlebt, dass man auch spät noch damit anfangen kann, ich habe mit
65 Jahren mit dem Krafttraining angefangen und hebe heute 100 Kilogramm. Mittlerweile gebe ich viel Tagesgeschäft ab, aber da ich selbst als Unternehmer und Mensch fit bleiben möchte, kann ich meine Sportbegeisterung glaubhaft an unsere Belegschaft weitergeben. Ich stelle auch fest, dass immer mehr Leute etwas tun, sich freuen über ihren Fortschritt, das ist eine wunderschöne Rückmeldung für mich und Teil meines Verständnisses als Familienunternehmer.
Wie sieht ein typischer Tag für Sie heute aus?
Wir stehen zwischen sieben und halb acht auf, dann brauche ich etwas Kaffee und Sport. Dann fahre ich in die Firma, beschäftige mich mit verschiedenen Projekten, die im Schwerpunkt unsere Mitarbeiter betreffen. Denn das wichtigste Kapital eines Unternehmens ist seine Belegschaft.
Das heißt, Sie sind weiter in das Unternehmen involviert?
Ja. Mit meinem Sohn Philipp, der ins Unternehmen eingestiegen ist, bespreche ich alles. Das operative Tagesgeschäft habe ich jedoch komplett an Jüngere übergeben.
Können Sie so einfach loslassen?
Das muss man. Wenn Sie Ihr Geschäft übergeben und wollen, dass Entscheidungen danach gut getroffen werden, müssen Sie sich irgendwann zurückziehen.
Welche Eigenschaften von Ihnen sehen Sie denn in Ihren Söhnen?
Ich denke, ich habe ihnen ein nachahmenswertes Bild eines Unternehmers vermittelt. Hätte ich von morgens bis nachts gearbeitet und wäre nie für die Familie da gewesen, wären meine beiden Söhne nicht selbst Unternehmer geworden und keiner der beiden hätte das Geschäft weiterführen wollen.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Die Leine lang lassen und großes Vertrauen haben. Wenn man die Leine lang lässt, sind die Leute in der Verantwortung, mit der sie sehr sorgfältig umgehen.
Wer hat Sie das gelehrt?
Vielleicht kann man das lernen, aber ich habe nie Bücher über Führungsstile gelesen. Dies ist, was mein Bauchgefühl mir gesagt hat, und meine 40 Jahre als Unternehmer haben mir gezeigt, dass es richtig ist.
Worüber ärgern Sie sich?
Ich ärgere mich vor allem über die Politik. Wenn man sich für sinnvolle Dinge starkmacht, die aber so nicht gesehen werden, zum Beispiel das 7x4-System, für das ich 20 Jahre lang gekämpft habe. Aber weder Kassen, noch Politik interessieren sich dafür, dass die alten Menschen ihre Arzneimittel vorsortiert in ihrer Apotheke erhalten. Nur das würde die Einnahme sicherer machen.
Sie haben sich auch über die Erbschaftssteuer in Deutschland geärgert. Finden Sie diese ungerecht?
Diese Steuer ist für Familienunternehmen wichtig. Die erfolgreichen haben sehr oft Konkurrenten, die kapitalmarktbasiert sind. Wenn ein Familienunternehmen eine große Akquise oder eine große Investition tätigen muss, muss sich der Unternehmer mit seinem eigenen Geld dafür verbürgen, ein kapitalmarktbasiertes Unternehmen erhöht jedoch einfach das Kapital und hat somit das dafür nötige Geld. Wenn das Familienunternehmen vererbt wird, fallen 30 Prozent Erbschaftssteuer auf das Vermögen der Familie an, das ja bereits zu 50 Prozent versteuert wurde. Also werden diese doppelt besteuert – im Gegensatz zu börsennotierten Unternehmen. Nun ist Deutschland zu Recht stolz auf seinen Mittelstand, seine Familienunternehmen, auf 1.300 deutsche mittelständische Weltmarktführer, diese „Hidden Champions" sind auch meist noch Zulieferer der deutschen Großkonzerne. Doch die Neuregelung der Erbschaftssteuer zeugt von völligem Unverständnis, wie ein Familienunternehmen funktioniert. Als kluger Staat sollte man diese unterstützen und nicht bestrafen. Aber davon sind wir meilenweit entfernt.
Was ist Ihre Kernstrategie, der rote Faden Ihres Managements?
Wir waren und sind Pioniere – digital, grün – und wir kümmern uns um die Belegschaft. Wir bilden sehr viel aus,
20 Prozent unserer Belegschaft rekrutiert sich aus Auszubildenden. Sie durchlaufen alle Bereiche, kennen dadurch das Unternehmen und knüpfen Kontakte, Bekanntschaften, Freundschaften, Beziehungen. So geht man mit mehr Spaß zur Arbeit. Derzeit erleben wir gerade einen Generationenwechsel, die erste Generation unserer Angestellten geht nun in Rente. Das bedeutet, auch unsere Fluktuation an Angestellten ist recht niedrig, selbst im Vorstand und unter den Abteilungsleitern sind die Menschen schon 20 Jahre und länger im Unternehmen. Wenn wir also nicht auf die Belegschaft achten, nicht genügend ausbilden und uns unsere Angestellten heranziehen, würden wir, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, auf schwieriges Terrain zusteuern.
Was war Ihr größter Fehler als Unternehmer?
Ich habe viele Fehler gemacht. Jeder Unternehmer, der eine innovative Idee hat, macht Fehler. Kein Fehler war jedenfalls so groß, dass er das Unternehmen gefährdet hätte. Ich habe sehr früh an E-Mobilität geglaubt, aber damals glaubten andere nicht daran. Wir haben zu wenige Autos verkauft, also haben wir das Unternehmen weiterverkauft. Ich habe in Windkrafttürme aus Holz investiert, doch man entschied sich, lieber weiter die Türme aus Beton aufzustellen. Heute wissen wir, die Betonindustrie verschmutzt die Umwelt so stark wie der gesamte Flugverkehr weltweit. Unsere Idee, die Türme für Windräder aus Holz zu bauen, war also goldrichtig, denn Holz ist nachhaltig und vor allem wiederverwertbar. Vielleicht macht man sich heute wieder mehr Gedanken darüber, ob es wirklich Sinn macht: 150 Meter hohe Betontürme für grünen Strom zu bauen, deren Baustoff selbst massive Umweltverschmutzung erzeugt. Mit diesen Ideen konnte ich mich leider nicht durchsetzen.
Welches ist die jüngste Innovation im Unternehmen?
Ein selbst entwickeltes Lesegerät für die eindeutige Seriennummer einer Arzneipackung. Jetzt können wir pro Tag 70.000 Seriennummern in einer EU-Datenbank auslesen, der importierten Arznei eine neue Seriennummer geben und diese dort wieder einlesen. Ein Beispiel dafür, wie auch unsere Azubis mit eingebunden werden, denn diese haben im Rahmen ihrer Ausbildung auch an Teilprojekten für dieses Lesesystem gearbeitet. Und wenn es weitere Verbesserungsvorschläge aus der Belegschaft heraus gibt, hören wir zu und machen uns gemeinsam Gedanken.
Welche Rolle spielen Kohlpharma und der Arzneimittelimport im Gesundheitssystem Deutschlands genau?
Als ich vor 40 Jahren anfing, waren die Arzneimittelpreise im EU-Ausland niedrig, in Deutschland hoch. Nun wird ein Medikament hergestellt und in verschiedenen EU-Ländern bei gleicher Qualität zu unterschiedlichen Preisen angeboten. Der EU-Binnenmarkt und unser Importhandel haben dazu geführt, dass das Preisniveau der patentrechtlich geschützten Arzneimittel in Deutschland abgesunken ist. Durch unseren Importhandel werden pro Jahr in Deutschland drei Milliarden Euro eingespart. Wir sind der Mit-Initiator dieses Handels, seit 20 Jahren Marktführer und haben den Markt des Importhandels professionalisiert. In diesen 20 Jahren haben die die Krankenkassen gut und gerne 50 Milliarden Euro gespart.
Aber es gibt Kritik an dem System seitens der Krankenkassen, die Ersparnis sei bei Weitem nicht so hoch.
Diese Kritik kennen wir, aber sie wird nur von einem einzigen Vertreter der Krankenkassen geäußert. Die Krankenkassen insgesamt haben noch Anfang des Jahres einen neuen Vertrag mit den deutschen Apotheken über eine verstärkte Einfuhr von patentgeschützten Importarzneimitteln aus den EU-Ländern abgeschlossen. Im Übrigen bin ich der Meinung, Sparen tut dem deutschen Gesundheitssystem nicht immer gut. Mittlerweile werden durch die Rabattverträge der Krankenkassen zahlreiche Generika, auch Antibiotika, nicht mehr in Europa, sondern ausschließlich in Asien produziert. Zum Beispiel in China oder Indien. Der Valsartan-Skandal mit verunreinigten Blutdrucksenkern aus China im Frühjahr vorigen Jahres zeigt, dass dies keine gute Entwicklung ist.
Nun wollte der Bundesgesundheitsminister die Importregelung für Arzneimittel in Deutschland abschaffen. Dies hätte Ihr Geschäftsmodell erheblich geschädigt.
Die Regelung stand nur kurz und nie offiziell infrage. Es wäre ein Erfolg der Pharmalobby gewesen, denen wir seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge sind. Nicht nur, dass sie oft zum Beispiel in Irland produzieren und dabei kaum Steuern zahlen, nun geht es auch darum, die Arzneimittelpreise in Deutschland wieder in die Höhe zu treiben. Das wiederum hätte zu Mehrausgaben der Krankenkassen geführt. Hier braucht es Konkurrenz. Die Konzerne brauchen natürlich einen angemessenen Preis zur Refinanzierung der Forschung, aber irgendwann ist das Maß voll.
Also hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf Ihr Wirken hin bei Jens Spahn interveniert? Die Abgaberegeln für Importe wurde nicht abgeschafft, aber verändert.
Er ist unser Bundestagsabgeordneter, setzt sich auch ein für das Ford-Werk in Saarlouis, für Stahlkonzerne und auch für uns als Unternehmen in seinem Wahlkreis. Das erwarten wir auch als Bürger von ihm. Im Übrigen wollten insbesondere die Krankenkassen und auch die deutliche Mehrheit der Gesundheitspolitik mit importierten Originalen noch mehr sparen.
Sie haben zahlreiche Leidenschaften, neben Ökologie, Kunst, Pferdezucht – gibt es ein Hobby, das sie in den kommenden Jahren besonders verfolgen wollen?
Ich reite, spiele Golf und fahre Ski. Aber all die anderen schönen Hobbys kann ich nur dann ausüben, wenn ich fit bleibe – also, ja, meine Fitness. Ich möchte mit 80 Jahren noch so fit sein wie mit 70.